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Manfred Wieninger: Kalte Monde.

Ein Marek-Miert-Krimi.
Innsbruck, Wien: Haymon 2006
236 S.; geb.; EUR 18.90
ISBN 3-85218-514-9.

Link zur Leseprobe

Böse gibt es viele: BMW-Fahrer, Villenbesitzer, Politiker, Sensationsjournalisten, Vorstandsvorsitzende, Globalisierungsgewinner, kurz: Großkopferte.
Gute gibt es wenige, und die sind Außenseiter: einen Volksschuldirektor, der illegale Ausländerkinder aufnimmt und suspendiert wird, eine aufrechte Altkommunistin, eine an ihrem früheren Chef gescheiterte Taxifahrerin und den "Diskontdetektiv" Marek Miert. Dieser abgehalfterte Kriminalpolizist ist eine Art Ein-Mann-Gallierdorf, das hartnäckigen Widerstand gegen die allgegenwärtigen braunen Umtriebe leistet, gegen den Neokapitalismus, den Abriss seines alten Zinshauses, gegen die Amerikanisierung der Esskultur, gegen Firlefanz, Schnickschnack und den Zeitgeist ganz allgemein. Gottseidank hat Miert einen wirksamen Zaubertrank (Bordeaux), und gottseidank sind rund um das gallische Dorf die Wildschweine (Pferdeleberkäsesemmeln) noch nicht ganz ausgestorben.

Einsatzort des übergewichtigen, verschrobenen und einsamen Helden ist Harland, eine imaginäre Provinzhauptstadt in der Nähe von Wien. Versatzstücke aus Hauptstadt und Provinz, wie ein verfallender Karl-Marx-Hof, alte, grindige Beiseln mit abgewetzter Resopal-Einrichtung sowie schäbige Würstelstände samt den dazu passenden Typen machen dieses Harland zu einer tristen Rumpelkammer österreichischer Ungemütlichkeit. "In diesem Land hat der Hass immer Saison", heißt es einmal. Noch dazu ist Winter.

Unter der bleiernen Oberfläche Harlands brodelt es: Ein rechtspopulistischer Politiker versucht, sich durch inszenierte Attentate interessant zu machen und ruft eine neonazistische Bürgerwehr ins Leben, sein Assistent ist in Messerstechereien im Rotlichtmilieu verwickelt, im Altersheim sterben auffallend viele Patientinnen, nachdem sie ihr Testament zugunsten des Heims geändert haben, die mit internen Machtkämpfen beschäftigte Polizei verprügelt unschuldige Ausländer in finsteren Verhörzimmern, inländische Serienmörder bleiben unbehelligt, und die geldgierigen Einwohner der Stadt sind hinter einer räudigen Katze her, auf deren Pfleger ein Millionenerbe wartet.

So viele Klischees auf einmal kann natürlich niemand ernst meinen. Vor allem Marek Miert wirkt wie ein Konzentrat aus sämtlichen am Leben gescheiterten Krimi-Schnüfflern der Literaturgeschichte. So passt es durchaus, dass er tief in die Kiste mit den coolen Sprüchen greifen und dort Sager hervorholen darf wie "'An die Gerechtigkeit glaube ich inzwischen nur mehr, wenn ich ordentlich betrunken bin', sagte ich. Ich hinterließ einen guten Geruch und diesen Satz." In der Suada des dauergrantelnden Miert funkelt die eine oder andere schwarze Perle, und wer anatomisch-deftige Vergleiche mag, wird voll auf seine Kosten kommen. Da schnarcht jemand "wie ein frischer Luftröhrenschnitt", Gassen sind "kurz wie der Darm eines Fleischfressers", die Quellen eines schlecht informierten Informanten "sprudeln so üppig wie der Harnstrahl eines Prostatapatienten".

Zwischen solchen Trouvaillen sind allerdings Durststrecken zu überwinden. Wenn Miert der Schmäh ausgeht, ist das für ihn noch lange kein Grund, nicht weiterzuschimpfen. In etwas gezwungen witzigen Textpassagen bezweifelt er dann, "ob ein österreichischer Parlamentarier zu so etwas Konstruktivem wie dem Lesen und Verstehen einer Rechnung überhaupt fähig" ist, oder regt sich darüber auf, dass "[e]in Liter Milch beispielsweise aus einem Stall im Ort X zuerst durch halb Europa und diverse Fabriken und Kühlhäuser kutschiert [wird], um dann nach mehreren Tagen zum Beispiel wieder in X anzukommen - und wie gebrauchter Schaumgummi zu schmecken." Immerhin haben die Puffs für die derart beschäftigten Fernfahrer "rund um die Uhr im wahrsten Sinne des Wortes offen".

Der Handlung von "Kalte Monde" geht es ähnlich wie dem Sprachwitz - die Luft ist draußen, bevor das Buch zu Ende ist. Die Geschichte des rechtsradikalen Möchtegern-Märtyrers verläuft ziemlich bald im Sand, die der Millionenkatze kommt nicht so recht vom Fleck. Worum es bei der Intrige um Mierts ehemaligen Boss eigentlich geht, ist solange unklar, bis sie sich von selbst erledigt. Die Morde im Altersheim werden zwar angedeutet, aber nicht weiterverfolgt, und schließlich kann auch ein Lustmord samt Ausländer-Pogrom fünfzig Seiten vor Schluss so wenig für Spannung sorgen wie die eingestreuten Erinnerungen des Detektivs an nicht wirklich bessere Zeiten.

Wohlgemerkt: Es passt zur Genre-Parodie, dass Marek Miert im Gegensatz zu seinen prominenten Vorgängern keinen einzigen Fall löst, sondern ein ums andere Mal scheitert, zu spät kommt, oder erst im Nachhinein kapiert, was eigentlich los war. Auch das getreue Zerrbild so mancher österreichischen Realität, das Manfred Wieningers Harland mitsamt seinen Bewohnern abgibt, trieft zwar vor political correctness, ist aber durchaus stimmig. Schade ist allerdings, dass sich Wieninger in "Kalte Monde" damit begnügt, viele Geschichten anzureißen, dann aber keine davon wirklich erzählt. So bleibt in Harland alles beim Alten, und man fragt sich am Ende des Buches, ob die Resignation, die sich beim wieder einmal gescheiterten Marek Miert breit macht, nicht eine Spur zu ansteckend geraten ist.

 

Georg Renöckl
30. Oktober 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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