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Leseprobe: Sebastian Vogt - "Legenden und ein Söhnchen."

Der Sultan von Delhi

Zunächst hatten die Minister ersucht, das Ungeheuerliche vor dem Sultan geheim zu halten, dann hatten aber eifersüchtige Diener es einander ins Ohr geflüstert, weshalb es schließlich ans Licht kam. Der Sultan fand also an einem Morgen neben seiner Schlafstatt ein Schreiben, in dem zu lesen stand, dass Schmähbriefe über eine Mauer in den Audienzsaal geworfen worden waren. Ziel des Spotts der Briefe war der Sultan selbst. Er lebe in einem Palast, in dem die Minister regierten, er aber bloß eine lächerliche Figur sei. Gespannt wartete die Dienerschaft, wie der Sultan mit den Ministern, zu denen sie stets in Opposition standen und die sie eifersüchtig beäugten, verfahren würde.
Zunächst fühlte sich der Sultan in seiner Ehre zutiefst gekränkt, verlangte, dass ihm die Briefe vorgelegt würden, mit eigenen Augen wollte er sehen, wie die Bewohner Delhis über ihn dachten. Er konnte nicht glauben, dass seine Untertanen, denen er immer ein gütiger Herrscher hatte sein wollen, ihn so der Lächerlichkeit preisgaben. Auch fühlte er sich seines Lebens nicht mehr sicher, wenn schon Spötter bis an die Mauern des Audienzsaals herankamen; Mördern wäre es dann ein Leichtes, diese Mauer zu übersteigen, in das Innere des Palastes einzudringen. Er sann nach einem Plan, wie er sich nicht bloß an seinen Ministern, sondern an allen Einwohnern Delhis rächen könnte.
Das Schreiben, das vom Sultan schließlich an seine Minister ergangen war und von dort seinen Weg zu den Einwohnern Delhis fand, war in seiner Rigorosität unfassbar. Der Sultan verlangte nichts weniger, als dass alle Einwohner die Stadt innerhalb von drei Tagen zu verlassen hätten, wer dann noch in den Straßen und Gassen Delhis angetroffen werde, müsse mit seinem Tod rechnen. Jeden Einwohner hatte er im Verdacht, er könnte die Schmähbriefe über die Mauer in den Audienzsaal geworfen haben, sodass er alle Einwohner der Stadt verwiesen sehen wollte. Er allein, freilich mit seiner Dienerschaft, sollte der letzte, der einzige Bewohner Delhis sein, ehe er die Stadt in Brand stecken würde.
Nach Ablauf der Frist von drei Tagen, auf Ochsenkarren oder schwer bepackt zu Fuß hatte sich ein Menschenstrom aus der Stadt bewegt, fand man in den Straßen von Delhi einzig noch einen Krüppel und einen Blinden. Seine Drohungen wahr machend, befahl der Sultan, dass der Krüppel auf einem Katapult aus der Stadt geschossen werden solle, der Blinde solle aber von einem Pferd vierzig Tage um die Stadt geschleift werden. Der Krüppel überlebte den Katapultschuss nicht, und vom Blinden war nach Ablauf der vierzig Tage nur noch ein Bein übrig, der Rest war in Fetzen zerfallen.
Als solcherart in der Stadt Delhi keine Menschenseele mehr anzutreffen war, einzig noch ein paar einsame Hunde in den Straßen kläfften, befahl der Sultan, an allen Ecken Feuer zu legen. Hoch stiegen die Flammen in den Himmel, Rauchschwaden zogen meilenweit in das Land, der Sultan aber stand in seinem Palast, blickte auf den Brand und sagt: "Jetzt ist mein Herz ruhig und mein Zorn beschwichtigt."
(S. 121-123)

© 2008 Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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