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Walter Kohl: Mutter gesucht.

Die Geschichte dreier ungleicher Schwestern.
Wien: Zsolnay Verlag, 2012.
Gebunden; 304 Seiten; Euro (A) 20,50.
ISBN 978-3-552-05565-0.

Link zur Leseprobe

Wenn dies ein Film wäre, dann lieferten diese Aufzeichnungen das Drehbuch zu einem Melodram, wie es nur das Leben selbst schreiben kann – und das auch getan hat. Der Linzer Journalist und Autor Walter Kohl erzählt die Geschichte von Tania, Iris und Tamara – dreier Halbschwestern, die lange Zeit ihres Lebens weder von der Existenz der jeweils anderen noch vom Aufenthaltsort ihrer biologischen Mutter gewusst haben. Als Adoptivvater von Tamara beschreibt Walter Kohl in einer Vorgeschichte die triste Kindheit und Jugend dieser Mutter und schildert die Beweggründe für ihr Handeln. Verständnislosigkeit und Hass auf eine Frau, die ihre Kinder im Stich lässt, wandeln sich im Laufe der Erzählung, wenn der Blick auf die Familienverhältnisse klarer wird. Das Leben von Patricia, jener Mutter, die alle drei Töchter entweder weggegeben oder verlassen hat, deren Beweggründe auf den ersten Blick Abenteuerlust und Erlebnishunger sind, wurzelt aber in Ablehnung, Demütigung und der daraus resultierenden Suche nach Glück und Frieden. Die Sehnsucht ihrer beiden zur Adoption freigegebenen Töchter, ihre Identität zu finden, führt sämtliche Beteiligte in deren Umfeld durch eine schwere Zeit.

Wenn wir nur in Moskau wären, dann würde alles anders, besser, gut. Walter Kohl vergleicht den Traum der Schwestern von einem sinnerfüllten Dasein mehrmals mit jenem der Drei Schwestern in Tschechows Drama. Der verzweifelte Wunsch nach Glück endet dort allerdings in Resignation. Moskau als Sinnbild der Hoffnung auf ein erfülltes Leben wird zwar auch hier bis zum Ende des Buches nicht erreicht, zumindest aber befinden sich zwei der Schwestern auf dem Weg dorthin. Weil dies aber eine wahre Geschichte ist, die nicht in einem happy end gipfelt, gibt es auch ein Opfer: Die mittlere Schwester, die ihre ersten Lebensjahre mit ihrer Mutter in einer relativ konventionellen Familienkonstellation verbracht hat, kann deren Verlust nicht verarbeiten, um als Erwachsene Ruhe, Glück, oder in ein geregeltes Leben zu finden. Die Grundstimmung ihrer Existenz – von niemandem ist Hilfe zu erwarten, du bist total auf dich allein angewiesen, die für die leibliche Mutter das beherrschende Element ihres Daseins war und sie zu ihren Entscheidungen getrieben hat, ist auch für Iris jenes Hindernis, das sich als unüberwindbar darstellt.

Die Erzählung wird beherrscht von der Recherche und dem Durchforsten unzähliger Adoptionsunterlagen in Linz und Amsterdam, Dokumenten diverser Behörden, Interviews und Tonmitschnitten und lässt oft die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erkennen, in der sich die Betroffenen viele Jahre hindurch befinden. Mit dem Einsetzen der detaillierten Beschreibung seiner eigenen familiären Situation, vom Beginn des Adoptionswunsches bis hin zur gemeinsamen Suche mit der erwachsenen Tochter nach deren Herkunft, gibt Walter Kohl der Geschichte ihre persönliche und dadurch dramatische Note. Sein Erzählton bleibt dabei aber konstant ruhig und sachlich. Auch wenn die Schilderungen der Ereignisse, die oftmals den Rahmen des Erträglichen zu sprengen drohen, eine Wendung zur Eskalation erwarten lassen, bleibt diese am Ende doch aus.

Schuldgefühle Ende nie. Kohl lässt berührend durchblicken, dass sich Adoptiveltern nie der Liebe ihrer Kinder völlig gewiss sein können oder dass sie zumindest damit rechnen müssen, irgendwann möglicherweise doch nur an zweiter Stelle zu stehen. Tamara durchläuft dabei Stationen einer Rebellion, die jenen der biologischen Mutter entsprechen. Sie missachtet wiederholt Autoritäten, reißt ebenfalls von zu Hause aus und kommt in ein Erziehungsheim. Die Adoptiveltern müssen schließlich schmerzlich erkennen, dass Liebe und Zuwendung keine Garantie für ein harmonisches Familienleben bieten und dass trotz schier übermenschlicher Anstrengungen beim Kampf um die Liebe ihrer Kinder die Schuldgefühle nie abnehmen. Trotzdem geben diese Eltern nicht auf, durchleben aufgrund ihrer besonderen Situation womöglich manches intensiver als leibliche Eltern. Die alltäglichen Probleme allerdings sind da wie dort ähnlich banale: Was werden wohl die Nachbarn denken, wenn sich der pubertäre Nachwuchs öffentlich unmöglich gebärdet?

Radiant and overhappy ist zu Beginn wie am Ende tatsächlich niemand, denn den Kindern bleibt eine seelische Narbe, die zwar verblasst, aber doch jederzeit wieder aufreißen und sich in Wut äußern kann. Beim Leser hinterlässt dieser Lebensbericht daher einen bitteren Geschmack, allerdings auch die Erkenntnis, dass Verzeihen und Glück trotz unzähliger Tiefen und Rückschläge möglich sind.

Susanne Eichhorn
18. April 2012

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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