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Roman.
Innsbruck, Wien: Haymon Verlag, 2018.
211 Seiten, Hardcover, Euro 20,90.
ISBN: 978-3-7099-3433-3.
Autor
Rezension
Leseprobe:
Wir defibrillieren Schweine in Planschbecken. Für meine Dissertation. Wir narkotisieren die Schweine, lösen Kammerflimmern aus und defibrillieren.
Gestern war Adelheid dran. Adelheid ist eine zweijährige Sau und es geht ihr schlecht. In der Nacht habe ich sie vier Mal defibrilliert und jetzt flimmert ihr Herz schon wieder. Ich kontrolliere die Klebeelektroden auf ihrem Brustkorb und drücke den Knopf. Adelheid zuckt.
Sehr gut, sagt Ed, Sinusrhythmus. Ed ist Krankenschwester an der Onkologie und verdient sich im Tierversuchslabor ein bisschen Geld dazu. Eigentlich heisst sie Edna, aber alle nennen sie Ed, weil sie Edna nicht mag. Ich kann das verstehen. Ich heisse Benjamin Marius Maier. Marius benutze ich nicht. Das klingt, als hätten meine Eltern mich Maria nennen wollen, aber nicht den Mut dazu gehabt. Und Benjamin, nicht Ben. Ben klingt wie ein steifer Schwanz.
Ich kann Adelheids Puls in der Leiste kaum spüren. Er ist schwach, aber rhythmisch. Der Blutdruck am Monitor ist zu niedrig und ich sage zu Ed, dreh bitte das Adrenalin höher. Sie drückt ein paar Tasten auf der Motorspritze. Der Piepser piepst und Adelheids Blutdruck steigt.
Man kann Menschen nach einer Reanimation mit Wasser kühlen, um das Hirn zu schützen. Wenn es zu lange ohne Sauerstoff bleibt, geht es kaputt, und die Reanimation war sinnlos. Viele Patienten muss man aber oft defibrillieren, und dabei muss natürlich Strom fließen. Und keiner weiß, was passiert, wenn man das unter Wasser macht. Deshalb die Schweine und deshalb die Planschbecken.
Die Schweine sind sowieso Schlachtvieh. Bei uns bekommen sie gutes Futter und echtes Stroh, und am Ende gibt es eine Narkose, da bekommen sie vom Sterben gar nichts mehr mit. Es geht ihnen gut.
Um die Herzen zum Flimmern zu bringen, machen wir einen Schnitt in der Leiste und führen einen Katheter bis zum Herz. Man muss nah ran, damit es funktioniert. Es reicht aber nicht, das Herz mechanisch zu stimulieren, also es sozusagen anzustupsen. Man braucht einen elektrischen Reiz. An dem Katheter hängt ein Kästchen, das wie eine Bombe aus einem Film aussieht. Es ist eine Kunststoffschachtel mit Drähten, roten, gelben und blauen, und Drehrädern, die die Stromstärke regulieren. Damit kann man dem Schweineherz den elektrischen Schlag versetzen, den es braucht, um zu flimmern.
Ok, sage ich zu Ed, jetzt ist sie stabil, willst du einen Kaffee? Ed sagt, nein danke, ich muss in den Tagdienst.
Kommst Du morgen auf die Station?, fragt sie und ich sage, klar.
Ab morgen habe ich ein Praktikum auf Eds Station. Ich brauche noch vier Wochen Praktikum, drei Prüfungen und die Dissertation, und dann bin ich mit dem Studium fertig.
Onkologie interessiert mich nicht. Es war mir immer egal, wie sich die Chemotherapien von achtzig verschiedenen Lymphomarten unterscheiden. Falls überhaupt. Das einzig interessante Medikament ist Cyclophosphamid, von der Geschichte her. Das ist im Prinzip Senfgas, nur ein Atom ausgetauscht. Im Buch war das Molekül aufgezeichnet, also Senfgas und daneben Cyclophosphamid.
Wo soll ich morgen?, frage ich und Ed sagt, komm einfach nach der Personalabteilung auf die Station, ich zeige dir alles. Okay, sage ich, dann in der Früh auf der Station. Bis morgen, sagt Ed. Sie nimmt ihre Tasche, tätschelt Adelheid an der Wange und geht.
Ich sehe auf dem Überwachungsmonitor, wie sie am Gang neben der Pflanze stehen bleibt, Hydrokulturkügelchen vom Boden aufhebt und sie einzeln zurück in den Topf legt.
(S. 7f)
© 2018 Haymon Verlag, Innsbruck
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