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Verena Mermer: Autobus Ultima Speranza.

Leseprobe:

Gegen einen Rollentausch mit dem Medizinstudenten hätte Adrian auch nichts einzuwenden. Der muss zwar hin und wieder an einer Leiche herumschnipseln, aber sonst? Ein bequemes Leben. Vermutlich schwänzt er die weihnachtlichen Familienfeiern, um durch Cluj oder Sibiu zu streunen. Lernen wird er schon müssen, aber dafür muss er bestimmt keine andere Arbeit anfassen. Adrians Hierarchie der Tätigkeiten setzt sich folgendermaßen fort: In der Fabrik unterkommen ist besser als Bus fahren, und Bus fahren immer noch besser als schlachten oder ausgeblutete Tierkörper zerlegen. Kartoffeln ernten sieht er in etwa auf derselben Stufe wie Bus fahren. Einerseits dreckiger, andererseits besser bezahlt. Gurken pflücken: deutlich darunter. Aber den Leiharbeitsjobs in der Fleischindustrie immer noch vorzuziehen. Putzen wäre für Adrian vermutlich auf derselben Stufe wie Müll sortieren, tote Hühne aus Batteriekäfigen fischen, Spargel stechen oder Rinderhälften in Viertel teilen. Daiana würde höchstens den Kopf schütteln über Ordnungen, wie Adrian sie aufstellt. Für sie zählt nicht so sehr, was sie tut oder tun muss, sondern welche Perspektive sie damit verbindet. Putzen ist eine hässliche Tätigkeit, keine Frage – aber Daiana erträgt es, weil sie es als Übergangsstadium annehmen kann, ohne sich selbst dabei etwas vorzulügen. Sie hat einen Mastertitel in der Tasche, und auch wenn sie ihn bei der Jobsuche einstweilen für sich behält, könnte sie ihn jederzeit hervorholen. Ihre Arbeitgeberinnen üben ökonomische Macht aus – aber sie verfügt über die Macht des Wissens und Mit-Wissens. Nach fünf Jahren Psychologiestudium versteht sie, wie über Tabus nonverbal kommuniziert werden kann – oder durch Umschreibungen. Ob sie das Schlafzimmer auslassen soll, weil es schließlich ein ganz persönlicher Raum sei: Dort findet der Sex ihrer Arbeitgeberin statt – täglich, wöchentlich, monatlich, gar nicht. Ob es etwas gibt, worauf ihr Arbeitgeber besonders viel Wert legt: Ticks haben sie alle, manchmal an der Grenze zur Zwangsstörung oder bereits darüber hinaus. Ob die Regelung, Geld und Schlüssel zu hinterlegen, in Ordnung gehe: Wer zögert, hat etwas dagegen. Für prüde Arbeitgeber, Eigenbrötlerinnen und Menschen mit einer leichten Neigung zum Misstrauen zu arbeiten, ist erträglich. Kontrollfreaks hingegen, Sadisten und Diven, die glauben, sie seien etwas Besseres als sie, hält Daiana nicht aus. Denen kündigt sie binnen zwei Wochen. Auch wenn Daiana Schlagworte wie Solidarität als antiquiert und vom Kommunismus vereinnahmt begreift, in einem Punkt ist sie solidarisch: Sie warnt Chantal, Mirko, Svetlana und Nilufar – die vier, von denen sie weiß, dass auch sie in Floridsdorf Haushalte sauber machen – immer vor, wenn sie auf unerträgliche Arbeitsbedingungen stößt.

(S. 79-80)

© 2018 Residenz Verlag, Salzburg-Wien.

 

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