Ich starb
6840 Meter über dem Meeresspiegel
am vierten Mai im Jahr des Pferdes.
Der Ort meines Todes
lag am Fuß einer eisgepanzerten Felsnadel,
in deren Windschatten ich die Nacht überlebt hatte.
Die Lufttemperatur meiner Todesstunde
betrug minus 30 Grad Celsius,
und ich sah, wie die Feuchtigkeit
meiner letzten Atemzüge kristallisierte
und als Rauch in der Morgendämmerung zerstob.
Ich fror nicht. Ich hatte keine Schmerzen.
Das Pochen der Wunde an meiner linken Hand
war seltsam taub.
Durch die bodenlosen Abgründe zu meinen Füßen
trieben Wolkenfäuste aus Südost.
Der Grat, der von meiner Zuflucht
weiter und weiter
bis zur Pyramide des Gipfels emporführte,
verlor sich in jagenden Eisfahnen,
aber der Himmel über den höchsten Höhen
blieb von einem so dunklen Blau,
daß ich darin Sternbilder zu erkennen glaubte:
den Bärenhüter, die Schlange, den Skorpion.
Und die Sterne erloschen auch nicht,
als über den Eisfahnen die Sonne aufging
und mir die Augen schloß,
sondern erschienen in meiner Blendung
und noch im Rot meiner geschlossenen Lider
als weiß pulsierende Funken.
(S. 9 f)
© 2006, S. Fischer Verlag, Frankfurt / M.