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1. November 2008 | Guido Rohm für satt.org |
![]() | ![]() Ein Anarchist im GehrockBücher können Menschen verändern, im besten Fall auch Menschen, von denen wir bisher dachten, sie wären unveränderbar, weil ja eben die Unveränderbarkeit, die Zeitlosigkeit, erst ihr Wesen beschreibt. In Alan Bennetts Erzählung „Die souveräne Leserin“ erliegt die englische Königin, eine Vertreterin der zeitlosen Unveränderbarkeit, dem Charme der Literatur und lässt sich ändern. Alles beginnt mit den Hunden der Königin. Weil die den Bücherbus der Bezirksbibliothek der City of Westminster mit mächtig viel Gekläffe verjagen wollen, sieht sich die Monarchin genötigt, in den Bus zu steigen, um sich bei dem Bibliothekar für den lautstarken Übergriff zu entschuldigen. Da die Queen den Zwängen der Etikette genügen möchte, leiht sie sich ein Buch aus. Bei dieser Gelegenheit lernt sie den Küchenjungen Norman kennen, und wir Leser ahnen bereits, dass auch Kraft der Literatur Standesdünkel überwunden werden können. Woche für Woche leiht sich die Königin nun ein Buch aus. Sie verfällt dem Lesestoff langsam aber doch zusehends. Und weil die Süchtige sich gern mit anderen Süchtigen umgibt, lässt sie Norman in ihre Etagen befördern. Dort darf er fortan den Neid der anderen Bediensteten aussitzen und weil man beim Sitzen und Nichtstun so schön lesen kann, macht er das auch. Die Königin sieht es gerne. Er muss Fremdwörter nachschlagen, neuen Lesestoff besorgen. Die Welt der Süchtigen könnte so schön sein, wäre da nicht die „saubere“ Gegenwelt, die dem Verfall der Tatenlosen nicht länger tatenlos zusehen will. So werden allerlei Ränke geschmiedet, um die Königin das irritierende Verhalten des Lesens abzugewöhnen. Bücher verschwinden. Dann auch irgendwann Norman. „Die souveräne Leserin“ ist eine bemerkenswert klassische Erzählung, deren Stoff Bennett souverän beherrscht. Er ist ein Autor der literarischen upper class, die er gekonnt demontiert. Er ist, so könnte man sagen, ein Anarchist im Gehrock. Bennetts Stil beschreibt er selbst in seiner unnachahmlichen Art, als er im letzten Drittel der Erzählung über die Königin schreibt: „Als Leserin mochte sie es forsch und geradeheraus; sie wollte sich keinesfalls in irgendetwas suhlen.“ Die Sprengkraft der Bennettschen Erzählstruktur lauert in der Gemütlichkeit seiner Aufbereitung des Stoffes. Sehr angelsächsisch malt er uns mit wenigen Pinselstrichen eine Welt auf, die wir nicht kennen, doch schon immer bewohnt zu haben meinen. Die Vertraulichkeit des Tones nimmt uns augenblicklich für den Text ein. Er webt uns in ein Netz von Anekdoten und Aphorismen, die am Ende vor nichts mehr halt machen wollen, nötigt Bennett doch der Königin die Tat ab. Und da die Tat die größte aller Sünden für eine Königin ist, die sich gefallen muss in der Rolle der reinen Repräsentanz, verlangt Bennet nichts weniger als eine Revolution von ihr wie von uns, ein Ausbrechen aus den Gewölben des Gewöhnlichen. Er müht uns mit leichten Worten einen forschen Tritt ans Licht der direkten unmittelbaren und selbst gewählten Wortfreiheit ab. „Die souveräne Leserin“ ist die Unabhängigkeitserklärung einer noch unmündigen Schar von Lesern. Fast scheint es, als wolle er uns zurufen: Leser aller Länder vereinigt euch!
Allan Bennett: |
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