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Christian Futscher: Nur Mut, kleiner Liebling.

Wien: Czernin Verlag. Wien 2011.
261 Seiten; geb.; Euro 21,90.
ISBN 978-3-7076-0349-1.

LInk zur Leseprobe

Christian Futschers Venedig-Tagebuch über das Schreiben

„Ich esse den Zwerg. Was von ihm übrig bleibt, klebe ich auf ein Blatt Papier: Mütze, Beine, das Stück Schale mit dem Gesicht.“ (S.256) So endet Christian Futschers intertextueller Parforceritt durch die Welt seines Schreibens. Nur Mut, kleiner Liebling ist nach Der Pfeil im Auge Futschers zweites Venedig-Buch, ein drittes ist im Entstehen und der Autor kann wahrlich aus einem reichlichen Fundus schöpfen: der Literatur.

Das Buch besteht aus einer – oft scheinbar wahllosen – Fülle von Tagebuchschnipseln, Gedanken, Beschreibungen und Reflexionen, aber auch genauen Wiedergaben von Gesprächen oder Begebenheiten wie Anrufen, Krankheiten des Kindes oder Lektüre- und CD-Hörerfahrungen. Nur Mut, kleiner Liebling ist ein Kompendium zum genaueren Verständnis des Alltags eines Schriftstellers, der während eines Stipendiatsaufenthalts in einer Künstlerwohnung in San Polo in Venedig sich und sein Schreiben schreibend beobachtet.

Aber Futscher erzählt nicht nur über Literatur, es geht ihm auch um Venedig selbst, um die Bilder und Mythen, die Venedig erzeugt, und denen er mit den erwähnten Zwergen zu Leibe rücken will. Gezeichnete Zwerge, jeden Tag. Dass sich dann alles anders entwickelt, ist wohl der Literatur selbst geschuldet. In der Lektüre der Welt mündet alles in weiteren Zitaten und Verweisen und schönen Sätzen. Oder tröstlichen; das titelgebende Nur Mut, kleiner Liebling zieht Futscher aus dem Indianischen „segon nenemoscha schagskohare“, ein zusammengewürfelter Satz aus der Leseerfahrung von Käthe Recheis’ Der kleine Biber (»Nenemoscha« heißt: »Liebling, kleiner Liebling«) und Franz Xaver Weisers Orimha der Irokese (»Segon« heißt: »Nur Mut«, und »Schagskohare« heißt: »Schwimmendes Holz« [Name des Häuptlings der Mohawk, Häuptling Stehaufmännchen quasi]). (S.95) Leicht pathetisch und als Kind entzückt von den Büchern und eben dieser Lektüreerfahrung wählt der Autor den Satz als sein Lebensmotto und vermittelt seinen Indianersatz auch seinem Kind L.

Diese Abkürzungen von Namen sind wohl nicht der Eile geschuldet, eher den Textgepflogenheiten mancher Klassiker - Textmerkmale, die das bloß Profane des eigenen Alltags eben über diesen Alltag hinausheben, die Notate zur Literatur machen. Das Buch ist voll von L. und M. und S. und A. undsoweiter und als Leser ist man gereizt beim Versuch, die Verschlüsselungen zu dechiffrieren, um die jeweiligen SchriftstellerkollegInnen, über die Futscher schreibt und mit denen er persönlich freundschaftlich spricht, bei ihrem wahren Namen zu erkennen (zum Teil besorgt er es dann doch selbst). Erfrischendes Understatement in einer Zeit der Eventliteratur, man denke nur an Thomas Glavinic und sein Das bin doch ich, wo der Glanz der Bekanntschaft mit bekannten Autoren auch auf den Autor selbst abfärbt. Aber das war ja ironisch gemeint. Ohne diese intellektuelle Ironie kommt Christian Futscher aus und erzählt uneitel von regelmäßigen Begegnungen mit einer (Vorarlberger!) Schuhmacherin, die in Venedig Edelsohlen herstellt. Ohne Neid auch seine berührende Köhlmeier-Lektüre samt anschließendem Reflektieren über den zu frühen Tod mancher Kinder und der Angst, dass dem Autor dies selbst zustoßen könnte.

Natürlich ist Nur Mut, kleiner Liebling oft hart an der Grenze des wirklich rein Privaten, die Frage nach dem literarischen Gehalt mancher Passagen könnte man stellen, muss man aber nicht. Christian Futschers Venedig-Buch ist eine angenehm ungewöhnliche Lektüre, ein Gegenpol zu anderen, weitaus manirierteren literarischen Versuchen im Bereich der fiktionalen Literatur, denn am Ende – und das ist vielleicht das tröstliche an einer Literatur, die selbst nicht Fiktion sein will – überhöht sich die Wirklichkeit selbst zur Kunst. Und der Autor mit ihr. Auch wenn ihm dann nichts anderes übrig bleibt, als die Zwerge zu essen.

Bernd Schuchter
15. Juni 2011

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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