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23. September 2013
Hartmuth Malorny
für satt.org
  Rayk Wieland, Kein Feuer, dass nicht brennt
Rayk Wieland, Kein Feuer, dass nicht brennt. Roman, 160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. Verlag Antje Kunstmann, München 2012. 16,95 Euro
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Wohnzimmerreisen

»Kein Feuer, das nicht brennt«
von Rayk Wieland

„Journalisten sind Leute, die ein Leben lang darüber nach­denken, welchen Beruf sie eigentlich verfehlt haben.“
Mark Twain


Wer je mit einem Reiseführer in der Hand unterwegs war, wird die Erfahrung gemacht haben, dass die eingeschlagene Route oft ganz anders verläuft als es in der Beschreibung steht. Die Wahrheit des Autors ist eben nicht die Wahrheit des Lesers. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Arbeit des Reisejournalisten ist daher die Überprüfung der Fakten. Er muss rausfahren und nachsehen, ob die Welt so ist wie er sie beschreibt. Nur so wird sich bei einem Touristen der Wiedererkennenseffekt einstellen – und sei es anhand der geographischen und meteorologischen Daten.
Hingegen sind die kleinen Beobachtungen z. B. eines Lonely Planet-Autoren, der nahe der chinesischen Grenze abends Reiswein trank, beliebig und austauschbar.

Kein Feuer, das nicht brennt, der neue Roman von Rayk Wieland, könnte auch „Die seltsamen Reisen des Herrn W.“ heißen, oder: „Der Mann, der die DDR selbst dann nicht verlassen wollte, als es die DDR nicht mehr gab“.

Das Buch setzt dort ein, wo Wielands Debütroman (2009), Ich schlage vor, dass wir uns küssen, aufhört. Es erzählt, unter Einschaltung kleiner Rückblicke, von den Umbrüchen der Zeit und von festen Verhaltensmustern.
Herr W. ist nun vierzig Jahre alt. Der Eiserne Vorhang existiert nicht mehr. W. könnte seine Zone verlassen, doch er bleibt konsequent im Ostteil Berlins. „Die Reisefreiheit“, so sein Credo, „ist immer die Reisefreiheit des anderen.“
Seine Reportagen für ein angesehenes Magazin sind dementsprechend erfunden, seine Mittel zur Recherche sind Internet, Telefon und Lexika. Das geht lange gut. Doch wie es sich für eine Groteske gehört, wird der Held übermütig: Warum kein 5-Sterne-Hotel und ein 18-Loch-Golfplatz am Diamantenhügel Nordkoreas? Nur dass es dies Hotel wirklich gibt, und den Golfplatz dazu; es ist der sinnloseste Luxus, den sich Nordkorea leistet, es spricht daher nicht gern darüber. Hier spielen nur akkreditierte Diplomaten, UN-Beamte, NGO-Vertreter, etwa hundert pro Jahr.
Ausgerechnet nordkoreanische Diplomaten, die in W.s Artikel ein Politikum vermuten, lassen ihn auffliegen. Wer unerwünscht ist, gelangt auf legalem Weg nicht in das Land, und W. besaß nicht einmal ein Visum.

Der Verleger bittet zum Rapport. W. nimmt ein Taxi, das Taxi baut einen Unfall, lädiert landet W. im Urban-Krankenhaus in Kreuzberg, das, o Schreck! (weil es sie nicht mehr gibt), hinter seiner DDR-Demarkationslinie liegt. W. flüchtet in die nordkoreanische Botschaft, die sich als Hostel herausstellt, und beantragt Asyl. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn alle elektrischen Einrichtungen so funktioniert hätten wie in Nordkorea selbst, aber der chinesische Billig-Rauchmelder an der Decke des Botschaftsgebäudes reagiert bereits, sobald nur eine Person bei geschlossenem Fenster Zigarren raucht.

War es das Desinfektionsmittel, das man im Krankenhaus zur Wundbehandlung auf seinen Kopf auftrug? Oder der Pulverlöscher für Flammen- und Glutbrände, Brandklassen A, B und C, den eine blondierte Nordkoreanerin übereifrig auf W. und in seinem Zimmer entlud? Oder das Ergebnis eines inneren Erlebnismoments? Was auch immer, der Protagonist nimmt es hin, dass sein Haupthaar binnen kurzer Zeit ergraut, und resümiert:

„Als ich im Klospiegel meinem Konterfei gegenübertrat [...] Ich zog einen Nachbarspiegel hinzu [...] Ich war, im Mahlstrom der Ereignisse der letzten Stunden und Tage, komplett angegraut – fast weiß.“

W. fühlt sich von zwei Männern in dunklen Anzügen verfolgt und tut das, was ihm bis dahin nicht in den Sinn kam: er reist, und zwar zur größten noch existierenden Mauer – nach China. Und er trifft seine große Liebe wieder, Liana. Beide erleben sie Shanghai, erkunden diese Stadt tatsächlich.
W. notiert:

„Wenn ich eine Reportage über Shanghai zu schreiben hätte, würde sie beginnen mit den Sätzen: Haben Sie gerade nichts vor? Dann bleiben Sie dabei. Und kommen Sie auf keinen Fall in diese Stadt.“

Authentizität wird bei Wieland dauernd überdreht, ins Groteske gezogen, mit ironischem Sprachwitz ad absurdum geführt:

„Wer reist denn schon? Doch nur Leute, die sich nicht leisten können zu Hause zu bleiben.“

Der metaphorische Titel seines Romans bezieht sich auf das illusionistische, rätselhaft rätsellose, flackernde Kaminfeuer im Plasmabildschirm:

„Woher weiß der Abend, was in den Nachrichten kommt? Welche Informationen liegen der Nacht vor, betreffend unsere weiteren Aussichten?“