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Ulrike Hutter: Wienfluss.

Kriminalroman.
Wien: Edition Selene, 2001.
111 S., öS 298,60.-,
ISBN 3-85266-163-3.

Link zur Leseprobe

"Auf dem Grund des Donauflusses liegt der Palast des Donaufürsten. In diesem Palast aus Glas und Kristall hält er die Seelen der Ertrunkenen gefangen. Seine Töchter, die Nixen, sind wunderschöne Wesen, und sie haben es besonders auf junge hübsche Burschen abgesehen. Wer sich in eine von ihnen verliebt, der muss bald ertrinken."

Das ist jene Geschichte, die in der Wiener Sage vom Donauweibchen ein Fischer seinem Sohn erzählt - der am Ende einer solchen Donaunixe verfallen und auf der Donau verschollen gehen wird. H. C. Artmann und Gerhard Rühm haben Ende der Fünfziger diesen Stoff in "ein wiener fernsehdramolett" abgewandelt (dieses "Drehbuch" wurde viele Jahre nach seiner Fertigstellung trotz seiner Sperrigkeit verfilmt). Artmann und Rühm machen das Donauweibchen zu einer Wanderin zwischen den Welten. Elfi, so der Name der Nixe, verlässt ihr nasses Zuhause und trifft im Wiener Stadtteil Ottakring auf "Burli". Als dieser der Nixe zu verfallen droht, unternimmt seine Freundin einen Selbstmordversuch - Artmanns und Rühms "Donauweibchen" endet im Kleinbürgerlichen der Wiener Vorstadt-Bassenawohnungen.

Im Wiener Kleinverlag Edition Selene - aus dessen Stall der heurige Bachmann-Preisträger Michael Lentz kam (mittlerweile ist er natürlich bei einem deutschen Verlag unter Vertrag) - erscheint dieser Tage ein mutiges Debüt, das sich in diesem motivischen Umfeld ansiedelt. Mutig, weil gerade Kleinverlage nicht im seit einiger Zeit unter großen deutschen Verlagen stattfindenden Lizitationsrennen bei Debüts mithalten können und die Investition in eine neue Stimme immer mehr zur Ausnahme denn zur Regel wird. Mutig, weil die 1958 in Lustenau geborene und mittlerweile in Bregenz und Wien lebende Ulrike Hutter sich mit ihrer Erstveröffentlichung nicht nur in phantastische, übernatürliche Gefilde begibt, sondern ihren Text mit der Bezeichnung "Kriminalroman" auch in eine gewichtige Traditionslinie stellt. Bereits einige Schriftsteller Vorarlberger Herkunft profilieren sich in diesem Metier, ob man nun an den "Altmeister" Kurt Bracharz oder an Jürgen Benvenuti denkt. Aber nicht zuletzt die Kürze des Texts (111 Seiten) lässt den Begriff "Krimimutation", wie ihn die Verlagsvorschau verwendet, passender erscheinen.

Denn was Ulrike Hutter in ihrem Debüt liefert, ist trotz "klassischem" Personal (Leiche, Mörder, Komissar) alles andere als ein konventioneller Krimi. Am Anfang steht zwar eine Leiche (der "im Schilf liegende starre Körper der Gerda Krajicek" mit "zertrümmertem Kopf"), aber im Mittelpunkt steht ein seltsames Wesen, das uns auf allen Vieren durch das Schilf der Donauauen kriechend vorgestellt wird. Dieses Wesen, das da neben der Frauenleiche auftaucht, hat etwas Nixenhaftes (es klaubt sich Muscheln aus dem langen, gewellten Haar). Bald wird klar, dass dieses Donauweibchen "eine neue Gerda K.", also eine Wiedergängerin, so etwas wie der Fleisch gewordene Geist der Ermordeten ist. (Dieser osmotische Übergang zwischen Leben und Tod erinnert sehr an Jelineks "Die Kinder der Toten".) Die untote Gerda K. macht sich auf den Weg in die Innenstadt Wiens und stiftet durch ihre wilde Erscheinung allerlei Unruhe. Damit nicht genug, dieses Wesen, das über keine sozialen Erfahrungen zu verfügen scheint, erschießt zwei Menschen, als sie durch ihr unorthodoxes Verhalten in Konfliktsituationen gerät.

Was neben ihrem ungewöhnlichen Äußeren Gerda K. so unorthodox macht, ist vor allem ihre Sprachlosigkeit. Die Untote kann nicht sprechen, sie lauscht sich Laute aus der Umgebung ab und reproduziert diese. Sie ist wie ein unbeschriebenes Blatt, das Gehörte ("Lautnahrung") schreibt sich in ihr Gedächtnis ein. An diesen Stellen scheint der Text sich einer Sprachkritik zu nähern - Gerda K. erbricht immer wieder den gehörten Lautmüll. Aber diesbezüglich bleibt Hutter im Vagen. Konkreter wird die Autorin, wenn es um die Adressaten dieser (vermeintlichen?) Kritik geht. Lautmüll wird vornehmlich von Männern produziert. Die Männer - genauer gesagt, zwei von ihnen - müssen denn ihre Aufdringlichkeit auch mit dem Leben bezahlen. Hutter bleibt in diesem Belang allerdings nicht stringent, die Aufdringlichkeit soll nicht nur in der Figurenrede evident werden, die Autorin will die Zielrichtung ihres Textes offensichtlich durch Ironie oder Sarkasmus verdeutlichen, was stellenweise wie die Umsetzung eines Deix'schen Pandämoniums wirkt, aber oft platt bleibt: Den ungustiösen, nach Alkohol stinkenden Mann bezeichnet sie dann als "den freundlichen Wiener" oder "den charmanten Herrn", den "Schilfmörder" - also den Mörder Gerdas - als "doch recht sympathischen Österreicher".

Solche Details sind in ihrer Menge doch störend, aber grosso modo gelingt es Hutter stimmig, ein dichtes Motivnetz über ihren "Roman" auszubreiten. In all seinem Summen, Sausen, Brausen, Rauschen und Schwimmen - den Lieblingswörtern des Romans -, mit all seinen unter- und oberirdischen Wassern verdichtet sich "Wienfluss" zu einem wahren Flüssigtext (auch das hat er mit Jelineks Opus magnum gemein), selbst die Schwiegermutter des Mörders hat "Wasser in den Beinen".
Man mag der Autorin nicht immer gleich gern folgen bei allen magisch-exaltierten Phantasien, man mag sich an den sprachlichen Ungenauigkeiten stoßen, die motivische Stringenz und der geschickte Ablauf der Erzählebenen machen diesen Versuch, in einer phantastischen Umkehrung als "Donauweibchen" - ob Hutter nun auf die Sage Bezug nimmt oder nicht - die Opferrolle der Frau umzudrehen oder sie zumindest zu variieren, spannend. Das Ende ist zudem sehr geschickt komponiert, alles Vorhergehende gerinnt in einem Augenblick.
Ein mutiges Debüt.

 

Wolfgang Straub
17. September 2001

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