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Janko Ferk: Kafka, neu ausgelegt.

Originale und Interpretationen.
Wien: Leykam Verlag, 2019.

112 S., gebunden, € 16,50.
ISBN: 978-3-7011-8133-9.

Janko Ferk

Wenn Janko Ferk in seiner neuesten Veröffentlichung "Kafka, neu ausgelegt. Originale und Interpretationen" Kafka einleitend zum "Urknall" (S. 7) in der modernen Literatur erklärt, so bringt er pointiert die Ausstrahlung und Wirkungsmacht, aber auch die – nicht nur der "Kafka-Industrie" entgegenkommende – Deutungsoffenheit seiner Texte zum Ausdruck. Diese Rahmung könnte als Ausdruck der Humilitas verstanden werden, jedoch ist der Anspruch des Autors keineswegs bescheiden, will er doch mit seinen drei Essays in einen kritischen Diskurs mit gängigen Interpretationslinien treten und seine juristische Expertise einbringen, um zu neuen Auslegungen zu gelangen, denn: "Vieles hat [jedoch] nur eine relativ geringe Schnittmenge mit dem, was Kafka gemeint haben kann." (S. 23f.) Dieses Unterfangen mutet umso vielversprechender an, wenn man schlaglichtartig über Janko Ferk selbst festhält: Promotion über Kafka, Richter des Landesgerichts Klagenfurt, Schriftsteller, Honorarprofessor für Literaturwissenschaften an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Gleichsam in Personalunion von Recht(swissenschaft) und Literatur(wissenschaft) nähert Ferk sich Kafka ihn "beim Wort nehme[nd]" (S. 8), sodass der Abdruck der gedeuteten Originaltexte nicht nur Sinn macht, sondern Programm ist: Dabei handelt es sich um die Texte "Ein Bericht für eine Akademie" (Erstabdruck im Oktober 1917 in der Zeitschrift "Der Jude. Eine Monatsschrift", Berlin, Wien), die beiden an Max Brod gerichteten Testament-Briefe (Herbst oder Winter 1921, 29. November 1922) und "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" (20. April 1924 in der Osterbeilage "Dichtung und Welt" der "Prager Presse").

Akribisch werden im ersten Essay Entstehungsgeschichte und mögliche Einflüsse auf "Ein Bericht" dokumentiert sowie das Genre und Thema eines Anpassungsvorgangs diskutiert. Als Angel- und Drehpunkt arbeitet Ferk heraus, dass der Ich-Erzähler Rotpeter aus der äffischen und menschlichen Perspektive berichten kann, seine Menschwerdung aber schließlich trotz exzessiven Lernens (Grundmotiv) scheitert. Der Autor identifiziert als "Schlüssel" zur Geschichte den Assimilationsdruck des jüdischen Volkes, kontextualisiert den von Kafka nicht unbemerkt gebliebenen grassierenden Antisemitismus und schildert die Situation der Jüdinnen und Juden, ehe er zu seinem Hauptargument vordringt: "Die Erzählung ist einzig und allein der verklausulierte Versuch, die Bemühungen der ka[f]kanischen Juden in der österreichisch-ungarischen Monarchie darzustellen, ihrem Judentum zu 'entfliehen' und sich zu assimilieren […]" (S. 37).

Im zweiten Essay werden die von Kafka an Max Brod gerichteten sinngemäßen testamentarischen Verfügungen dahingehend geprüft, ob und inwiefern sie den Merkmalen relevanter Rechtsnormen des ABGB entsprechen. Kafka musste als promovierter Jurist um die Bedeutung eines Testaments gewusst haben und daher stellt Ferk im Anschluss an diese Einsicht die Frage in den Raum, ob Kafka das Vernichten seiner Schriften tatsächlich intendiert haben konnte – eine Frage, die sich umso mehr stellt, wenn Brod sich schon zu Lebzeiten diesem Ansinnen verwehrt hatte: Wollte Kafka, der unfertige Texte nicht veröffentlicht sehen wollte, also sein "Schriftsteller-Dilemma" (S. 61) einfach nur seinem besten Freund überlassen? Ferk kommt zu dem inspirierenden Schluss, dass die Testamente als Literatur, als Parabeln zu verstehen sind.

In der Erzählung "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" sieht der Autor zweierlei: Einerseits in der Auseinandersetzung mit dem Künstlertum einen programmatischen Text, andererseits einen Hinweis auf die eigene Krankheit (Pfeifen). Kafka habe seine Zerrissenheit zwischen Brotberuf und Schreiben in die Geschichte "parallelverschoben" (S. 95). Er thematisiert sowohl die Erwartungen des Publikums als auch die für Kunst benötigte Freiheit und Schönheit der Literatur. Anhand der Erzählung exemplifiziert der Autor auch die Anlage der Figuren in Kafkas Erzählungen; es gebe immer eine zentrale Hauptfigur, um HeldInnen handle es sich jedoch nicht, sondern vielmehr um bereits Unterlegene.

Der hier vorliegende Band, dessen Umschlagillustration übrigens ebenfalls von Janko Ferk stammt, hält sein Versprechen ein, neue Sichtweisen auf ausgewählte Texte Kafkas zu vermitteln und lädt trotzdem auch zum Widerspruch ein, indem die Originale zum individuellen 'Überprüfen' mit abgedruckt werden. Sämtliche Aussagen werden mit Textstellen belegt – seien diese literarischer oder juristischer Art -, und zeigen beispielhaft auf, dass textimmanente Deutungen und biographisch-historische bzw. juristische Kontextualisierungen in keinem Widerspruch zueinander stehen müssen, sondern einander im Gegenteil soweit befruchten können, dass sie neue Textzugänge erschließen.

Miriam Houska-Normann
23.09.2019

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 


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