Eine Geschichte der Bibliothek.
A. d. Amerikan.: Sophia Simon.
Düsseldorf: Patmos, 2003.
256 S.; geb.; m. Abb.; Euro (A) 25,60.
ISBN 3-538-07165-9.
Wer sich von Matthew Battles Buch erwartet, was der Untertitel verspricht, wird enttäuscht sein. Der junge Bibliothekar der Bibliothek der Harvard University streift zwar einige markante Kapitel der Bibliotheksgeschichte, das ganze ergibt aber keinen Überblick, sondern eher sprunghafte Streiflichter zum Thema.
Ausgangspunkt ist der sehr persönicher Zugang eines Bibliothekars im Informationszeitalter: Wie sind die Menschen mit ihrem Wissen in Buchform zu verschiedenen Zeiten umgegangen? Wie ließen und lassen sich die ständig wachsenden Bücherfluten organisieren? Jede Form von apokalyptischer Implikation wehrt Matthews dabei mit historischen Vergleichen ab. Schon bei Einführung des Zettelakatolgs war der Begleittenor die laute Klage über die unbändigbare Bücher und Wissensflut - bis in die Sprachbilder den Klagen sehr ähnlich, die den Technologiesprung zu Online-Katalog und Neuen Medien begleitete.
In vier historischen Kapiteln betrachtet Matthews Zustand und Rolle der Bibliothek in der Antike und der Renaissance, die Etablierung der angloamerikanischen Bibliotheken ab dem 18. Jahrhundert und einen kurzen Abriss zum Thema Buchverbrennungen. Die Qualität der einzelnen Abschnitte ist unterschiedlich, Interessantes kann man in allen finden. Etwa die aus zeitgenössischen Zeugnissen rekonstruierte, sehr anschauliche Darstellung des Handlings der Buchrollen in der Bibliothek von Alexandria oder der politische und psychologische Konnex vom Bau der chinesischen Mauer und der größten Bücherverbrennung der alten Welt unter Shi Hung im 3. Jhd. v. u. Z.
Die Wiedergeburt der antiken Buchkultur in Florenz und Rom mit der "Erfindung" des alphabetischen Prinzips ist eher dürftig geraten, Klosterbibliotheken kommen gar nicht vor. Sehr kundig und hier auch wirklich unterhaltsam ist hingegen das ausführliche Kapitel über die angloamerikanische Bibliothekskultur. Die Überschrift "Die Bücherschlacht" gibt den Schwerpunkt vor. Es geht um den Kampf zwischen alten und neuen Formen der Wissenskultur und um die fortwährenden Polemiken gegen die durch den Buchdruck ausufernden Buchproduktion, ein Kampf, den Swift in seiner "Bücherschlacht" die Bücher selbst austragen lässt.
"Das Rinnsal der Literatur ist zu einem Sturzbach angewachsen", schrieb Washington Irving beim Besuch der British Library, als diese 51.000 Bücher zählte und die Debatten über den Umgang mit dem Problem der zunehmenden Quantität, die zugleich als Zeichen sinkender Qualität wahrgenommen wird, sind seither nicht mehr verstummt. Die ständig wachsenden Quantitäten stellten die Bibliotheken auch vor organisatorische und verwaltungstechnische Herausforderungen, die zur Invention von neuen Katalogsystemen wie Deweys Dezimialklassifikation ebenso führten wie zur Verwissenschaftlichung der Ausbildung für Bibliothekare.
Die Endlichkeit von Bibliotheken thematisiert Matthews in einem eigenen Kapitel, das die Geschichte der zweimaligen Zerstörung der Bibliothek von Löwen durch die Deutschen im Ersten und Zweiten Weltkrieg ebenso erzählt wie jene der bosnischen Nationalbibliothek von Sarajewo.
Obwohl sich Matthews um einen lockeren Plauderton bemüht und Nachweise im Text vermeidet, ist das Buch nicht eigentlich leicht lesbar. Eine bessere Strukturierung und eine klarerer Aufbau hätte vielleicht mehr Leserfreundlichkeit erreicht als der betont persönliche Zugang, der die Figur des Autors mitunter direkt in die dargestellte Szenerie einbringt. Wenig hilfreich ist leider auch das völlig unübersichtliche und spärliche Literaturverzeichnis im Anhang. Vielleicht ist Matthews Buch von der Präsentationsform her damit ein guter Beweis dafür, dass der aktuell als "neu" verstandene Umgang mit Wissensvermittlung nicht immer der peppigere sein muss.
Evelyne Polt-Heinzl
22. Oktober 2003
Originalbeitrag