Literatur und Alltag
Fünf Gespräche
Biogrpahie null?

Liane Dirks
Nicht immer gelingt es, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. Der Autor lebt gleichsam in zwei Sphären, der mehr oder weniger unaufgeregten Alltagswelt und der produzierten Fiktion. Wie vielfältig beide verknüpft sind, ist Gegenstand unserer Gespräche. Da geht es um die kleinen Rituale, die den Schreiballtag begleiten – Zigarette anzünden, zum Briefkasten gehen – bis hin zu existenziellen Lebenserfahrungen, die bewusst oder intuitiv und modifiziert Eingang in den Text finden. Gerade beim Romanautor, der größere Textmengen zu bewältigen hat, geht es auch um die Regelmäßigkeit – oder sagen wir: den alltäglichen Fortschritt – des Schreibens. Walter Benjamin spielte darauf an: »Nulla dies sine linea – wohl aber Wochen.«
Es ist üblich, dass Figuren andere Namen tragen als ihre Autoren oder jene Personen, die sie möglicherweise zum Vorbild habe. Liane Dirks verzichtet in ihrem Roman Vier Arten meinen Vater zu beerdigen darauf, die Hauptfigur, ihren Vater, mit einem erfundenen Namen zu maskieren. Dabei beruft sie sich auf Michel Houellebecq, der immer wieder Personen der Medienwelt unter Realnamen in seinen Romanen auftreten lässt. Natürlich kann es auch umgekehrt geschehen, dass die Autorin eine Figur frei erfindet, in der eine existierende Person sich dann gespiegelt sieht.
Für Christoph Nußbaumeder ist Alltag zunächst nur das, was täglich passiert. Er sucht hier nicht wissend nach verwertbaren Eindrücken oder menschlichen Originalen, die seine Stücke bereichern. Doch Erlebnisse in der Kneipe oder im Taxi können anregen. Wesentlich dabei ist letztlich die Zuspitzung, die sprachliche Formung, die ein Thema zu Literatur werden lässt.
Alltag ist auch Alltag jenseits des Schreibens oder vor dem Schreiben, Kindheit und Jugend beispielsweise. Jayne-Ann Igel schildert ihre Leseerlebnisse in der DDR, wo es ihr als Mitarbeiterin der Deutschen Bücherei möglich war, Neuerscheinungen aus Ost und West zu lesen. Prägend war für sie über das Literarische hinaus die landschaftliche und industrielle Topographie, der Rauch über den Tagebaulandschaften. Das Schreiben braucht Erfahrungswerte und muss sich für Jayne-Ann Igel mit Sinnlichem verknüpfen, so dass sie nur über Dinge schreiben kann, die sie auch wahrgenommen hat.
Dass man sich mit einem Autor auf einer Pferderennbahn zum Interview trifft, darf als Zeichen für gewisse – alltägliche? – Leidenschaften gedeutet werden. Oder sind Pferderennen wichtig fürs Schreiben? Literatur ist Stil und Fiktion, Struktur und Plot. So Clemens Meyer. Und Biographie null. Es ist verständlich, dass ein Autor, dem man sich gern biographisch nähert und der stets mit dem Leipziger Osten in Verbindung gebracht wird, darauf hinweist, dass alles Biographische fürs Schreiben nichtig ist, wenn man nicht das Handwerkliche beherrscht. Sehr wahr. Eine Einschätzung, der sich sicher kaum ein Autor verweigern kann.
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