Anzeige:
Sarah Berger: bitte öffnet den Vorhang



Dezember 2005 Bodo Mrozek
für satt.org

Peter O’Donnell:
Modesty Blaise: Die Klaue des Drachen

Unionsverlag 2005

Umschlagmotiv

Gebunden mit Schutzumschlag, 272 S., 9,90 €
   » amazon

Lieben und sterben lassen

Ikone der Pulp-Kultur:
Peter O’Donnells Modesty Blaise-Romane
erscheinen endlich wieder auf Deutsch

Der Film „Pulp Fiction“ brach 1994 radikal mit den Sehgewohnheiten des Hollywood-Kinos. John Travolta stirbt darin einen trivialen Tod auf einer Toilette, der so gar nicht in die Tradition des amerikanischen Gunfighter-Kinos passt: mit heruntergelassenen Hosen erwischt ihn eine Garbe aus der Maschinenpistole von Bruce Willis. Der Grund, warum Travolta als Profikiller auf dem stillen Örtchen alle Vorsicht vergessen hatte, war ein Roman, über dem er versunken war. Als sich der Pulverdampf verzieht und der Getroffene in seinem Blut zu Boden sinkt, kann man auf dem Buchdeckel für eine Sekunde auf dem Buchdeckel den Namen der Frau lesen, der Travolta tatsächlich zum Opfer fiel: „Modesty Blaise – Die tödliche Lady".

Travolta ist vielleicht das prominenteste, bei weitem aber nicht das einzige Opfer dieser Dame. Schon ihr Name, den man eher auf einem Boesch-Boot auf dem Lago Maggiore vermuten würde, ist ausgesprochen halbseiden. Ihre Herkunft ist es nicht minder. Die exotische Schönheit „mit dem sinnlichen Mund und dem durchtrainierten Körper“ wurde irgendwo zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer geboren, genaueres ist nicht bekannt. Die spärlichen Dossiers der Geheimdienste wissen von Spionagetätigkeit in den Bordellen Nordafrikas, einem als „das Netz“ berüchtigten internationalen Syndikat, großangelegtem Diamantenschmuggel und einem Arsenal so ziemlich aller bekannter Hieb-, Stich- und Feuerwaffen. Die Dame ist kein unbescholtenes Blatt, doch verstand sie es, sich rechtzeitig in einem noblen Londoner Vorort zur Ruhe zu setzen. Wenn sie doch einmal wieder zu ihren exotischen Waffen greift, dann entweder aus reiner Gefälligkeit gegenüber dem Secret Service, oder um den verhassten Drogendealern das Handwerk zu legen. Oftmals auch einfach nur zum Vergnügen. Modesty Blaise, deren Abenteuer nun erstmals wieder auf deutsch lieferbar sind, ist aber weit mehr als nur ein Charakter aus einem Comicstrip.

Als solchen hatte sie ihr leiblicher Vater, der Storyliner und Autor Peter O’Donnell 1963 angelegt. Modesty Blaise kam im Alter von 25 Jahren als Titelheldin eines gleichnamigen daily comic strip zur Welt, den erstmals die britische Tageszeitung „Evening Standard“ druckte – und vier Jahrzehnte lang in täglichen Folgen fortsetzte. Die Federzeichnungen von Jim Holdaway folgten eine klaren, grafischen Linie und erinnerten an Storyboards für den Film. In Deutschland sind die Comics dagegen rar geblieben. Die Alben aus den Siebziger- und Neunzigerjahren (Carlsen) sind heute von Sammlern gesucht, ebenso die „Agent X9"-Sammelbände (Illu Press), in denen man Modestys Abenteuer unter dem irreführenden Pseudonym „Jessie Fox“ finden kann.

Der erste Modesty-Film von 1966 mit Monica Vitti in der Titelrolle wird heute allenfalls wegen des jazzigen Soundtracks von John Dankworth geschätzt. Das weitgehend handlungsfreie Feuerwerk aus assoziativen Bildern muss man wohl als charakteristisches Zeugnis einer Epoche verstehen, die gerade psychoaktive Drogen entdeckte. Gestalten mit überdimensionierten Cognacschwenkern torkeln dämonisch durch eine futuristische Landschaft, dann fegen unvermittelt arabische Reiterhorden durchs Bild. Beim Publikum fand das spätsurrealistische Bilderkino keine Gnade und auch zwei geplante Fernsehserien scheiterten: Paramount kam über den Pilotfilm nicht hinaus, bei ABC blieb das Drehbuch gleich in der Schublade.

Zuletzt versuchte sich O’Donnell-Fan Quentin Trantino an der Modesty-Saga. Sein 2003 produzierter Low-Budget-Film (Regie: Scott Spiegel) kam allerdings nicht in die deutschen Kinos. „My Name Is Modesty", mit der eher unbekannten Alexandra Staden in Osteuropa gedreht und jetzt in der englischen Originalfassung auf DVD in den USA erhältlich, erzählt nach Art eines Kammerspiels Modestys Kindheitsgeschichte, frei nach einer Anekdote des ehemaligen Weltkriegssoldaten Peter O’Donnell: Flüchtlingskind lernt in Krieg und Wildnis das Überleben und gerät an einen alten Meister, der sie Lesen und Schreiben, Fremdsprachen und das Kämpfen lehrt: „Kill Bill“ lässt grüßen.

Seinen größten Erfolg feierte der Comicautor O’Donnell, der vor wenigen Wochen in England seinen 85. Geburtstag feierte, als Schriftsteller. Elf Romane und zwei Erzählbände widmete er der Figur der Modesty Blaise, die Auflage der in sechzehn Sprachen übersetzten Bücher wird auf einige Millionen geschätzt. In Deutschland könnte die Starkarriere der Frau mit den „mitternachtsblauen Augen“ neu beginnen, denn die vergriffene Romanreihe erscheint nun in einer deutschen Neuausgabe im Zürcher Unionsverlag. Hier müssen Modesty und ihr Sidekick Willie Garvin ein trio infernale ausschalten, das einen unschuldigen Maler auf eine versteckte Insel entführt. Ihre guten Manieren sind den beiden Helden nicht im Wege, wenn es darum geht mit gezielten Kopfschüssen oder wohl platzierten Fußtritten ihre Gegner ein für allemal auszuschalten. Denn bei aller Liebe zu Jensen-Sportwagen, Schaumwein, klassischer Musik und den schönen Dingen des Lebens, sind die beiden Helden alles andere als zimperlich.

Dabei steht ihnen die ganze Trickkiste eines James Bond, Matt Helm oder Derek Flint zur Verfügung: Verfolgungsjagden in selbstgebastelten Flugmaschinen, Unterwasserkämpfe mit Mini-U-Booten, Lasergewehre und Messerklingen in Gürtelschnallen gehören zu Modesty Blaise wie die Tasse Tee zu Miss Marple und zu John Steed der Schirm und die Melone. Ganz nebenbei zieht Zeitgeist vorüber: In den Sixties recherchiert Modesty undercover im Hippiemilieu nach Purple Heart-Pillen, in den Siebzigern übt sie sich in Trendsport Drachenfliegen und auch die sexuelle Revolution der „freien Liebe“ geht nicht spurlos an ihr vorüber. Wenn aber der gewiefte Ein- und Ausbrecher Willie plötzlich den Abwasch erledigt oder der sexuell selbstbewussten Amazone nach einem haarsträubenden Kampf liebevoll die geröteten Fesseln massiert, wird klar, warum manche in ihr eine frühe Ikone des Feminismus suchen. Zweifellos aber steht Modesty Blaise, seinerzeit Darling der britischen Mod-Bewegung, in einer Reihe mit den Möbeln eines Eero Aarnio oder den Modeentwürfen eines Paco Rabanne: als zeitloser Klassiker der Popkultur, deren Wiederentdeckung sich ebenso lohnt wie die einer alten Schallplatte von Henry Mancini. Das leise Knistern gehört nun mal zur Patina.


Erstveröffentlichung: Süddeutsche Zeitung 7.7.2005