(...) Die Deutschen
zielten mit dem Maschinengewehr auf uns. Wir hatten keine Angst, warum
auch, sie zielten ja jeden Tag mit Maschinengewehren auf uns. Dann
sprangen zwei vom Lastwagen herunter, sprengten das Rollgitter und
öffneten das Magazin. Da dämmerte es Herrn
Liakópulos, daß er sich eigenhändig die
Augen ausgekratzt hatte. Sie sprengen also das Gitter, wir
spähen hinein, im Magazin stehen stapelweise die
Säcke. Die Deutschen beginnen sie auf ihren Laster zu hieven.
Als Herr Liakópulos das sah, bekam er Zustände,
seine Töchter schleppten ihn nach drinnen, eine besprengte ihn
auch noch mit Wasser.
Wir bekommen die nicht zu essen, die Kartoffeln, du Schuft,
brüllt Frau Kanéllo los, aber du, du verkaufst sie
auch nicht auf dem Schwarzmarkt! Du dreckiger Schwarzhändler!
Paß auf, was du sagst, Madam, schreit die eine
Liakópulostochter zurück, sonst verklag ich dich
bei der Kommandatur!
Tu`s doch, du Miststück, schreit Frau Kanéllo.
Einen Tagesmarsch sind die Partisanen entfernt. Ich werd dafür
sorgen, daß sie dir das Haus abbrennen und euch mit,
eigenhändig werd ich`s euch abbrennen, ich weiß
schon wie! (Und tatsächlich brannte ihr Haus beim Einmarsch
der Partisanen ab, allerdings durch einen Zufall.)
Und die Deutschen räumten das Magazin weiter aus, es war
beschlagnahmt. Wir standen drüben wie versteinert, das Wasser
lief uns im Mund zusammen. Sollen ihnen doch die Kartoffeln wie Blei im
Magen liegen, den Hintern sollen sie ihnen verstopfen, machte sich
Fräulein Salome Luft, wenn auch zur Sicherheit leise.
Hinüber ging keiner von uns. Vor der Tür von
Liakópulus der Lastwagen. Gegenüber wir alle in
einer Traube, der kleine Platz in der Mitte leer. Mit den Deutschen
wollten wir nichts zu schaffen haben. Bloß massakrieren
wollten wir sie. Ich vermeide es, an die Deutschen zu denken, sonst
kann ich nicht schlafen vor Wut, sogar heute noch nicht.
Aus einem Sack, den die beiden Deutschen hochhievten, kullerten drei
Kartoffeln. Uns, der Menge an der Wand, entfuhr ein Stöhnen.
Daß sich ja keine von euch rührt, sagte ein Mann,
der Teutone mit dem Maschinengewehr auf dem Laster feixte zu uns
herüber und deutete mit dem Lauf auf die heruntergefallenen
Kartoffeln. Daß sich ja keine von euch täuschen
läßt und nach vorne geht, wiederholte der Mann. Die
übrigen Deutschen hatten das Aufladen unterbrochen und
starrten uns an. Sie lauerten. Mir kam es vor, als hörte ich
unsere Atemzüge. Die zermalmen sie jetzt beim
Rückwärtsfahren, sagte Frau Faní. Die
zermalmen sie, diese Schweine.
Die Deutschen standen reglos und grinsten. Wir standen reglos.
Da löst sich unser armer Fánis aus der Gruppe und
bewegt sich auf die Mitte des Platzes zu, tolpatschig wie ein
Küken. Der kleine Fanúlis wirft unserer Mutter
einen lächelnden Blick zu und geht weiter in Richtung auf die
Kartoffeln. Als er sie alle drei aufgehoben hat, die übrigen
stehen immer noch reglos, macht der feixende Deutsche einen Satz vom
Lastwagen und schlägt ihm den Gewehrkolben auf die Hand. Dem
Jungen fallen die Kartoffeln herunter, aber er läßt
sich nicht drausbringen! Er bückt sich, um sie aufzuheben.
Zumindest eine. Da haut ihm der Gewehrkolben wieder auf die Finger, und
wieder, und wieder, bis sie kaputt sind. Ich glaube, daß ich
seine kleinen Knochen brechen hörte, aber immer, wenn ich das
erzähle, heißt es, ich wäre
übergeschnappt. Der Junge stößt einen
gellenden Schrei aus, wir sind schon dabei, uns als Gesamtheit
vorwärts zu schieben, aber die übrigen Deutschen,
drei sind es, haben die Waffen auf uns angelegt, ich höre
sogar das Knacken der Hähne, als sie durchladen. Wir
versteinern wieder, ein einziger Block. Der Soldat hält jetzt
das Maschinengewehr auf uns gerichtet. Der Junge in der Mitte des
Platzes hüpft und flattert, er kreiselt wie ein halb
abgestochenes Huhn, das man mit dem ersten Messerhieb nicht richtig
getroffen hat. Seine Handfläche ist verdreht, als zeigte sie
zum Ellbogen. Die Deutschen machen sich nun erneut an die Arbeit. Drei
von unseren Männern sind schon auf dem Sprung, das Kind zu
holen, wieder zielen die Deutschen auf sie, die Unseren weichen
zurück, der Junge kreiselt weiter in der Mitte.
Da löst sich Frau Kanéllo aus der Traube und geht
auf unseren Fánis zu. Meine Mutter ist ohmächtig
geworden, die Augen umflort, Heilige Mutter Gottes, sein
Händchen, hatte sie aufgeschrien, ich hielt sie fest, halb lag
sie auf meinen Beinen, halb auf der Erde, ich tat, was ich konnte,
daß sie mir nicht hinunterrutschte, schließlich
stürzte sie doch ganz zur Erde. Die Soldaten
nehmen wieder die Waffen auf, legen sie auf uns an, aber Frau
Kanéllo geht weiter auf unseren Jungen zu wie der
allmächtige Christus. Sie kniet sich hin, schließt
ihn in die Arme, schwarze Strümpfe trug sie, "bas
roulés" sagten wir damals dazu, vor dem Krieg kauften die
Armen sie sich, wenn sie Trauer hatten, aber wer konnte in der
Besatzungszeit groß was für die Toten tun, rein in
den Sarg und raus aus der Tür, darum gaben die Kaufleute diese
Baruléstrümpfe billig ab, als unnütze
Ware. Als Frau Kanéllo sich auf den Boden kniete und das
Kind in die Arme schloß, zerrissen ihr die Strümpfe,
und ich sehe noch vor mir, wie die Laufmaschen bis zu den
Knöcheln hinunterliefen. Ein Deutscher geht mit dem Revolver
auf sie zu, den Dialog habe ich noch vollständig im Kopf.
Deutscher: Deines Kind?
Frau Kanéllo: Ja, das ist mein Kind.
Deutscher: Das Dieb.
Strafe.
Mit einem Hieb zerstampft der Deutsche die Kartoffeln,
eine nach der anderen. (...)
aus
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