logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   
Facebook Literaturhaus Wien Instagram Literaturhaus Wien

FÖRDERGEBER

Bundeskanzleramt

Wien Kultur

PARTNER/INNEN

Netzwerk Literaturhaeuser

mitSprache

arte Kulturpartner

traduki

Incentives

Bindewerk

kopfgrafik mitte

Leseprobe: Christine Grän - "Dame sticht Bube"

Leichen in allen Erscheinungsformen, Leichen in Teilen oder auf Glasplättchen zur histologischen Untersuchung gepreßt, waren mein Wiener Brot in der Sklavenzeit der Facharztausbildung. Wenn man sich erst an den alles durchdringenden Geruch des Todes gewöhnt hatte, war die Pathologie ein weit angenehmerer Ort als das Allgemeine Krankenhaus. Es war still und beschaulich. Kühl. Die Lebenden gingen sorgfältig mit den Toten um, denn es gab ihrer nicht allzu viele. Meine erste selbständige Sektion war eine alte Frau mit akuter Pankreatitis, die mich fast zur Verzweiflung brachte, weil sie von einer schönen Wiener Leich' weit entfernt war. Als ich sie aufschnitt, hatte der Zerfall der Bauchspeicheldrüse mit Nekrosen ihren Bauch in eine rotbraune Matsche verwandelt, so daß einzelne Organe kaum noch zu erkennen waren. 'A Sauerei', wie der Pathologe kommentiert, der während der Sektionen Pfefferminzbonbons lutschte und mich dabei beobachtete wie ich in dem Gewebsbrei nach der Leber suchte und anhand der abnormen Fettanreicherung in der Leber sowie der Fettgewebsnekrosen und dem vom Pathologen gesummten Lied 'Es wird a Wein sein, doch mir wern nimmer sein' zu dem Befund kam, daß die Frau vermutlich infolge von Alkoholabusus an akuter Erkrankung der Bauchspeicheldrüse verstorben war. Wir feierten meine erste Sektion beim Heurigen, wo der Pathologe mir riet, Gerichtsmedizinerin zu werden, weil dies seiner Meinung nach die interessantere Variante des Berufs sei. 'Sie kriegen jede Menge Leichen und können auch noch a bissel Detektiv spielen. Wenigstens am End' sollt' man wissen, wie einen das Leben umgebracht hat'.(S. 195f.)

Die Familienrichterin sprach das Sorgerecht für Alexander dem Vater zu, mit abwägenden Begründungen, die ich nur in Wortfetzen registrierte. Sie sah mich teilnahmsvoll an bisweilen und wie mir meine Anwältin hinterher versicherte, wurde das Besuchsrecht für die Mutter sehr großzügig geregelt. Der Vater erhob keinen Einspruch. Am Ende standen alle auf, dann war es endgültig vorbei. Die Anwälte schüttelten einander die Hände, ich hielt meine hinter dem Rücken verschränkt. Doch ich sah Fabians triumphierenden Blick. Ich habe gewonnen, sagte er, und ich habe nichts Geringeres erwartet. Ich hasse dich, sagte meiner. Es war ein starkes Gefühl, das sich vor den Schmerz schob. Alles, was ich noch an Kraft hatte, war darauf konzentriert, ihm keinen Schmerz zu zeigen. Ich dankte meiner Anwältin für ihre Bemühungen und verließ das Gerichtsgebäude. Die Sonne schien, und niemand beachtete meine Trauer, als ich zu Fuß nach Hause ging. Es war ein weiter Weg. Menschen, die mir nichts bedeuteten, und Häuser, die nicht einstürzten. Ich überquerte die Straße bei roter Fußgängerampel. Ein paarmal, doch nichts geschah außer kreischenden Bremsen und Hupen. Es war vorbei. Jemand hatte unter neun Jahre meines Lebens einen Strich gezogen und als Summe eine Null eingesetzt." (S.375f.)

(c) 1997, Albrecht Knaus, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Sehr geehrte Veranstaltungsbesucher
/innen!

Wir wünschen Ihnen einen schönen und erholsamen Sommer und freuen uns, wenn wir Sie im September...

Ausstellung

Tipp
OUT NOW: flugschrift Nr. 35 von Bettina Landl

Die aktuelle flugschrift Nr. 35 konstruiert : beschreibt : reflektiert : entdeckt den Raum [der...

INCENTIVES - AUSTRIAN LITERATURE IN TRANSLATION

Neue Buchtipps zu Ljuba Arnautovic, Eva Schörkhuber und Daniel Wisser auf Deutsch, Englisch,...