Die Biene ist ein Organismus, der sich aus allen Bienen eines Bienenvolkes zusammensetzt. Er hat kein bestimmtes Aussehen. Einmal, im Winter, ist er eine Traube aus Insekten, dann wiederum kann er sich kilometerweit in alle Richtungen ausdehnen und kaleidoskopisch die bizarrsten Formen annehmen - ganz, wie es die Futtersuche erfordert. Er ist ein ungewöhnliches, in sich tanzendes und pulsierendes Tier aus frei beweglichen Körperzellen, das eher dem flüssigen oder gasförmigen Aggregatzustand zuzurechnen ist als dem festen.
Als vor fünf oder sechs Jahren der Imkermeister Zmugg mit seinem Sohn 40 Stöcke unmittelbar in der Nähe meines Hauses in Obergreith in der Steiermark aufstellte, beschäftigte mich gerade das Problem der wechselnden Perspektive im Roman, die es mir ermöglichen sollte, Hunderte kleine und größere Geschichten miteinander zu verbinden. Ich wandte mich statt dessen aber den Bienen zu. Meine ersten eingehenden Erkundungen holte ich über den Giftstachel ein.
Der Bienenstachel besteht aus zwei spitz zulaufenden Borsten, die Widerhaken aufweisen. Durch Muskelzug und Hebelwirkung stößt er aus der Stechkammer des Hinterleibes, sägt sich in die Oberfläche des Widersachers und verankert sich mit den Widerhaken. Das ist auch gleichzeitig das Verhängnis der Bienen, denn beim Wegfliegen verlieren sie den ganzen Stachelapparat samt Nervenknoten und Giftblase und gehen innerhalb eines Tages an den inneren Verletzungen zugrunde.
Die Haut des Menschen und der Säugetiere ist nämlich elastisch und zieht sich um die Zähnchen des Stachels zusammen. Anders wenn die Biene ein Insekt sticht, denn aus dessen Chitinpanzer kann sie ihren Stachel unbeschadet wieder herausziehen.
Das Universum der apis mellifica, der Honigbiene, ist voller kafkaesker Gesetze, voller Strafkolonie, Verwandlungs- und Prozeßgeschichten, es wäre ein blutiger Stoff für einen Bienenschriftsteller, könnten die Bienen schreiben.
(c) 1997 FOLIO, Wien, Bozen.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.