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Insider2199

vor 1 Monat

(11)

Susan hatte auf mich eher einen unangenehmen Effekt!

Dies ist mein erster Roman des in Kopenhagen lebenden Autors – „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ hatte ich zuvor nur als Film gesehen  –  doch ich schätze nach diesem Roman-Erlebnis werde ich mir wohl das nachträgliche Lesen des zweiten Romans des Autors sparen.

Zum Inhalt: Einst wurde Susans Familie im „Time Magazine“ als „The Great Danish Family“ abgelichtet, heute droht jedem nach ihrem Indien-Aufenthalt mehrere Jahre Gefängnis: ihr Mann Laban, ein erfolgreicher Komponist, ist mit einer 17-jährigen Maharadscha-Tochter durchgebrannt mit der südindischen Mafia auf den Fersen, der 16-jährige Sohn Harald sitzt in Nepal in Haft wegen versuchten Antiquitätenschmuggels, seine Zwillingsschwester Thit ist mit einem Priester des Kalitempels in Kalkutta durchgebrannt und Susan selbst, eine Experimentalphysikerin, ist angeklagt wegen versuchten Totschlags mit bloßen Händen an ihrem Geliebten, der übrigens 1,90 m und athletisch ist. Aber das ist noch nicht alles: Susan besitzt eine besondere Gabe, die sie den „Susan-Effekt“ nennt, denn jeder, der sich ihrer Aura aussetzt, wird redselig und beichtet seine intimsten Geheimnisse. Deswegen schlägt man ihr einen Deal vor: Straferlass für die Beschaffung eines geheimen Protokolls einer sog. „Zukunftskommission“, einer Gruppe, die Prognosen über die Zukunft abgibt. Doch jemand möchte verhindern, dass die Öffentlichkeit davon erfährt.

Meine Meinung: Ich habe bewusst eine sehr ausführliche Inhaltsangabe geschrieben, aus zwei Gründen: erstens um zu zeigen, wie vielversprechend und verrückt die Ausgangssituation klingt. Allein über diesen Indien-Aufenthalt hätte man einen eigenen Roman schreiben können! Doch der Leser wird ziemlich enttäuscht: er erfährt nie, wie Susan und ihre Familie nach Indien kam, warum Susan dort einen Liebhaber hatte (nur warum sie ihn töten wollte), was es mit Laban und der 17-Jährigen auf sich hatte oder mit Harald und dem Antiquitäten-Schmuggel oder was Thit in einem Tempel zu suchen hatte. Die Gründe, warum der Familie Haft droht, klingen konstruiert und aufgesetzt. Selbst mit einer ausreichenden Erklärung würde alles sehr unwahrscheinlich und unglaubwürdig erscheinen, aber so ganz ohne diese, ist die Situation einfach nur grotesk und lachhaft. Mir ist schon klar, der Autor wollte dem Leser vermitteln, dass es sich hier um eine außergewöhnliche Familie handelt – alles schön und gut, aber warum diese maßlose Übertreibung? Es hätte gereicht, wenn ein Familienmitglied etwas angestellt hätte, aber gleich alle? Das Gleiche gilt auch für den Effekt: es hätte gereicht, wenn Susan diese ungewöhnliche Gabe hätte, aber später stellt sich heraus, dass eigentlich jeder in dieser Familie darüber verfügt, v.a. Laban, d.h. Susan kann mit ihrem Mann den Effekt verdoppeln. Wiederum ziemlich übertrieben und leider unglaubwürdig!

Zweitens sollte die ausführliche Inhaltsangabe veranschaulichen, wie vielversprechend die Ausgangssituation klingt – im Klappentext ist gar von einem „phantastischem Pageturner“ die Rede – der Roman hält dieses Versprechen jedoch keinesfalls. Vor allem von dem Pageturner-Effekt habe ich leider nur wenig gemerkt. Die Handlung ist sogar stellenweise sehr zäh und wird mit relativ Unwichtigem in die Länge gezogen. Ich spiele hier auf den kompletten Teil 2 an (der Roman enthält 3 Teile), wo die Familie für vier Monate Kopenhagen verlässt. Auf diesen relativ unspektakulären „Ausflug“ hätte ich locker verzichten können und hätte eine Rückblende nach Indien – mit der Erklärung wie es zu den Straftaten kam – sehr viel spannender gefunden. Auf diese Rückblende wartete ich das ganze Buch über, aber sie kam nicht, dafür gab es andere, die meines Erachtens wenig Relevanz besaßen.

Weiterhin gibt es einige Stellen im Roman, die ich schlicht und ergreifend nicht verstand, weil sie zu verwirrend sind, oder ich musste über die Heldin, die mir leider bis zum Schluss sehr unsympathisch blieb, mehrmals den Kopf schütteln – zwei kleine Kostproben zur Veranschaulichung: Susan erzählt detailliert am Weihnachtsabend vor 19 Personen inkl. ihrer Kinder, dass sie als 16-Jährige vergewaltigt wurde. Welcher normale Mensch macht das? Kein Wunder, dass es im Raum mucksmäuschenstill wird. Oder sie merkt wie ihr Mann, den sie übrigens im Durchschnitt ein Mal im Jahr betrügt, im Halbschlaf einen erigierten Penis hat, den sie sich unverzüglich einführt, sich ein paar Sekunden bewegt, aus dem Bett aufsteht, sich anzieht und lapidar meint: „Ach schlaf weiter, ich wollte dich nur kurz mal benutzen.“ Ähm, wie bitte? Geht’s noch?

Viele Stellen wirken konstruiert und an den Haaren herbei gezogen: Susan entdeckt etwas in ihrer Wohnung (ich will hier nicht zu viel verraten) und plötzlich klingelt ihre 84-jährige Nachbarin an der Türe (es ist nach 22 Uhr und Susans Familie schläft bereits!!), nur um ihr mitzuteilen, dass ein paar Männer da waren, die in der Garage etwas installiert haben, sodass Susan nun weiß, dass das, was sie gerade eben in der Wohnung fand, auch in der Garage finden würde. Ach, welch angenehmer Hinweis und so ein prima Timing!

Aber das Allerschlimmste ist wohl, dass die ganzen Ermittlungen, die Susan die ganze Zeit über anstellt, relativ unspektakulär sind und mich persönlich gar nicht wahnsinnig interessiert haben. Am Schluss hat dann plötzlich eine Person damit zu tun, mit der man nicht gerechnet hätte, aber es ist keine Überraschung im positiven Sinn, sondern eher wieder ein Umstand, der sehr konstruiert und unglaubwürdig erscheint, somit fand ich das Ende genauso enttäuschend wie den ganzen Roman. Oder anders ausgedrückt: ich habe keinen großen Showdown mehr erwartet, weil das Lesen für mich schon ab der Hälfte nur noch eine reine Qual war und ich das Ende herbei sehnte.

Fazit: Der Klappentext verspricht Spannung pur und die Ausgangslage ist wie geschaffen für einen Pageturner, aber eine unsympathische Heldin, die nicht nachvollziehbare Dinge tut, alles aus der Brille der Physikerin sieht (was mich irgendwann nur noch nervte, da sehr übertrieben, z.B. selbst das Kochen und Essen ist für Susan Physik!?) und eine tw. konstruierte und unglaubwürdige Handlung sowie ein nicht nachvollziehbarer Background der Figuren macht aus einem potenziellen Lesevergnügen, eine qualvolle Tortur. Eigentlich würde ich nur einen Stern vergeben, ringe mich aber noch zu einem weiteren halben Stern durch, weil es sprachlich und handwerklich keine großen Mängel gibt.

Autor: Peter Hoeg
Buch: Der Susan-Effekt

Himmelfarb

vor 4 Wochen

@Insider2199

Danke für Deine ehrliche Rezension! Das kann man sich wohl sparen!

wandablue

vor 3 Wochen

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es soo schlecht ist. Muss ich später mal nachprüfen :-))

Insider2199

vor 3 Wochen

@wandablue

Meine Rezi ist ja zum Glück nur eine Meinung von Vielen. Nachprüfen darf natürlich jeder gerne selbst. :-)

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