sind Nutten Säufer Jugendliche nach einer Großkundgebung vereint aufgebracht und in Volksfeststimmung, inmitten verfallener Hochhäuser ein fröhlicher Fahnenschwenk, Soldaten genießen das Popcorn, und entlang der Sympathisantenmeute in roten T-Shirts reihen sich auf Decken die ausgebreiteten Souvenirs, Guevara Castro Chavez gibt’s als stolzes Revoluzzer-Triumvirat handgroß, in Lehm gebrannt, zu erstehen, oder als weiteren Charakterkopf: Carlos El Chacal, starrt von Büchercovern übern Sonnenbrillenrand einfach deshalb sind wir in Venezuela, müssen wir in Caracas sein, da es hier kaum Tradition gibt, bloß durchmischte Gegenwart, schwül triefend von Benzingestank, Schreckgeschichten der Favelas. Im nationalen Bastard aus Terroristen und Schönheitsköniginnen wird fürs Amazonaserbe ein Auspuffknattern ausgegeben und landesweit, Mosquitoschwärme anhimmelnd, gemeinsam kopfüber abgestürzt ins Gewirr aus ziellosen Wegen, gleich den Fußspuren dutzender Miss' Universe an Karibikstränden, prallbusig aufgeplatzter Catwalk aus Silikon-Schaumschlägerei, und in jeder Ortschaft derselbe Hauptplatz zum Gedenken an Simon Bolivar, nichts als sinnlose Heldenverehrung, stupide Wiederholung, bis auch diese Vergangenheitsfacette schal und unbedeutend wird was zählt?
sind wir beide, etwa in einem Stundenhotel unsre Vorwürfe flüsternd, Streitgespräche Anschuldigungen bis hin zu meine-Teuerste-ich-gelobe dass die Mädchen im Zimmer nebenan tatsächlich mit einem Lächeln den Geschäften entgegeneilen und manchmal, beinah gleichzeitig, zu dritt mit ihren Freiern wieder im Flur erscheinen, und kichernd hinter der Tür verschwinden. Von der Unschuld ihrer 16 Jahre bleibt als fahles Echo die geifernde Schmeicheleinheit geiler Männer mi reina ich denke dass die äußeren Betrachtungen, da wir uns treiben lassen, die Viertel abklappern, erst gegen Abend wieder in jenes aus rotem oder gar keinem Licht zurückkommen, Entsprechung im Achten auf unsre Stimmlagen finden, bewege mich durch Caracas und verharre zugleich in einem Zustand stetigen Lauerns, ich will alle deine Gesten richtig deuten, bestehe auf immer mehr Liebesbeteuerungen komm sag es mir ich will es hören, mir aus deinem Mund das Wissen holen und zugleich sämtliche Abgründe herzlichst negieren, deine Hintergedanken für nichtig erklären, vielmehr verlange ich Illusionen beschleichen mich, hinterlassen Gefühlsspuren (in Augen, auf: Haut als Kratzer), -sporen dringen ein, wachsen heran zu Erinnerung Wundersamen Vorstellungen verträumt oral und wie geleckt: kreuzt es mir alle Vernunft durch, im unsteten Schwarzmarktes fährt über Dollarbündel als Abklatsch großen Kinos. Eines Morgens verlassen wir das Love Hotel, ziehen fast wehmütig die Tür hinter uns zu, und schweigend in den Fahrstuhl eingezwängt gelangen wir nach unten, werden draußen sogleich vom Passantenstrom erfasst; im Versuch, Straßen trotz Rasereiverkehrs zu überqueren, kreuzen wir durch ein nicht zu enträtselndes System, Warnungen vor allen von der Hauptstraße abzweigenden Wegen flüstern sich uns im Vorbeilaufen zu, ein Raunen, oder auch mit Revolverfinger zur Schussimitation die Gangstergerüchte beglaubigt, unterwegs zur Metrostation, und diese präsentiert sich umringt von Polizeigeschwadern in Kampfausrüstung, bepanzert, in beginnender Hitze das dumpfe Schwarz der Helme, Schilder, Schlagstöcke. Rauch dringt aus den Toren, Stufen hinab in den Untergrund, Menschen stürzen und stolpern heraus, ins Visier der Handykameras, von Passanten zigmal abgelichtet und gefilmt, dazwischen fängt ein Kamerateam für die Abendnachrichten die verquollenen Gesichter der weinenden Meute ein. In Getümmel und Ausnahmezustand klammern wir uns zumindest aneinander, im Drängen der Neugier und des Polizeiaufmarsches wegen, und fliehen zu irgendeinem Platz, von Panaderias umrundet, unterm Dampf der Espressomaschinen Silberhammer der Kakerlaken, und etwas später, einen Cafe Marron in der Hand, sitzen wir inmitten des Treibens, im Zentrum: ein Spielplatz, mit Sand bedeckt und darüber quietschen Schaukeln, unser Schweigen umgeben von Kindergeschrei, im Schunkelschwung flirrt imaginiertes Grün, da wir in der Fremde oft nichts andres unser Eigen nennen als eine weitere Erzählung.
(S. 38 - 40)
© 2011 Klever Verlag, Wien