Wien: Deuticke Verlag, 2011
158 S., geb.; Euro 16,40
ISBN 978-3-55206158-3.
Projektpartner: readme.cc - Neue Literatur aus Österreich
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Herzoperation. Es geht alles gut, die Patientin kann schon bald wieder nach Hause, darf und soll herzhaft drauflosleben, Sport treiben, ist so gut wie beschwerdefrei. Körperlich zumindest. Ausschließlich körperlich.
Herzoperationen sind nicht selten traumatische Erfahrungen, die tiefe psychische Narben hinterlassen. In Julya Rabinowichs „Herznovelle“ ist es allerdings ein Liebestrauma, das die Ich-Erzählerin davonträgt. Der Chirurg hat bei der Operation buchstäblich ihr Herz berührt.
Wieder zu Hause, findet die Patientin nicht mehr zurück in ihr früheres Leben. Sie beginnt sich von ihrem Ehemann zu entfremden und dem Arzt nachzustellen. Sie inszeniert Beschwerden, einen Notfall, um wieder ins Krankenhaus zurück zu müssen, zu können, zu dürfen. Und wird viel zu schnell wieder entlassen. Sie wartet auf Begegnungen mit dem Chirurgen, die sich aber oft nur in ihren Tagträumen ergeben. Die Grenzen zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Wille und Möglichkeit scheinen zusehends zu verschwimmen.
Zuweilen wird ihr das Absurde, das Lächerliche ihres Tuns und ihrer (eingebildeten?) Leidenschaft durchaus selbstironisch bewusst. So etwa bei ihrem Auftritt auf dem Ärzteball, auf dem ihr statt des ersehnten Chirurgen nur ihr alter Hausarzt über den Weg läuft und sich wundert.
Diese Geschichte könnte man auch ganz banal erzählen. Aber dann wäre sie wohl nicht von Julya Rabinowich. Die in St. Petersburg geborene Autorin hat bereits mit ihrem Erstling „Spaltkopf“ aufhorchen lassen, in dem sie Migrationserfahrungen und das Leben in und zwischen zwei Kulturen außergewöhnlich poetisch und bildstark beschreibt. In der „Herznovelle“ sind es nun Narben anderer Art, mit denen die Ich-Erzählerin sich arrangieren muss. Nicht ein Kind wird aus seiner Welt gerissen, sondern eine erwachsene Frau – und es geschieht nicht durch Migration, sondern durch eine Operation. Ein Arzt hat ihr Leben gerettet, aber es ist nicht das alte Leben, das sie zurückbekommt, sondern es ist ein neues, in dem sie sich erst zurechtfinden muss.
Es geht also keineswegs um eine Romanze mit einem Gott in Weiß, sondern vielmehr um Orientierung und Orientierungslosigkeit, um Anhaltspunkte in einem Leben, in dem so vieles bedeutungslos wird angesichts des Todes. In einem Leben, in dem ein Fremder Spuren hinterlassen hat, die nicht mehr zu beseitigen sind. Und in dem es auf einmal nicht mehr so wichtig scheint, zu „funktionieren“. Hirngespinste sind wichtiger, bedeutsamer, bedeutungsvoller geworden als die Bewältigung des Alltags. Der lässt sich auch ohne Anteilnahme absolvieren.
Kühle, klare Prosa und lyrische Passagen wechseln einander ab in der „Herznovelle“. Julya Rabinowich’ Sprache ist einfach und gerade dadurch poetisch und frisch. Voller unverbrauchter Bilder und zuweilen wohltuend deftig.
Eine Stimme, von der wir hoffentlich noch viel hören werden.
Sabine Dengscherz
23. Februar 2011
Originalbeitrag
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