Gedichte.
Salzburg: Otto Müller Verlag, 2009.
79 S., geb.; Euro 18,- [A].
ISBN 978-3-7013-1157-6.
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Was erwartet uns, wenn wir Christine Haideggers neue Gedichte in Augenschein nehmen? Stilistische Experimente, syntaktische Umbrüche oder etwa kreative Wortschöpfungen? Derlei Erwartungen erfüllt die mit konventionellen sprachlichen Mitteln operierende Lyrikerin keinesfalls. Eine Handvoll versatzstückhaft angeordneter und leitmotivisch wiederkehrender Bilder wie "Herz", "Wort", "Asche" oder "Sonne" genügt, um die im Zeichen von Begegnung, Trennung und Sehnsucht stehenden Verse zu schaffen. Klare, einprägsame Metaphorik führt bruchlos vom Titel zum lyrisch vertieften Thema. Einsinnige Schönheit scheint hier als durchgängiges Motto zu walten.
Haideggers Gedichte repräsentieren eine sehr persönliche Auseinandersetzung des lyrischen Ich mit einem Du, das sich je und je entzieht, gleichsam als ob es ihm darum zu tun wäre, die komfortable Beständigkeit der Zweisamkeit zu vereiteln. Wahrscheinlich bedarf es eines gewissen Maßes an Schmerz oder Euphorie, um sich an Liebesgedichte heranzuwagen, und bisweilen wagt sich die Dichterin zu weit vor. So etwa, wenn sie ihren Gefühlen allzu freien Lauf lässt und explizit wird, wo Andeutungen alles und noch mehr sagen würden. Haidegger neigt in diesem Punkt bisweilen zur Sentimentalität, womit selbst die handwerkliche Meisterschaft ihrer Verse nicht zu versöhnen vermag.
Stärkeren Eindruck hinterlassen die der Kindheit gewidmeten Gedichte. Die Beschwörung der Vergangenheit gelingt Haidegger auf überzeugende Weise, vielleicht weil die zeitliche Distanz läuternd auf den dichterischen Impetus wirkt und das lyrische Ich sich bereits in die Unwiederbringlichkeit dieses frühen Paradieses geschickt hat. Was ihm die Zeit entrissen hat, wird so fast schmerzlos ins Jetzt der Dichtkunst überführt. "Sommerabende", "Holunderblüten" und "der offene Himmel über den Dörfern" vermitteln in der Art der Genremalerei beredten Einblick in eine versunkene ländliche Kultur, die im Rhythmus der Jahreszeiten atmete, ohne atemlos zu werden.
Spätestens seit Schillers Traktat Über naive und sentimentalische Dichtung wissen wir aber, dass der Weg nach Arkadien versperrt bleibt, und diesen Verlust "hat alle Kunst der Poeten nicht gut machen können". Es kommt daher nicht von ungefähr, dass sich Grenzerfahrungen wie Krieg oder Tod in die angedeuteten Haidegger'schen Idyllen drängen, ohne indes den uneingestandenen Wunsch nach Beruhigung und Heilung abzutöten. Gerade diesem Zuviel an Information, an Kommunikation, an Ordnung und Überwachung, dieser wuchernden Komplexität moderner Zivilisation verdankt sich dann auch eine nicht nur in Haideggers Lyrik spürbare Antithese, die sich als Rückkehr zur Einfachheit paraphrasieren lässt. An diese Essenz, die ein Leben ausmachen könnte, tastet sich die Dichterin getreu dem Titel behutsam heran: "Herz.Landschaft.Licht" wären gemäß dieser Lesart die allegorischen Pfeiler, auf denen alles Dasein gründet – ein Dasein freilich, das den Tod als ständigen Mit- und Gegenspieler längst akzeptiert hat: "Die Schuhe unter dem Bett/sind schwarz/Ihre Spitzen/zeigen zur Tür." Von ihm solcherart zu reden ist schlichtweg sublim und lässt auch die von der Autorin in menschlicher Hinsicht zurückgelegte Strecke erahnen.
Was liegt also näher, als einem toten Dichter in einem eigenen Zyklus ihren Respekt zu bezeigen? In Trakl, dem Salzburger, erkennt die in der gleichen Stadt wohnhafte Dichterin eine verwandte Seele. Wie selbstverständlich stellt sie fest, dass ihre Biografien solche Ähnlichkeiten aufweisen, "als wären unsere Landschaften / austauschbar / [...] / als hätten die Großmütter / mit graugekautem Brot / unsere Münder gefüllt". Hier begreift die Jüngere den viel Älteren und besitzt ein intuitives Wissen über ihn, das die nachgetragene Liebe plausibel macht und legitimiert zugleich: "Und es gab keine Zeit / in der wir nicht / – du und ich – / eins waren / in jeglicher Sprache der Liebe." Dies ist Dichtung, die bleiben wird und das Messen mit dem Vorbild zum Dialog zwischen Ebenbürtigen macht.
Walter Wagner
16. Februar 2009
Originalbeitrag
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