Kontrapunktfetischist und skurrile Gestalt
Zugegeben, der Name Moondog klingt interessant,
aber ist den meisten wohl kein Begriff. Und doch wage ich zu behaupten, dass viele
mittleren Alters Musik von Moondog schon gehört haben, ohne sie jedoch - zumindest
- bewusst zu kennen. Erinnert man sich vielleicht noch an die Kino-Vorschau-Sendung
namens "Trailer" präsentiert von Frank Hofmann? - Diese ist doch vielen von uns
sicher noch in Erinnerung?! - Ja, und die Titelmelodie, eine fetzige "Jazz"-Nummer
(die streng genommen gar kein Jazz ist - aber dazu etwas später!) ist das wohl
bekannteste Stück von Moondog, mit dem Titel: "Bird's Lament".
Wer verbirgt sich also
hinter dem seltsamen Namen Moondog: Es ist dies der wahrlich schräge Komponist
Thomas Louis Hardin, der 1916 in Maryville als Sohn eines wandernden Predigers
geboren wird. Einer seiner ersten Kontakte mit Musik ist es, als er im Zuge der
Missionierungsarbeiten seines Vaters in das Indianerreservat von Wyoming mitgenommen
wird und dort auf dem Schoß des Häuptling Yellow Calf die Sonnentanztrommel schlagen
darf. Wie er selbst sagte, wurde das zu einem seiner prägendsten Erlebnisse in
Hinsicht auf Musik.
Die Vorliebe für diesen "steady" beat ließ ihn nicht mehr los. Aber derartige
Glücksgefühle sollten nicht immer vorwähren: Denn mit sechzehn Jahren spielt
er mit Dynamitpatronen, die explodieren und ihm für sein ganzes weiteres Leben
das Augenlicht rauben. Nach diesem Schicksalsschlag versucht er dennoch aus
seiner Situation das Beste zu machen und besinnt sich wieder seiner "ersten"
Liebe der Musik. Er erlernt etliche Instrumente, studiert Chorgesang und intensivst
die Harmonielehre. Aufgrund seiner Behinderung legt er sich einen Blindenhund
zu, der - wie ihm schien - besonders dem Mond zugetan war, und diesen immer
wieder leidenschaftlich anbellte. Später, nach dem Tod dieses Hundes, nahm
Louis Hardin zu Ehren seines ehemaligen Begleiters den Künstlernamen Moondog
an und zog nach New York, wo er - was im brodelnden "Big Apple" wirklich nicht
leicht ist - großes Aufsehen erregte. Jeden Tag stand er auf der Straße, gegenüber
dem Hilton Hotel, komponierte, dichtete, sprach, oder ließ sich von den verschiedensten
Personen ansprechen. Kein Wunder, Moondog war zum wirklich "bunten" Hund
geworden - mit seinem mehr als eigenartigen Aussehen: Rauschebart,
Wikingerhelm
und langer Speer. Dieser Sonderling fiel unter anderem auch dem berühmten
Jazzsaxofonisten Charlie Parker, verschiedenen Dirigenten und Komponisten
wie Artur Rodzinski, Arturo Toscanini, Igor Strawinski, sowie auch Leonard
Bernstein auf. Einige von ihnen ließen sich näher auf den schrulligen Kerl
ein, und so konnte Moondog sein Wissen hinsichtlich Komposition und Orchestrierung
noch um einiges erweitern. Und Moondog arbeitet auch wie ein Besessener am
Komponieren: Über 1500 Stücke soll er geschrieben haben - von kurzen Minuten-Stücken
bis hin zu 9 ½ Stunden langen Symphonien.
Er war eigentlich schon recht alt, als aus dem seltsamen "ernsten" Straßenkomponisten ein anerkannter Künstler wurde: Erst in den späten sechziger Jahren lud man ihn ein, seine Werke aufzunehmen und bald war Moondog nicht nur gegenüber vom Hilton-New York verschwunden, sondern überhaupt aus Amerika. Viele glaubten bereits an seinen Tod, doch Moondog fing jetzt erst so richtig zu leben an. Er wanderte nach Europa, genauer gesagt nach Deutschland aus, wo er endlich auch große Konzerterfolge feiern durfte. Moondog selbst fühlte sich künstlerisch eigentlich Europa stets näher als seiner ursprünglichen Heimat, den Vereinigten Staaten; seine wahre "Urheimat" - wenn man so sagen darf - war allerdings der Kontrapunkt, den er mit einer schon an Manie grenzenden Leidenschaft studierte, verwendete und untersuchte. Er selbst gab an, selbst bei den "Größten aller Großen" hinsichtlich des kontrapunktischen Komponierens Unvollkommenes, ja manchmal sogar geradezu haarsträubende Fehler entdeckt zu haben ("Na ja, man muss bei Bach schon ein wenig nachsichtig sein, immerhin hatte der ja auch noch einiges mit seinen vielen Kindern zu tun!")
Moondog selbst hatte nur eine Tochter, so dass ihm gehörig Zeit blieb seine eigenen Werke penibelst auf kontrapunktische Unzulänglichkeiten abzuklopfen. Der Kontrapunkt zieht sich durch sein gesamtes Schaffen, egal ob er Orgelwerke, Symphonien oder eben sein großartiges Werk, wo er sich kontrapunktisch wahrlich austoben konnte: "Sax Pax for a sax", eine Hommage anlässlich des 100-jährigen Todestages des Saxofonerfinders, Adolphe Sax, ist ein - anders geht es bei Moondog auch gar nicht - vollständig, in allen Einzelheiten durchkomponiertes Werk, zumeist in der Form von Kanons (bis zu 36 Stimmen!); dass hier eine schier unglaubliche Präzision des Saxofon-Orchesters notwendig ist, kann man sehr leicht nachvollziehen - und dennoch kommt vieles so leichtfüßig, so swingend daher, als sei es "frisch von der Leber" improvisiert. Fast scheint es, als wollte Mr. Moondog beweisen, dass ein "perfekter Symphoniker" sehr wohl swingen kann, hingegen ein perfekter Jazzer niemals fehlerfrei - hinsichtlich der kontrapunktischen Anforderungen, versteht sich, - spielen kann.
Die bekannteste Nummer - jene Trailer-Kennmelodie - also ein ebenfalls bis ins kleinste durchkomponiertes Stück hätte auch Charlie Parker alle Ehre gemacht. Diese Nummer schrieb Moondog in Memoriam Charlie Parker, der mit ihm sogar einmal eine Platte aufnehmen wollte, doch Parkers Tod ließ die Umsetzung dieser Idee leider nicht mehr Wirklichkeit werden. Man kennt (von der Trailer-Signation her!) das Stück in der schnelleren Version, auf "Sax Pax for a sax" wird es im - von Moondog ursprünglich so konzipierten - gemesseneren Tempo vorgetragen. Beide Version sind jedenfalls großartig - wie die gesamte Aufnahme dem herrlichen Saxonfoninstrument alle Ehre erweist und selbiges sich dergestalt in seiner eindrucksvollsten Weise präsentieren kann.
1999 setzte eine Herzattacke dem Kontrapunkt ein vorläufiges Ende. Thomas Louis Hardin erlag 83-jährig diesem Herzanfall. Er, den viele Musikexzentriker wie z.B. Philip Glass als ihren "Häuptling" hinsichtlich seiner musikalischen Progressivität ansahen, war dies streng genommen eigentlich niemals wirklich. Andererseits stimmen derartige Behauptungen dann doch wieder, wenn man Moondogs manischen kontrapunktischen Perfektionismus heranzieht, der seinerseits seine musikalische Konservativität in die absolute Progressivität kippen ließ.
(Jakob Kreutzfeldt; 08/2002)
Moondog:
"Sax Pax for a sax"
Roof/Kopf (Indigo Vertrieb).
Erscheinungsdatum: 4. Oktober 1999.
ca. EUR 16,99. CD
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