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Leseprobe: Reinhard Kaiser-Mühlecker - "Magdalenaberg."

"Und jetzt", sagte ich, "was kommt jetzt." "Was jetzt kommt?" fragte sie. "Nichts kommt jetzt. Wenn etwas aus ist, kommt nichts mehr."
"So, so", sagte ich. "Das kann ich mir aber nicht vorstellen."
Ich gähnte. Vor mir stand die Flasche; es war beinah nichts mehr drin, und der Spiegel dieses Bisschens zitterte und blinkte im Licht. Ich sah nun nichts mehr schwimmen. Ich wollte schlafen, denn verstehen konnte ich das alles ohnehin nicht, wie mir schien. Was sollte das? Mir kam die ganze Welt sehr weit weg vor. Weder Schnaps noch Reden hatten mich befeuert.
Ich erinnerte mich, wie die Welt von mir weggerückt war, als ich die Nachricht von Wilhelms Tod bekommen hatte, wie sie weggekippt war, wie eine ungeheure Müdigkeit über mich gekommen war, die mich lähmte. Sie, dieWelt, war wie ein Ball, auf den ich gestarrt hatte, und der plötzlich weggeschlagen, weggekickt wurde, und mein Blick blieb starr und fand nichts mehr, wurde leer und sinnlos. Ich dachte an das Begräbnis (...). Das plötzlich faltenlose Gesicht der Mutter, die hellen leeren Augen des Vaters; sie hatten sich aufgehellt auf einmal, und sein ganzes Gesicht war plötzlich wieder jung geworden für ein paar Tage. Die Welt war von mir weggerückt, war vornübergekippt, oder vielleicht war doch ich es, der gekippt war in diesem Moment jedes Gefühl für die Zeit verloren hatte. Es ist, als stecke ich in diesem Damals fest, Herbst 2005.
(S. 160ff)

Es gab so vieles, woran ich dachte. Etwa dachte ich an früher, daran, wie es war, als wir am Morgen mit dem Fahrrad in die Messe fuhren, dachte an die nassen Grashalme im Graben neben der Straße. Manchmal, wenn es in der Nacht stark geregnet hatte, lagen sie fast, waren wie geduckt. Oder ich dachte an das Blinken der ersten Sonne durch die Bäume, der Beginn eines Tages, oder an die orangefarbenen, zwischen die Speichen geklemmten Katzenaugen, die unzählige kleine Kästchen, die wie Bienenwaben aussehen, in sich tragen. Ich dachte an die Speiche, über die ich mit ausgestrecktem Zeigefinger fuhr, an die Kuppe, die daraufhin schwarz war; an den grauen Putz der Mauer im Hof in Pettenbach, der manchmal, je nach Sonnenlicht und Tageszeit, sehr dunkel, fast schwarz war. Ich dachte an den Schulbus und das unbestimmte Lächeln von dem Jungen, den niemand kennen wollte, der Moritz hieß und mit mir im Schulbus fuhr, der auf einmal weg war, von einem Tag auf den anderen, ohne dass ich wusste, weshalb, und den ich nun seit mehr als fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe, aber dessen Gesicht ich genau vor mir habe. Ich dachte an die Arten von Grün. Ich dachte an die hohlen Engel- und Heiligenfiguren, über die ich, ohne zu wissen, weshalb, herzhaft lachen musste, als ich sie zum ersten Mal von hinten sah. Ich dachte an Thomas, hätte ich sagen sollen, daran, was er damals geschrieben hatte, er überlege zu heiraten. Aber ich dachte nicht nur Bilder, auch Töne, ich dachte an, ich hörte Musik. Ich dachte an den Langen und an die Friedhofsmauer auf dem Magdalenaberg. Ich dachte an meinen Bruder, suchte meine Kindheit nach ihm ab und fragte mich, warum ich ihn nicht finde, ich dachte an mich, und fragte mich, was aus mir geworden ist. Ich fing an und konnte nicht aufhören zu denken.
(S. 109 ff)


© 2009 Hoffmann und Campe, Hamburg.

 

 

 

 

 

 

 

 

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