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Felix Mitterer: Mein Lebenslauf

Innsbruck: Haymon Verlag 2018.
527 S.; geb.; Euro 29,90.
ISBN: 978-3-7099-3425-8.

Autor

Leseprobe

Eines möchte Felix Mitterer mit seiner anlässlich des 70. Geburtstags erschienenen opulenten Autobiografie nicht, langweilen. Und so entwirft er mit "Mein Lebenslauf" einen abwechslungsreichen Rückblick auf seine Kindheit, sein Schaffen als (Volkstheater-)dramatiker und –schauspieler, Drehbuch-, Hörspiel- und Kinderbuchautor, Interpret sowie seine Tiroler Identität, die Zeit in Irland und private Erfahrungen. Dabei schildert Felix Mitterer auf abwechslungsreiche Weise den Werdegang vom Tiroler Landarbeiterkind der 1940er-Jahre zu einem der gefragtesten Dramatiker im deutschsprachigen Raum. In fünf Kapiteln mit zahlreichen Unterkapiteln, die Kurzportraits, Anekdoten oder Werkbeschreibungen enthalten, ausgestattet mit ausdrucksstarken Fotos und Bildabdrucken sowie einem Werk- und Personenverzeichnis, bieten die Erinnerungen einen umfassenden Überblick über das Schaffen Felix Mitterers, den österreichischen Theaterbetrieb und die Film- und Hörspielproduktion ab den 1970er Jahren bis heute. Dass sich Felix Mitterer gegen den Begriff der Autobiografie verwehrte, geht aus dem Vorwort Michael Forchers, Gründer und langjähriger Verleger des Haymon Verlags, hervor. Schlicht und bescheiden sollte der Titel sein.

Berührende und zeitgeschichtlich spannende Einblicke gewährt Mitterer zu Beginn der Autobiografie im Kapitel "Ein Bub vom Land wird Dichter (1948-1978)". Bei Mitterers Geburt war neben der Hebamme auch die beste Freundin der Gebärenden, Juliane Mitterer, die keine Kinder bekommen konnte, anwesend. Ihre Anwesenheit war nicht zufällig, denn ihr war das Kind versprochen worden: "Da die "Kriegswitwe" Adelheid einfach nicht noch mehr Mäuler durchzufüttern in der Lage war, wurde ich also an das Mitterer-Ehepaar verschenkt [...]" (11). Bis zur Einschulung in Kitzbühel wuchs Mitterer als Landarbeiterkind an diversen Höfen in Kirchberg bei Kitzbühel auf, musste bei Heuarbeiten, im Stall und auf der Alm die ihm zugewiesenen Aufgaben verrichten. Mehr als die körperliche Arbeit setzten dem Kind die gewaltvollen Konflikte mit seiner Mutter zu. Mit ihr verbrachte er die Sommer auf der Alm, die er aufgrund der Schönheit der Natur als eine besonders glückliche Zeit empfand. Hier räumt der Autor mit einem die Landbevölkerung betreffenden Klischee auf: "Obwohl natürlich kein Landmensch von der Schönheit seiner von ihm bewohnten Landschaft spricht, nimmt er die Schönheit trotzdem wahr und ist dankbar." (S. 17) Dennoch fällt das Fazit zur Kindheit am Land nicht romantisierend aus, so ist der Jugendliche erleichtert für den Schulbesuch nach Innsbruck mit seinen Cafés, Kinos und Theatern ziehen zu können: "Ich war überglücklich, in dieser wunderbaren Stadt zu sein, wo es nach Asphalt roch und nicht nach Kuhdreck. Endlich weg von daheim, von der Enge, von der Armut, von den ewigen Krankheiten der Mutter und von ihrem ununterbrochenen Redeschwall." (S. 35) Die neue Eigenständigkeit wird zum Befreiungsschlag des Jugendlichen, er liest, schreibt und schmeißt die Schule.

Mitterer hat für seine Autobiografie einen lockeren, unverfänglichen Stil gewählt, der durch seine Direktheit besticht. Immer wieder kann sich der Autor kleine Kommentare und Anekdoten nicht verkneifen. So berichtet er etwa von einer riskanten Wanderung mit Tobias Moretti oder von der ungewöhnlichen Funktion von Robert Schindels Badewanne. Im lockeren Ton, der an ein direktes Gespräch erinnert, erzählt der Autor von seinen ersten großen Erfolgen mit "Superhenne Hanna" und "Kein Platz für Idioten" (beide 1977). Die Werke bedingen gesellschaftspolitisches Wissen, das sich Mitterer durch gezielten Medienkonsum und umfassende Lektüre aneignete. "Kein Platz für Idioten" verfasste Mitterer eigentlich als Hörbuch (1975), auf Vorschlag der Volksbühne Blaas schrieb er es zum Theaterstück um. Ihn faszinierte das Potential der halbprofessionellen Theater und Volksbühnen, wo das Publikum, oft zu Tisch bei Hendl und Bier, mitunter nicht einmal wusste, was auf dem Spielplan des Abends stand. In der alternativen Szene würde sich die Meinung des Publikums meist kaum von jeder des Autors unterscheiden, im Gegensatz dazu finden sich bei den Volksbühnen "ganz normale Menschen, mit ganz normalen Vorurteilen" (65) ein. Hier wollte Mitterer seine Stücke gespielt wissen. "Mein Lebenslauf" ist eine akribische Spurensuche nach den herausfordernden und beglückenden Aspekten der Zusammenarbeit mit LaienschauspielerInnen. Aufgrund der eingehenden Analyse der einzelnen Theaterproduktionen an österreichischen und Südtiroler Volksbühnen fungiert die Autobiografie als einzigartige Auseinandersetzung mit dieser Kunstform.

Wenngleich der Autor private Erlebnisse keineswegs ausspart und etwa ausführlich von der Kindheit, Jugend und Studienzeit seiner Ehefrau Chryseldis oder seinen Erlebnissen in Irland (wo er von 1995 bis 2010 lebte) berichtet, liegt der Schwerpunkt der Erinnerungen auf der Beschreibung zahlreicher Film- und Theaterproduktionen, gleich ob es sich um große Bühnen (etwa "Der Panther" mit Fritz Muliar und Elfriede Ott im Theater an der Josefstadt, 2007), mächtige Freiluftbühnen (beispielsweise "Munde", aufgezeichnet 1990 auf dem Gipfel der Hohen Munde auf 2.592m), erfolgreiche Fernsehproduktionen (etwa die "Piefke-Saga", 1989-1992), um opulente Passionsspiele (etwa in Erl 2013, in dieser österreichischen Gemeinde nehmen 600 der 1400 EinwohnerInnen an den Passionsspielen teil) oder um zahllose Tiroler und Südtiroler Spielstätten (wie Volksbühne Telfs, Rittner Sommerspiele in Südtirol, Vereinigte Bühnen Bozen etc.) handelt.

Wie sehr Mitterer die Zusammenarbeit mit einzelnen KünstlerInnen schätzt, geht einerseits aus den Beschreibungen der Regiearbeiten hervor. Andererseits wird die enge Verbundenheit durch kurze Portraits beispielsweise von Ekkehard Schönwiese (S. 160), Hans Brenner (S. 298), Werner Prichner (S. 341), Pepi Pittl (S. 393), Markus Plattner (S. 410) und nicht zuletzt von Ruth Drexel (S. 430) deutlich. Mitterer tritt in einen fiktiven Dialog mit Ruth Drexel und formuliert ihre dramaturgische Haltung: "Nicht die Zuschauer unterschätzen, meinte Ruth, aber auch nicht unverständlich sein und sich über sie erheben. Kritisch die Geschichte anschauen, und die Zeit, in der wir leben. Einen Versuch ist es immer wert, und wenn es Kunst ist, aber nicht künstlich, dann ist es gut." (S. 432)

Mitterers Autobiografie ist eine ausgeklügelte Kombination aus österreichischer Kultur- und Theatergeschichte, Nachschlagewerk (Namensregister, Werkverzeichnis, etc.), persönlichen Erinnerungen an Theater- und Filmproduktionen, privaten Erfahrungen sowie aus der Skizzierung poetischer Prinzipien. Das Publikum niemals vollkommen niedergeschlagen aus dem Stück zu entlassen, lautet eines davon. Dies passierte etwa bei Mitterers Aufführung von Franz Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie" im Jahr 2012. Mitterer setzte einen gewieften Schachzug ein, indem er sich den Beruf des Affen Rotpeter zu Nutze machte. Als Varietékünstler unterhält dieser sein Publikum. Mitterer entschied sich in seiner Aufführung aus Mangel an anderen Kompetenzen für den Gesang, zwischen den Textpassagen sang er Lieder der 1920er und 30er-Jahre und ließ sich dabei von Saxophon und Ziehharmonika begleiten. Das gewagte Unterfangen wurde ein Erfolg und zeigt beispielhaft den Balanceakt zwischen Schwere und Leichtigkeit in Mitterers dramatischem Oeuvre.

Ursula Ebel
30. April 2018

Originalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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