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Leseprobe: Brigitte Schwaiger - Wenn Gott tot ist. Memoiren.

Die Klosterschwester sagt: "Deshalb dürfen Priester nicht heiraten. Sonst würden sie in der Nacht, wenn die Ehefrau neugierig fragt, die Beichtgeheimnisse verraten. Frauen sind neugierig! Sie würden sagen: Aber, bitte, sag mir’s doch."

Die heilige Kommunion ist unsere Vereinigung mit Jesus. Auch Maria die Muttergottes ist leiblich in den Himmel aufgefahren. Wir werden alle einmal leiblich im Himmel sein. Nach dem Jüngsten Gericht. Aber da kommen nur die Guten in den Himmel, die ohne Sünde sind. Die anderen müssen ins Fegefeuer oder in die ewige Verdammnis. Ewig, das ist immer, und das hört niemals auf.

Ich bin froh, als ich mit vierzehn Jahren höre, daß es keinen Gott gibt, daß Gott tot ist. Nietzsche hat das gesagt. Gott ist tot.

Wenn Gott tot ist, gibt es keine Sünden und auch keine Erbsünde. Wenn Gott tot ist, dürfen wir tun, was wir wollen. Es gibt keine Strafen und keine Hölle. Es gibt kein Weiterleben nach dem Tod, es ist mit dem Tod alles vorbei, und wir dürfen das Leben genießen.

Ich genieße mein Leben gern allein, gehe aus der Stadt, zur Hirschwiese beim Sankt-Peter-Weg, dort sage ich ein Gedicht von Hebbel auf, es ist meine Andacht, die Lyrik eines Schriftstellers. Ich kann mir noch nicht vorstellen, jemals selbst ein Gedicht zu schreiben, und außer Hebbel ist mein Lieblingsdichter auch Heinrich Heine. In die Kirche zu den Sonntagsmessen gehe ich nur noch, weil man mich dazu zwingt. Ich gestehe in einer Beichte, daß ich nicht gern zu den Messen gehe und oft aus eigener Schuld Messen versäumt habe.

"Sagst dir halt, daß Jesus auf dich wartet", empfiehlt der Beichtvater, und statt einer drakonischen Strafe, weil das doch Todsünden sind, die heilige Messe aus eigener Schuld versäumen, gibt er mir nur wenig Bußgebet auf. Ich glaube Gleichgültigkeit zu spüren bei diesem Priester, und es ist meine letzte Beichte, erst mit siebenundvierzig Jahren beichtete ich wieder.

Freistadt, eine römisch-katholische Stadt. Ab März 1938 überwiegend nationalsozialistisch. Von Mai 1945 bis Spätsommer 1955 von den Russen besetzt. Ich bin in dieser Zeit geboren und aufgewachsen, ich war stets der Überzeugung, die Russen dürften mich, wenn sie wollten, erschießen. So wie ich der Überzeugung war, daß ein dunkelgrüner Polizist mich jederzeit in ein Gefängnis sperren durfte. Ich wuchs auf in der Angstwelt.

Auf dem Schulweg ins Gymnasium, durchs Linzertor, erste philosophische Gedanken. Das Gute nicht tun, weil man dafür in den Himmel kommt, das wäre ja Eigensucht, sondern das Gute, weil es gut ist. Nicht "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", sondern der einfache Spruch: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch nicht dem andern zu.

Die duftenden Fliedersträucher vor dem Kaiser-Franz- Joseph-Jubiläums-Bundesrealgymnasium. Fremdsprachen Englisch und Latein. Ich bin nicht freiwillig gegangen. Ich wäre gern in der Klosterhauptschule geblieben.

Der katholische Religionsprofessor besteht darauf, daß einem die ewige Verdammnis gewiß ist, wenn man auch noch so viele gute Werke getan hat, aber einmal die heilige Messe aus eigener Schuld versäumt hat.

Ich weiß nicht mehr, wie es mir gelang, sonntags nicht mehr in die Kirche zu gehen. Vielleicht mit "Ich glaube nicht mehr an Gott". […]

(S. 20-22)


Ich konnte, wie auch in den Psychosen, die schon vorangegangen waren, zwischen Realität und Phantasie nicht unterscheiden.

Verrückt geworden, dann zurück in die Realität und wissen, daß ich vorübergehend wirklich meinen Verstand verloren hatte, ich fühlte mich minderwertig, wenn ich wieder bei Sinnen war, unwürdig, weiterzuleben, meine Pläne, die Welt zu verbessern, waren gescheitert, Bücher, die ich schreiben hatte wollen, hatte ich nie geschrieben, ich strickte daheim unaufhörlich, löste Rätsel, ging noch immer täglich von Montag bis Freitag aufgeregt hinunter zum Briefkasten, immer noch die Erwartung, eines Tages würde ein eintreffender Brief mich erlösen.

Schon als junges Mädchen hatte ich, wenn ich aus dem Gymnasium heimkam, klopfenden Herzens jeden Tag die Küche betreten, hoffend, ein Brief würde für mich gebracht worden sein, hatte jahrzehntelang beim Läuten des Telefons mit innerer Aufregung gedacht, dieser würde nun der Anruf sein, der mein Leben grundlegend veränderte, ich hoffte und hoffe immer noch, ich warte noch immer auf etwas, und ich weiß nicht, was es ist. Etwas fehlt mir, und ich finde es nirgends.

»Der Borderliner sucht sein Leben lang die Liebe, und wenn sie kommt, kann er sie nicht ertragen, er flüchtet.« […]

Träume, in denen ich fliege von einer Landschaft in die andere, freischwebend, körperlos, ich bin eine Seele, die sich entleibt hat, ich wache nach fast jedem Traum verwirrt auf, ich gehe seit Jahrzehnten zeitig schlafen, liege im Bett, ab sieben Uhr Abend, oft schon um sechs Uhr, warte auf den Schlaf, frage mich, wozu es mich gibt, ob es einen Gott geben kann, der meine Existenz wollte, wozu bin ich am Leben, ich fühle mich nutzlos, das sagte immer wieder der spanische Tierarzt und Militarist zu mir: »Inutil, eres una inutil«, »du bist ein unnützer Mensch«.

Stimmenhören plötzlich im Schlaf, aufwachen, Männer dringen in meine Wohnung ein, haben schon die Tür aufgebrochen, brüllen und poltern, werden mich gleich töten.

Ich weiß, während ich alles höre, daß es nur Stimmenhören ist, Wahrnehmungsstörung, ich habe damit leben gelernt, daß es kommt, daß ich es ertragen muß, ich nehme nur bisweilen das Medikament gegen diese Störung, ich möchte es ohne Medikamente schaffen, der Stolz erwacht, ich möchte ein normaler Mensch sein.

(S. 91-93)

© 2012 Czernin Verlag, Wien.

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