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Juni 2003
Tobias Lehmkuhl
für satt.org

John Ashbery: Mädchen auf der Flucht.
Ausgewählte Gedichte.
Hanser Verlag, München 2002

John Ashbery: Mädchen auf der Flucht. Ausgewählte Gedichte.

165 S., 17,90 EUR
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John Ashbery:
Mädchen auf der Flucht.
Ausgewählte Gedichte.



Auf dem Umschlag ein grünstichiges schwarz-weiß Bild: ein junger, hübscher Mann, ein Mann von Geschmack. Er ist Kunstkenner, Kunstkritiker. Und er ist Dichter, fünfzig Jahre später der vielleicht bedeutendste Amerikas. Seit langem schon widmen Größen der amerikanischen Literaturkritik ihm ausführliche Aufsätze und ganze Bücher. Und auch in Deutschland ist er präsent: Für viele jüngere Dichter hier hat er Vorbildfunktion, und vier Bücher mit Übersetzungen sind bereits erschienen - was nur wenigen lebenden ausländischen Dichtern widerfahren ist. Jetzt legt der Hanser Verlag mit "Mädchen auf der Flucht" einen fünften Band mit Gedichten John Ashberys vor, eine Auswahl aus seinem inzwischen recht umfangreichen Werk, übersetzt von Erwin Einziger, Matthias Göritz, Durs Grünbein, Michael Krüger, Klaus Reichert und Joachim Sartorius. Eine Reihe der Übersetzungen ist den zuvor bei Hanser, bzw. im Residenz Verlag erschienenen Bänden entnommen, und es lässt sich über die Zusammenstellung von "Mädchen auf der Flucht" streiten, im Vergleich mit einem anderen Problem aber spielt sie eine unbedeutende Rolle. Man muss dem Verlag äußerst dankbar sein, dass er sich nicht nur ein Buch mit Übersetzungen geleistet, sondern auch die Originalversionen mit aufgenommen hat, so kann man sich am echten Ashbery erfreuen. Selbst bei schwachen Englischkenntnissen ist man seinen Gedichten auf diese Weise näher, als wenn man die Übersetzungen liest.

"Ich benutze Worte auf eine sehr präzise Weise: Sie bedeuten genau das, was sie beinhalten, und nicht etwas Paralleles und nicht etwas, das paraphrasiert werden kann." So zitiert der Herausgeber Joachim Sartorius den Dichter in seinem Nachwort. Zwar lässt sich nie "genau" sagen, was Wörter beinhalten, aber gerade eine Übersetzung sollte sich um Präzision bemühen, nicht nur etwas Paralleles versuchen oder das Original gar paraphrasieren. Ashbery sagt es selbst: Mit Interpretation kommt man bei ihm nicht weit, wäre also nicht schlecht beraten, sich an offenkundige Wortbedeutungen zu halten. "So suchen wir vergeblich nach einem Thema, einer Intention, einer wie auch immer verqueren Logik, wir suchen nach einer Metapher oder wenigstens nach ihrer Zertrümmerung. Aber nichts von alldem wird bei Ashbery geboten." So beschrieb der Dichter Ulrich Beil vor einigen Jahren das Besondere und Irritierende an Ashberys Gedichten.

Man kann es als Scherz eines überdies rechtschreibschwachen Druckers auffassen, wenn "canaries" sich in der Übersetzung in "Kanaillienvögel" verwandeln. Anders aber ist es, wenn aus dem Vergleich "like a searchlight", ein zwar elegantes, aber der Schlichtheit dieser Wendung absolut nicht entsprechendes "in Suchscheinwerferart" wird. Geradezu rätselhaft ist die Übersetzung von "sheet of time" als "Weiße der Zeit", und wirklich obskur wird es, wenn die "wedding-cake drawbridge" nur als "verschnörkelte Zugbrücke" den Weg ins Deutsche schafft. Hässlich schließlich der völlige Fehlgriff im Register: Ein lapidares "Only I say" liest sich auf der gegenüberliegenden Seite als raunendes "Wisse". Wenn dann "rock" im selben Gedicht einmal mit "Gestein", einmal mit dem unmöglichen "Gefels" übersetzt wird, überlegt man ernsthaft, ob so etwas nicht strafbar sein sollte. Dagegen fällt die Ignoranz, die vorherrscht wenn "excellent" in völliger Verkennung Ästhetischer Theorie (Ashbery kennt die sehr gut!) mit "Erhaben" wiedergegeben wird, kaum mehr ins Gewicht. Von der Art, wie die meisten Übersetzer hier mit Rhythmus umgehen, sprechen wir lieber nicht. Auch nicht von Konjunktivverrenkungen oder anderen grammatikalischen Katastrophen.

Eine Ausnahme lässt sich leider nicht hervorheben, ja, eine ausgeprägte Übersetzerstimme wird gar nicht hörbar, da der Raum zu knapp bemessen ist, als das einer der Übersetzer seine Ashbery-Lesart wirklich entfalten könnte. Eine einheitliche Übersetzung, sei sie auch mittelmäßig, wäre da allemal von Vorteil gewesen. So bleibt es dem Leser überlassen, zum Wörterbuch zu greifen und seinen Ashbery auf den Seiten mit den geraden Ziffern zu entdecken. Es lohnt sich.