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Betsy

vor 1 Woche

(39)

"Ich bin kein Muslim, auch kein Christ, Druse oder Jude, meine Religion ist die Liebe, verstehst du?"

Rafik Schami erzählt die Geschichte mehrerer Personen, deren Leben ganz unterschiedlich verlaufen sind und die alle letzendlich ihre Bestimmung im Leben des im Exil lebenden Damaszeners Salman Baladi finden, als dieser nach 40 Jahren in seine ehemalige Heimat in Syrien zurückkehrt. Begleitet von der Angst dort vom Geheimdienst verschleppt zu werden und den Spitzeln des Regimes sowie dem Treffen seiner Familie, versucht er dem Ort seiner Kindheit wieder nahe zu kommen. Allerdings meinen es nicht alle gut mit ihm und das Schicksal nimmt seinen Lauf, vor dem ihm scheinbar nur seine Mutter Sophia durch eine uneingebrachte Schuld retten kann.

"Flucht, dachte er auf einmal, ist wie ein Schicksal, wie ein Omen und stetiger Begleiter der arabischen Kultur."


Der Autor entführt den Leser in mehreren Zeit- und Ortssprüngen zu vielen verschiedenen Personen, was zu Beginn etwas nervt, da die Haupthandlung um Salman immer etwas längere Abschnitte in der Geschichte einnimmt und gerade wenn es interessant wurde und man gerade gut drin war, wurde wieder gewechselt und eine anderer Handlungsstrang war dran.
Der Titel des Buches hat natürlich seine Bewandnis, allerdings bleibt Sophia trotz allem nur eine kleinere Nebenfigur und war für mich jetzt, genauso wie ihr Sohn nicht unbedingt die sympathischte Figur in dem Buch.

Es ist ein zu Beginn doch sehr ruhiger Erzählstil und wirklich emotional fesseln konnte es mich erst als die Geschichte quasi aufgelöst wurde und sich alle auf der selben Zeitebene befanden. Dennoch gibt es viele wunderschöne Zitate und einzelne Episoden aus dem Leben der Nebenfiguren berühren mehr als andere.

"Vernunft, Vernunft! Ich pfeife auf die Vernunft. Mit Vernunft kannst du dich trösten, mit Tugend deine Freiheit begründen, aber deine Leidenschaft können beide nicht befriedigen. Nur die Liebe ist imstande, eine Liebeswunde zu heilen."

Einzig die hier sehr häufigen, lockeren und schnell wechselnden Liebesbeziehungen und die starke Tendenz die Männer mit 15-20 Jahre jüngeren Frauen zusammenzubringen wirkt etwas aufgesetzt und nervt nach einiger Zeit etwas. Es war für mich auch sehr überraschend wie offen die Leute mit der Sexualität im Buch umgehen, was natürlich schon sehr schön zeigt, das wir Europäer denken, dass das Leben dort anders (langsamer) verläuft als hier bei uns.

Sehr gut beschreibt der Autor das Sehnen Salmans nach der Heimat und seiner Familie, aber auch die Veränderung die Syrien durchlebt hat. Die Kritik an Syriens Regime wird auch gegen Ende der Geschichte immer stärker spürbar und aktueller.

"Das Regime war eine hohe Mauer, höher als die Pyramiden. Wer überlegen wollte, fand sich damit ab und umging die Mauer auf Umwegen. Man verinnerlichte die Grenze schnell, spätestens nach der ersten Ohrfeige in der Schule. Noch bevor ein Gedanke zu Ende gedacht war, wich man diesem unüberwindlichen Hindernis schon aus."

Auch die Religion nimmt hier einen großen Teil der Geschichte ein und die Unterschiede zwischen Christen und Muslime werden anhand verschiedener gemischter Beziehungen dargelegt und zeigen, wie die Menschen damit umgehen. Im Guten wie im Schlechten.

"Die Liebe richtet sich weder nach dem Geburtsdatum noch nach der Religionszugehörigkeit. Sie trifft die Menschen, so wie Gott sie geschaffen hat, ohne Religion und ohne Geld. In unserer Nacktheit sind wir alle gleich."

Obwohl es teilweise zu weitschweifig wird, bekommt man einen guten Eindruck von Damaskus und auch von den verschiedenen Charakteren, die oftmals eine bewegende Vergangenheit haben und sich letztendlich endweder mit dem Regime arrangiert haben, geflohen sind oder sogar übergelaufen sind aus Angst oder auch Berechnung.

"Flucht ist Neubeginn, ist Hoffnung. Sie ist Klugheit, und Klugheit wird oft als Feigheit missverstanden."

"Sicher, Exil ist nicht einfach, aber ich habe in der Zwischenzeit die Hölle durchlebt. Ich glaube nicht, dass Gott in seiner Güte überhaupt imstande ist, die Hölle zu erschaffen. Aber den Verwaltern der irdischen Hölle ist jede Menschlichkeit abhandengekommen. Sie sind mit Boshaftigkeit gefüllte Monster."

Fazit: Eine wirklich schöne Geschichte die mich vorallem am Ende sehr berührt hat, während zu Beginn einfach etwas zu viele Handlungssprünge gemacht wurden und sich teilweise schon zu stark von der Haupthandlung um Salman entfernte. Besonders die Affären von Salman waren nach einiger Zeit nervig. Trotzdem eine sehr aktuelle Lektüre über Syrien und das Leben der Exilanten sowie dem heiklen Thema der Religion. Besonders die Einführung eines neuen Kapitels mit einem Sprichtwort von einer berühmten Person und einer starken Aussage fand ich sehr gelungen und trägt dazu bei dieses Buch zu etwas beonderem zu machen. Ein gutes Buch, wenn man sich Zeit dafür nimmt und es auf sich wirken lässt.


Autor: Rafik Schami
Buch: Sophia oder Der Anfang aller Geschichten

aba

vor 1 Woche

Vielen Dank für deine Teilnahme an der Leserunde und für deine ausführliche Rezension.

Bella5

vor 5 Tagen

@Betsy

Danke für die Rezi. Schami ist immer nah am Kitsch!

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