Leseprobe:
O.k., sagte TT und ging an mir vorbei aus der Küche und kam mit einem zusätzlichen Kleidungsstück zurück.
Damit mein Anzug nicht dreckig wird.
Ist das ein Morgenmantel?, fragte ich.
Ich saß TT gegenüber am Tisch. Ich sagte: Das nächste Mal bitte ohne das Hemd. Das nächste Mal bitte nackt mit schwarz-weiß gestreiftem Morgenmantel und rosa Krawatte.
TT fragte mich, ob ich jetzt endlich aufgewacht sei aus meinem allgemeinen Desinteresse aufgrund von Privilegiertheit: Du gehst nicht einmal aus Überzeugung nicht wählen oder höchstens aufgrund irgendwelcher missverstandener Anarchiegedanken, und jetzt ist deine autoritäre rechtskonservative Mutter Bundespräsidentin, gratuliere.
Ich schüttete wortlos den gesamten Feta auf meine Pasta.
Ich weiß, sagte TT, dein Marie-Antoinette-Gehabe ist nicht böse gemeint, sie hat es damals auch nicht böse gemeint.
TT griff nach seinem Glas und trank es leer, währenddessen schaute er mich an.
Ich sagte, dass ich ihn nicht ernst nehmen könne in dem Morgenmantel. Und welche freudsche frühkindliche Störung eigentlich für unser aggressives Kampfverhalten beim Essen verantwortlich sei.
TT sagte, dass er, wenn er den Unfall nicht gehabt hätte, eine höhere Tauglichkeit fürs Heer gehabt hätte und dann vielleicht zu den Gebirgsjägern gegangen wäre, wie es sein Vater gewollt habe, aber so habe er ein Jahr Zivildienst gemacht und da habe er zu denken begonnen.
Immer wenn ich mich daran erinnern möchte, was ich vor dieser Zeit gedacht habe, fällt mir nichts ein, sagte TT, lachte und stand auf.
Ich so: Was, was was? Was das für ein Unfall gewesen sei, dass ich diese Geschichte noch nie gehört hätte.
TT zog sich den Morgenmantel aus, hängte ihn über die Stuhllehne.
Jetzt muss ich zum Konzert.
Wow, sagte ich, und wie komme ich jetzt mit diesem Cliffhanger klar?
(S. 54-55)
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