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Leseprobe: Claudia Erdheim - "Längst nicht mehr koscher."

Moses Hersch macht sich auf den Weg zu seinen Gruben. Er spannt den Fabrikwagen ein und fährt mit Chaim Alter, dem Sohn Israel Gottesmanns, seines Kompagnons, los. Sie fahren nach Wolanka, um ihre Erdwachsgruben zu inspizieren. Die Straße ist voller Kot und Schlamm. So weit wie möglich fahren sie an die Gruben heran. Auf den Fichtenbrettern, die als Trottoire dienen und auf denen man sich vor lauter Menschen kaum fortbewegen kann, geht Moses Hersch in die eine Richtung, Chaim Alter in die andere. Über den Gruben sind Baracken aus Holz errichtet. Es sieht aus wie ein Zigeunerlager. Moses Hersch geht in eine der Baracken hinein. Es ist sehr dunkel und riecht penetrant nach Erdöl. Der Geruch bereitet ihm leichte Übelkeit. Er schaut kurz der Arbeiterin zu, die mit dem Handventilator der Grube Luft zuführt, fragt den Aufseher: Alles in Ordnung? sagt, bis heute abend bei der Auszahlung, und geht. Moses Hersch geht zur nächsten Grube und weiter zu einer Grube ohne Baracke. Aus der Grube hört man es läuten. Die Arbeiter ziehen an einem Seil. Moses Hersch schaut in die Grube. Nach drei Minuten taucht ein Kübel auf. In dem Kübel ist eine Leiche. Haut und Gewand sind noch erhalten, das Gesicht entstellt, aber noch erkennbar. Niemand sagt etwas. Es läutet wieder. Die Arbeiter werfen die Leiche aus dem Kübel und lassen den Kübel in die Grube hinunter. Wieder ziehen sie an dem Seil. Ein Arbeiter kommt aus der Grube heraus. Weiß jemand, wer die Leiche ist, fragt Moses Hersch. Die jüdischen Arbeiter schweigen. Der Tote ist kein Jude. Janko Hryzyn ist vor zwei Jahren verschwunden, sagt der Arbeiter, der aus der Grube gekommen ist.
- Ist er das?
- Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Roman Mnich ist vor einem Jahr verschwunden.
- Ist der das?
- Vielleicht. Man muß seine Frau fragen.
- Man muß die Gendarmerie holen.
Die Leiche kann auch erst ein paar Monate, vielleicht sogar erst ein paar Tage in der Grube gelegen sein. Es ist das erste Mal, daß in Moses Herschs Gruben jemand tödlich verunglückt ist. Es wird Unannehmlichkeiten geben, denkt Moses Hersch. Vielleicht war es Unvorsichtigkeit, vielleicht ist die Sicherheitslampe erloschen, weil zu viel Gas in der Grube war, und der Mann ist erstickt, vielleicht ist ein Seil gerissen und der Aufseher hat es nicht gemeldet, dann ist er schuldig. Vielleicht war es ein Unfall und der Mann ist in der Dunkelheit oder betrunken in die Grube gefallen, dann ist er auch schuldig. Die Grube ist seit einiger Zeit unbedeckt. Die Bedeckung ist gestohlen und nicht erneuert worden. Noch vor ein paar Jahren hätte man die Leiche einfach liegengelassen. Niemand hätte gewußt, wer der Besitzer der Grube ist. Es gab keine Grundbücher. Heute ist das anders. Es wird eine Gerichtsverhandlung geben. Er wird Strafe zahlen müssen.
(S. 10f)

© 2006, Czernin Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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