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"Mit anderen Worten: ich bin drei. Der Eine steht immer in der Mitte, unbekümmert und unbeteiligt. Er beobachtet und wartet darauf, den anderen beiden sagen zu können, was er sieht. Der Zweite ist wie ein ängstliches Tier, das angreift aus Angst, selbst angegriffen zu werden. Und dann ist da noch ein liebevolles, sanftes Wesen, das jeden in die entlegenste und heiligste Kammer seines Innern läßt. Es wird beleidigt, unterschreibt vertrauensvoll Verträge, ohne sie zu lesen, und läßt sich überreden, umsonst zu arbeiten. Wenn es jedoch merkt, was mit ihm gemacht wird, dann möchte es alles und jeden in seiner Umgebung umbringen, auch sich selbst, für seine Dummheit. Doch es kann nicht – es zieht sich wieder in sich selbst zurück." Welcher von den dreien ist der Echte?" "Sie sind alle echt." Mit dieser Selbstbeschreibung beginnt die eindrucksvolle Autobiographie eines Musikers, dessen Ich zu groß für einen allein war: Charles Mingus. Mingus galt als der "angry man" des Jazz, sein Baßspiel und seine Kompositionen sind herausragende Werke, er stand mit Charlie Parker, Miles Davis, Sonny Rollins und vielen anderen Jazzgrößen auf der Bühne. "Hör mal, Mann", sagte ich, "ich bin geisteskrank. Ich bin Musiker, ich brauche Hilfe!" Ich habe einmal einen Film gesehen, in dem gesagt wurde: Wenn du Hilfe brauchst, mußt du als Erstes den Mut aufbringen, darum zu bitten. Also hilf mir, Mann! Der Wächter am Tor sagte: "Ich hab dir schon mal gesagt, daß hier nicht der richtige Platz für dich ist, wenn du nur müde bist. Ich kann von hier sehen, daß du etwas müde aussiehst, also geh heim, Mann, und leg dich ins Bett. ( …) Wenn ich dich reinlasse, wirst du sofort, nachdem ich das Tor hinter dir geschlossen habe, sagen: Laß mich raus, ich bin nicht verrückt! …" Natürlich will Mingus, nachdem er den Wärter tatsächlich dazu brachte, ihn hineinzulassen, schnellstmöglich die Klinik wieder verlassen, was sich aber als schwierig gestaltet. Nach der abenteuerlichen Suche nach einem Telefon gelingt es Mingus, Theolonius Monk anzurufen, der ihn schließlich auslösen kann. Sue Mingus Buch erscheint nach dem überwältigenden und eindrucksvollen Konvolut "Beneath the Underdog" zunächst konventionell und glatt – sie erzählt auf ihrer subjektiven Erinnerung beruhend die Begegnung der wohlerzogenen Sue mit dem "wie eine Naturgewalt" über sie hereinbrechenden Musiker. Ihr Leben befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer Umbruchssituation, deshalb ist sie bereit für eine heftige Beziehung wie die sich anbahnende. Doch obwohl Mingus nach vielen Jahren des unsteten Wandererdaseins endlich eine "Beziehung mit einer Adresse" wünscht, kann sich Sue erst nach elf Jahren dazu entscheiden, Mrs. Mingus zu werden. Gerade noch rechtzeitig, denn schon bald erkrankt Charles Mingus schwer, die Krankheit fesselt ihn schließlich an den Rollstuhl, er kann nicht mehr spielen. Das Paar nutzt jede Chance, die Heilung verspricht, sei sie noch so obskur. Charles Mingus stirbt im Januar 1979, trotz aller Bemühungen und Behandlungen mit Leguanblut.
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