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Briefe an Alice
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Themen: kurzgeschichte einsamkeit biografie leben Kategorie: Literatur/Texte/Lyrik
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Autor: | ![]() |
Veröffentlicht: | November 2011 |
Art des Textes: | Kurzgeschichte |
Thema: | Biografie/Sachtext/Kritik |
Lizenz: | ![]() |
Textauszug aus diesem Dokument
Briefe an Alice 25.5.1997 Hallo Alice, Ja, vielen Dank. Deine liebe Postkarte habe ich erhalten. Schreiben kannst Du gut, da warst Du immer besser als ich. Allein, wenn ich an Deine Aufsätze denke, 1,1,1,1. Ma und Pa waren voll des Lobes, inklusive kritischem Seitenblick auf mich. Dafür konnte ich besser rechnen als Du, heute, glaube ich, nicht mehr. Schließlich habe ich es nicht mehr gebraucht, außer zum Üblichen, dafür reicht es immer. So so, da seid ihr schön gewandert, wundert mich ja, dass Dein Ehemann sich überhaupt darauf eingelassen hat. Na ja, hat ja auch viel gut zu machen. Heb die Hände nicht wie der so abwehrend, Du weißt doch, dass ich recht habe. Gern hab ich nicht recht. Jahrelang hat er Dich allein in den Urlaub fahren lassen, weil er nicht konnte, wollte, mochte, was weiß denn ich. Nicht konnte. Also Alice, Du hättest Dir viel Kummer ersparen können, wenn Du auf unsere Eltern gehört hättest. Sicher, er hat auch gute Seiten, ohne solche wär es ja indiskutabel. Ich will da jetzt keine alten Wunden aufreißen, aber ein guter Ehemann ist was anderes. Meiner ist auch nicht besser, deswegen darf ich das sagen. Mittlerweile rieche ich, wenn er lügt. Glaub es mir, ich brauche nicht einmal mehr hochzugucken, um das Lügen in seinen Augen zu sehen ich kann es riechen Das Lügen. Dein Kurt und mein Jochen. J o a c h i m. Joachim würde er heißen, sagt er,
Wenn ich Jochen sage. Ich sage das extra. Meine kleine Rache, wie klein für dieses lange Leben zusammen. Jetzt sind das bei uns beiden schon fast 25 Jahre, kann man sich so eine lange Zeit vor stellen? Du hast auch schon 24 Jahre Ehe auf dem Buckel. Wenn ich frage, was wir machen zur Silberhochzeit, antwortet er: Wie immer . Was soll das denn heißen? Wie immer ist wie immer langweilig. Daheim sitzen und selbst gebackenen Kuchen essen oder was? Gott, wenn ich noch an die ersten Hochzeitstage denke Da sind wir weggefahren, und da war doch richtig Leben drin. Schön war es. Mutti und Vati geht es gut, Du musst sie mal wieder anrufen, jetzt, wo Du aus Eurem spannenden Urlaub zurück bist. Das Haus ist recht groß für die beiden, Vati tut sich mit dem Garten schwerer als im letzten Jahr, finde ich. Manchmal beobachte ich, wie er sich beim Rasenmähen ausruht, öfter, als es mir früher aufgefallen ist. Aber ich glaube, die beiden sind richtig glücklich miteinander, oft komme ich mir vor wie ein Eindringling. Nein, nein, sie sind freundlich, aber ich sehe die kleinen verschwörerischen Blicke, die sie sich zuwerfen, quasi, die Ati geht gleich wieder, und sie können ihre Gemeinsamkeiten ungestört fortsetzen. Bist Du beim Arzt gewesen? Mensch, Alice, geh doch mal. Es ist doch alles in Ordnung, aber Du kannst so was nicht ewig mit Dir rumschleppen. Schade, dass Du nicht hier bist. Ich hätte Lust, mal eine ganze Nacht mit Dir von früher zu sprechen, von weißt Du noch und viel zu lachen. Wir lachen zu wenig. Ich weiß nicht, was ich zu Abend kochen soll. Diese ewige Kocherei. Kannst Du mir noch einmal das Rezept von der herrlichen Roten Grütze geben, die Du beim letzten Mal gemacht hast? Bis bald, liebe Grüße und Küsse, kleine Schwester Deine Ati
17.8.1997 Hallo Süße, war das schön, Dich wiederzusehen. Jetzt, wo ich nach all dem Trubel etwas zur Ruhe gekommen bin, nehme ich mir die Zeit, an Dich zu denken. Das ist unfair. Du bist nur sechs Jahre jünger als ich, aber Du siehst viel jünger aus als ich. Ich muss mehr auf meine Ernährung achten, besonders jetzt nach all der Schlemmerei. Beim nächsten Treffen m u s s ich besser aussehen. Hast Du gesehen, wie bedrippelt Dein Kurt aussah, als Vati ihn fragte, was er seiner Tochter denn so bieten kann? Glaub mir, Papa meint das e r n s t, obwohl er gelacht hat. Innerlich kann er ihn nicht ausstehen. Da ist er nicht der einzige. Dein Kurt hat mir auf den Po gehauen, als ich mit der Melone an ihm vorbei ging. Zum Glück hatte ich den Teller in der Hand Bei solchen Gelegenheiten guckst Du immer weg. Du guckst viel zu viel immer weg. Du siehst gut aus, wahrscheinlich, weil Du immer wegguckst. Ich gucke zu viel hin. Das frisst in mir. Er liebt mich nicht mehr, weißt Du. Jedenfalls nicht mehr wie früher. Er ist mir nicht mehr nahe. Eigentlich geht das schon lange so. Irgendwann, an einem Morgen, habe ich es zum ersten Mal gedacht. Da konnte ich das Lügen nur hören und sehen, noch nicht riechen. Wie sie wohl diesmal heißen mag? Das habe ich nur gedacht. Ich glaube, Ma und Pa wissen es, ich meine, alles. Nur Pa hat einen Narren an ihm gefressen, von Anfang an, er würde also nie zugeben, etwas zu wissen, und wenn, würde er sagen, ich sei Schuld. Ma sagt lieber auch nichts. Sie sehen mir meinen Kummer an, nein, Kummer ist das nicht, mehr Traurigkeit über die verlorene Zeit, aber sie sagen nichts, sie fragen nicht. Ja, wenn Du das wärst, ihr Engelchen, dann würden sie Dich fragen, aber Du wiederum schauspielerst alles weg. Was nicht sichtbar ist, gibt es nicht, nicht wahr,...
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Wenn ich Jochen sage. Ich sage das extra. Meine kleine Rache, wie klein für dieses lange Leben zusammen. Jetzt sind das bei uns beiden schon fast 25 Jahre, kann man sich so eine lange Zeit vor stellen? Du hast auch schon 24 Jahre Ehe auf dem Buckel. Wenn ich frage, was wir machen zur Silberhochzeit, antwortet er: Wie immer . Was soll das denn heißen? Wie immer ist wie immer langweilig. Daheim sitzen und selbst gebackenen Kuchen essen oder was? Gott, wenn ich noch an die ersten Hochzeitstage denke Da sind wir weggefahren, und da war doch richtig Leben drin. Schön war es. Mutti und Vati geht es gut, Du musst sie mal wieder anrufen, jetzt, wo Du aus Eurem spannenden Urlaub zurück bist. Das Haus ist recht groß für die beiden, Vati tut sich mit dem Garten schwerer als im letzten Jahr, finde ich. Manchmal beobachte ich, wie er sich beim Rasenmähen ausruht, öfter, als es mir früher aufgefallen ist. Aber ich glaube, die beiden sind richtig glücklich miteinander, oft komme ich mir vor wie ein Eindringling. Nein, nein, sie sind freundlich, aber ich sehe die kleinen verschwörerischen Blicke, die sie sich zuwerfen, quasi, die Ati geht gleich wieder, und sie können ihre Gemeinsamkeiten ungestört fortsetzen. Bist Du beim Arzt gewesen? Mensch, Alice, geh doch mal. Es ist doch alles in Ordnung, aber Du kannst so was nicht ewig mit Dir rumschleppen. Schade, dass Du nicht hier bist. Ich hätte Lust, mal eine ganze Nacht mit Dir von früher zu sprechen, von weißt Du noch und viel zu lachen. Wir lachen zu wenig. Ich weiß nicht, was ich zu Abend kochen soll. Diese ewige Kocherei. Kannst Du mir noch einmal das Rezept von der herrlichen Roten Grütze geben, die Du beim letzten Mal gemacht hast? Bis bald, liebe Grüße und Küsse, kleine Schwester Deine Ati
17.8.1997 Hallo Süße, war das schön, Dich wiederzusehen. Jetzt, wo ich nach all dem Trubel etwas zur Ruhe gekommen bin, nehme ich mir die Zeit, an Dich zu denken. Das ist unfair. Du bist nur sechs Jahre jünger als ich, aber Du siehst viel jünger aus als ich. Ich muss mehr auf meine Ernährung achten, besonders jetzt nach all der Schlemmerei. Beim nächsten Treffen m u s s ich besser aussehen. Hast Du gesehen, wie bedrippelt Dein Kurt aussah, als Vati ihn fragte, was er seiner Tochter denn so bieten kann? Glaub mir, Papa meint das e r n s t, obwohl er gelacht hat. Innerlich kann er ihn nicht ausstehen. Da ist er nicht der einzige. Dein Kurt hat mir auf den Po gehauen, als ich mit der Melone an ihm vorbei ging. Zum Glück hatte ich den Teller in der Hand Bei solchen Gelegenheiten guckst Du immer weg. Du guckst viel zu viel immer weg. Du siehst gut aus, wahrscheinlich, weil Du immer wegguckst. Ich gucke zu viel hin. Das frisst in mir. Er liebt mich nicht mehr, weißt Du. Jedenfalls nicht mehr wie früher. Er ist mir nicht mehr nahe. Eigentlich geht das schon lange so. Irgendwann, an einem Morgen, habe ich es zum ersten Mal gedacht. Da konnte ich das Lügen nur hören und sehen, noch nicht riechen. Wie sie wohl diesmal heißen mag? Das habe ich nur gedacht. Ich glaube, Ma und Pa wissen es, ich meine, alles. Nur Pa hat einen Narren an ihm gefressen, von Anfang an, er würde also nie zugeben, etwas zu wissen, und wenn, würde er sagen, ich sei Schuld. Ma sagt lieber auch nichts. Sie sehen mir meinen Kummer an, nein, Kummer ist das nicht, mehr Traurigkeit über die verlorene Zeit, aber sie sagen nichts, sie fragen nicht. Ja, wenn Du das wärst, ihr Engelchen, dann würden sie Dich fragen, aber Du wiederum schauspielerst alles weg. Was nicht sichtbar ist, gibt es nicht, nicht wahr,...
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