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  • Das Ende der Internet-Utopien – das Buch »Neue Demokratie im Netz« widerlegt mit harter Empirie die Visionen der demokratisierenden Kraft des Web 2.0 in der Informationsgesellschaft: Die »Weisheit der Vielen« kann die Massenmedien nicht ersetzen.

    In aller Regelmäßigkeit wird dem Netz eine demokratisierende Kraft in der gesellschaftlichen Wirklichkeitsbeschreibung zugesprochen. Der Band »Neue Demokratie im Netz? Eine Kritik an den Visionen der Informationsgesellschaft« (Schrape, Transcript 2010) hinterfragt diese Visionen aus sozialwissenschaftlicher Sicht und taxiert das Veränderungspotenzial des World Wide Web mit Rückgriff auf zahlreiche empirische Studien möglichst unaufgeregt.

    Quintessenz: Die »Weisheit der Vielen« kann die massenmediale Berichterstattung nicht ersetzen.
    Die Online-Techniken steigern ohne Zweifel die Effizienz auf allen Kommunikationsebenen, aber sie entbinden weder den Einzelnen noch die gesellschaftlichen Funktionszusammenhänge von der Notwendigkeit zur Auswahl. Wenn die Gesellschaft auf eine geteilte Wirklichkeitsbeschreibung angewiesen ist, bleibt die Luft auf dieser Ebene dünn, denn nur weniges kann gesellschaftsweit verbreitet werden. So etwas wie die ›Massenmedien‹ wird es also noch lange geben.

Kommentare zu diesem Dokument

  • Von einer Utopie des Netzes, der restlosen Vertreibung der Massenmedien durch das Internet soll im Diskurs angeblich die Rede sein. Das ist zumindest die Aussage, die Herr Schrape in seinem Buch anzugreifen scheint.
    Nur: Wer redet von einem restlosen Weggang der klassischen Medien? Wann war das jemals der Fall? Ich habe das Internet jedenfalls immer nur als Ergänzung begriffen. Hauptsächlich als Diskussionsplattform.

Textauszug aus diesem Dokument

Seit der Erfindung des World Wide Web durchkreuzen schillernde Uto pien die Öffentlichkeit, die den OnlineTechniken ein demokratisieren des Potential in der sozialen Realitätskonstruktion zuschreiben. Auch im Diskurs um das Web 2.0 tritt die Hoffnung hervor, dass die neuen Selek tions und Publikationsmöglichkeiten sukzessive zu einer Erosion der vielfach kritisierten Dominanz der Massenmedien führen. Letztlich geht es hierbei um die Frage, inwieweit innovative Realitätsentwürfe durch die neuen Kommunikationstechniken schneller und direkter Eingang in die übergreifende Wirklichkeitsbeschreibung finden können. Gleichzeitig wurde nur selten hinterfragt, warum es für das Gros der Bevölkerung überhaupt sinnvoll sein sollte, auf die Auswahlleistungen der Massenmedien zu verzichten: Es liegen zwar viele Ausschnittsbe schreibungen zu den neuen kommunikativen Spielarten vor, diese wur den aber bislang kaum mit übergreifenden Beobachtungsmodellen in Bezug gesetzt. Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Band das De mokratisierungspotential des Internets in der sozialen Realitätskonstruk tion aus einer erweiterten systemtheoretischer Sicht, die auf die Relati vität aller Realitätssichten und die Stabilität sozialer Strukturen eingeht, aber zugleich einen möglichen Wandel von unten nicht unterbeobach tet lässt. Daran anknüpfend wird nachvollzogen, wie die Massenmedien ihre Zentralstellung in der Gegenwartsbeschreibung einnehmen konnten, bevor die Präferenzen der Onliner und die Qualitäten der Netzwerkkom munikation taxiert werden. Die Betrachtungen kommen zu dem Schluss, dass das Web zwar die Kommunikation in vielen Bereichen beschleu nigt und flexibilisiert, die Massenmedien aber als Auswahlinstanzen in der sozialen Realitätskonstruktion keineswegs obsolet werden.
13 VISIONEN Ziel dieses Bandes ist es, den Einfluss der veränderten Medienlandschaft in der Netzwerkgesellschaft auf die soziale Realitätskonstruktion zu un tersuchen: Zum 20. Geburtstag des World Wide Web 1991 stellt sich die Frage, ob wir im Horizont der zunehmenden Medienkonvergenz und der erweiterten Kommunikations und Partizipationsmöglichkeiten im Netz auf dem Weg zu einem demokratischeren Modus der gesellschafts übergreifenden Wirklichkeitsbeschreibung sind. Den Visionen aus der Gründerzeit des Web zufolge standen wir frei lich schon Mitte der 1990er Jahre vor dem Beginn einer digitalen Re volution, welche die Gesellschaft verändern sollte, wie vorher nur die Erfindung des Feuers Wired Magazine 1993. Vor dem Hintergrund der Motive seines Erfinders BernersLee 1991: information should be freely available to anyone schrieben viele Kommentatoren dem Web eine strukturaufbrechende Kraft zu: Warren proklamierte 1996 die Cy berdemokratie, denn die großen Verlierer der OnlineTechnologien sind Parteien und Bürokratien. Damit wandert Macht weiter nach unten zit. nach Siegele 1996. Der Philosoph Lévy vermutete 1997: Der Cy berspace könnte Äußerungsstrukturen beherbergen, die lebendige politi sche Symphonien hervorbringen, wodurch Kollektive von Menschen kontinuierlich komplexe Äußerungen erfinden zit. nach Lau 1997. Und Holland 1997: 26, Gründer des Chaos Computer Clubs, be schrieb das Internet als das erste Universalmedium der Menschheitsge schichte, das die Rezipienten aus ihrer Passivität erlöse: Den Herr schenden ist mit dem Ding Brechts Radiotheorie auf die Füße gefallen. Etwas neutraler prognostizierte 1999 eine internationale DelphiStudie einen tiefgreifenden Wandel der medialen Nutzungsstrukturen Beck et al. 2000. Spätestens nach dem Platzen der DotcomBlase im März
NEUE DEMOKRATIE IM NETZ? 14 2000 wurde allerdings deutlich, dass an das World Wide Web auch ge sellschaftswissenschaftlich weit zu viel Potential geknüpft worden war: Das Netz verändert die Gesellschaft weniger als vermutet, notierte der Spiegel 51/2000: 31 und die Zeit zog die Bilanz, dass von den hochfliegenden Prognosen und Visionen auch heuer nicht sonderlich viel eingetroffen ist Damaschke 2000. Diese Erfahrung überhöhter Transformationshypothesen scheint im aktuellen Diskurs um das Web 2.0 allerdings wieder vergessen: Ange feuert durch den Erfolg kooperativer Wissensdatenbanken wie Wikipe dia formulierte Kelly 2005 in Wired: 2015, everyone alive will on average write a song, author a book, make a video, craft a weblog, and code a program.
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