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Com&Com-Katalog_Meyer_kurz
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Themen: kunst art Kategorie: Skripte/Materialien
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Thema: | Kunst/Design |
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Textauszug aus diesem Dokument
Torsten Meyer Postironischer Realismus Zum Bildungspotential von Cultural Hacking Im ersten Jahr habe ich versucht, was zu machen, was wie Kunst aussieht., berichtet S. aus ihrer Studienbiographie an der Hochschule für bildende Künste. Ich musste herzlich lachen. Was machen, was wie Kunst aussieht, das klingt so herrlich unschuldig. So befreiend. Der ganze Ballast der Jahrhunderte, die Bürde der kulturellen Übermittlung, das Abendland, die Moderne, das Erhabene aber auch der AvantgardeZwang, die bedeutungsschweren Expressionismen, die postkoloniale Verantwortlichkeit, einfach so dahin mit einem unbeschwerten als ob und so wie Und dann habe ich mich gefragt, ob S. das vielleicht nicht nur so unschuldig dahingesagt hat, sondern eine sehr tiefgreifende Wahrheit ausgesprochen hat. Ich habe mich gefragt, ob das nicht eventuell auf alle zumindest viele aktuelle Künstler zutreffen könnte: Dass sie etwas machen, was wie Kunst aussieht. Die wenigsten würden das zugeben, selbstverständlich. Aber könnte es sein, dass viele aktuelle Künstler Sachen machen, die wie Kunst aussehen? Heimlich? Könnte es sein, dass viele aktuelle Künstler also insofern auch eher aktuelle Künstlerdarsteller sind als aktuelle Künstler? Dass sie den Künstler, die Künstlerin nur mimen, nur imitieren, nur so tun als ob? Und die aktuelle Kunst dann also durchzogen wäre von lauter Imitaten von lauter Sachen, die nur wie Kunst aussehen? Nicht ganz unschuldig an diesem Gedanken waren ComCom. Das Schweizer KünstlerDuo kommt mir manchmal vor wie der ProofofConcept der professionellen Künstlerdarstellerei. ComCom führen die Künstler auf, stellen Künstler dar, tun so wie Künstler, ahmen nach. Imitation. Aber das ist kein Fake. Das ist wirklich wahr. Camouflage Mimesis ist der biologische Fachbegriff für eine Form der Anpassung eines Lebewesens an seine Umwelt, die mit Tarnung gut gefasst ist. Stabheuschrecken sehen aus wie trockene Äste, Zahnspinner imitieren die Rinde bestimmter Laubbäume und Gespenstschrecken werden von optisch orientierten Fressfeinden für grüne Blätter gehalten. Die Tiere ahmen Gestalt, Farbe, Haltung eines Teils ihres Lebensraumes nach, sodass potentielle Feinde sie nicht mehr von der Umgebung unterscheiden können oder für uninteressant halten. Sie fallen nicht auf. Daraus ergibt sich in der Regel ein Überlebensvorteil. Auch Menschen ahmen in der Form sozialer Mimesis Gestalt, Farbe, Haltung und die entsprechenden Äquivalente von Teilen ihres Lebensraumes nach. Das ist wesentlicher Bestandteil des Vorgangs, den man Sozialisation nennt. In der sozialen Umwelt Kunsthochschule zum Beispiel ergibt sich so könnte das Verhalten der oben genannten Kunststudentin gedeutet werden offenbar ein Überlebensvorteil, wenn man was macht, was wie
2 Kunst aussieht. S. tarnt sich als Wissende, sie tarnt sich als eine, die weiß, was sie tut, die weiß, was Kunst ist, und diesem Wissen entsprechend handelt. Die mimetische Annäherung ist gerade vor dem Hintergrund mancher Kunsthochschulsozialisation bemerkenswert. Meiner Erfahrung nach wird gerade dort oft die reflexive Klärung der Frage, was Kunst ist, mit dem Argument Nicht schon wieder diese Frage gern vermieden. S. kann deshalb zwecks Orientierung an der Kunsthochschule nicht auf ein dort erworbenes gesichertes reflexives Wissen zurückgreifen, das das Machen von Kunst zu einer bewussten Wahlhandlung machen würde. Ersatzweise kann, vielleicht muss, S. aber mimetisch handeln, indem sie etwas macht, was wie Kunst aussieht. Die überlebenswichtige Frage, ob diese Tarnung funktioniert, lässt sich nur empirisch klären: Werden die relevanten Autoritäten Professoren, Kommilitonen, Käufer auf das, was nur wie Kunst aussieht, hereinfallen und es bei der Jahresausstellung mit echter Kunst verwechseln? Kunst Anders als es manch mythologisierende Geschichte der Kunst behauptet, ist die Kunst im Singular kein unveränderlicher Bestandteil der conditio humana und auch keine transhistorische Substanz, die sich als anthropologische Konstante unverändert durch die Menschheitsgeschichte zieht. Die Kunst ist ein relativ spät in der abendländischen Moderne auftauchendes Phänomen, das sich mit den kulturellen Innovationen im Umfeld der Zentralperspektive, des Buchdrucks und der damit zusammenhängenden Erfindung des Subjekts gebildet hat. Die Kunst wurde zunächst noch von Handwerkern der Abbildnerei gemacht. Sie profitierten von dem in der Renaissance erwachten neuen Interesse an der sichtbaren Welt und wurden dann innerhalb kürzester Zeit zu den nun nicht mehr nach der Natur, sondern nun wie die Natur schaffenden Genies, die noch heute manche Akademie und Volkshochschule bevölkern. Die mimetischen Prozesse fanden nicht mehr zwischen den Bildern und einer außerhalb ihrer liegenden Wirklichkeit statt, sondern zwischen dem Bildermacher und einer außerhalb der Wirklichkeit liegenden Schöpfungsinstanz. Genie ist die angeborene Gemütslage ingenium, durch welche...
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2 Kunst aussieht. S. tarnt sich als Wissende, sie tarnt sich als eine, die weiß, was sie tut, die weiß, was Kunst ist, und diesem Wissen entsprechend handelt. Die mimetische Annäherung ist gerade vor dem Hintergrund mancher Kunsthochschulsozialisation bemerkenswert. Meiner Erfahrung nach wird gerade dort oft die reflexive Klärung der Frage, was Kunst ist, mit dem Argument Nicht schon wieder diese Frage gern vermieden. S. kann deshalb zwecks Orientierung an der Kunsthochschule nicht auf ein dort erworbenes gesichertes reflexives Wissen zurückgreifen, das das Machen von Kunst zu einer bewussten Wahlhandlung machen würde. Ersatzweise kann, vielleicht muss, S. aber mimetisch handeln, indem sie etwas macht, was wie Kunst aussieht. Die überlebenswichtige Frage, ob diese Tarnung funktioniert, lässt sich nur empirisch klären: Werden die relevanten Autoritäten Professoren, Kommilitonen, Käufer auf das, was nur wie Kunst aussieht, hereinfallen und es bei der Jahresausstellung mit echter Kunst verwechseln? Kunst Anders als es manch mythologisierende Geschichte der Kunst behauptet, ist die Kunst im Singular kein unveränderlicher Bestandteil der conditio humana und auch keine transhistorische Substanz, die sich als anthropologische Konstante unverändert durch die Menschheitsgeschichte zieht. Die Kunst ist ein relativ spät in der abendländischen Moderne auftauchendes Phänomen, das sich mit den kulturellen Innovationen im Umfeld der Zentralperspektive, des Buchdrucks und der damit zusammenhängenden Erfindung des Subjekts gebildet hat. Die Kunst wurde zunächst noch von Handwerkern der Abbildnerei gemacht. Sie profitierten von dem in der Renaissance erwachten neuen Interesse an der sichtbaren Welt und wurden dann innerhalb kürzester Zeit zu den nun nicht mehr nach der Natur, sondern nun wie die Natur schaffenden Genies, die noch heute manche Akademie und Volkshochschule bevölkern. Die mimetischen Prozesse fanden nicht mehr zwischen den Bildern und einer außerhalb ihrer liegenden Wirklichkeit statt, sondern zwischen dem Bildermacher und einer außerhalb der Wirklichkeit liegenden Schöpfungsinstanz. Genie ist die angeborene Gemütslage ingenium, durch welche...
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