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Januar 2008
Christina Mohr
für satt.org

Miss Kittin: Batbox
(Nobody's Bizzness/Groove Attack)

Miss Kittin: Batbox

Miss Kittin is back! Vier Jahre nach ihrem Solodebüt „I com“ gibt es mit „Batbox“ endlich eine neue Platte der als Caroline Hervé in Grenoble geborenen DJ und Musikerin, die 1996 erstmals für Aufsehen sorgte: mit ihrem Partner The Hacker veröffentlichte Miss Kittin einige Tracks auf DJ Hells Label International Dee Jay Gigolos, sie und Hacker gelten seitdem als Wegbereiter des Electroclash. Mit Stücken wie „1982“, „Frank Sinatra“ oder „Requiem for a Hit“ kultivierte sie ihr Markenzeichen – unterkühlter englischer Sprechgesang mit deutlichem französischen Akzent - und nahm 2001 sogar mit Sven Väth eine Coverversion des Stöhnklassikers „Je t'aime... moi non plus“ von Serge Gainsbourg und Jane Birkin auf. Doch trotz allen Popappeals gehört Miss Kittins große Liebe dem Auflegen: sie ist eine weltweit gefeierte DJ, arbeitet mit Felix da Housecat, Laurent Garnier und anderen zusammen, 2006 erschien ihr Livealbum, das beim Sonar-Festival in Barcelona aufgenommen wurde und sie als treffsichere Mixerin zeigt.

Zwei Jahre Produktion und Feinarbeit stecken in den 13 Tracks von „Batbox“, das auf Miss Kittins eigenem Label Nobody's Bizzness erscheint. Kittin/Hervé ist inzwischen von Berlin (wo auch der Sitz ihres Labels ist) nach Paris umgezogen – und fühlt sich wohl wie nie zuvor. Miss Kittin liebt die „Normalität“ der französischen Hauptstadt, schätzt das entspannte Flanieren auf den Pariser Boulevards. Diese Entspanntheit ist in „Batbox“ hörbar eingeflossen, die Songs, die als Skizzen während ihrer Welttourneen entstanden sind, pulsieren, leuchten, laden zum Tanzen ein. Der Opener pluckert dräuend los, mit teilnahmslos-cooler Stimme haucht die Miss „Kittin is high“ und läßt schon hier ihren berühmt-berüchtigten Humor aufblitzen. „Frenchies do it better“ sprechsingt sie selbstbewußt, auf Madonna anspielend. Der Titeltrack stampft und bounct, mit viel Hall und Echo im schwelgenden Refrain; „Grace“, eins von Miss Kittins persönlichen Lieblingsstücken, ist dynamisch, kraftvoll, elegant. Im lasziv-schleppenden „Solidasarockstar“ nimmt Kittin das Rockstar-Tourleben sarkastisch auf die Schippe: „To fill up the batteries / we empty all the mini-bar / no need to switch on Pay TV / I have a better film noir“. Das atemlose, pushy „Barefoot Tonight“ mit seinen treibenden, fiependen Synthiesounds könnte auch aus Peaches' Feder stammen, aber Zeilen wie „I'm ready to kick some ass – barefoot tonight!“ klingen aus Miss Kittins Nichtsängerinnenmund erst recht zwingend und hinreißend. „Pollution of the Mind“ featuret nervös flimmernde Eighties-Synthies, es flackert und knistert; beinah kammermusikalisch klingen dagegen das minimalistische „Wash N Dry“ und das dunkelmassive „Machine Joy“, Kittins Stimme ganz verletzlich, ganz nah am Ohr des Hörers. Miss Kittin liebt die Kontraste, „Metalhead“ ist ein staubtrocken klöppelnder Clubtrack, der sich in technoidem Geschranze entlädt, „Lightmaker“ erinnert an Martin L. Gores typische Depeche Mode-Balladen. „Batbox“ ist ein ungeheuer abwechslungsreiches Club-Pop-Album, das alle Vorlieben Miss Kittins vereint, ohne jemals zerfasert oder unentschlossen zu wirken – im Gegenteil! Miss Kittin hat endgültig Stil, Sprache und Spaß gefunden: Kittin is high!


Miss Kittin live in Deutschland:
13.2.08: Berlin, Watergate

Ein Besuch auf ihrer liebevoll gestalteten Website birgt weitere Überraschungen – und wer sich von den Comic-Katzen und Fledermäusen an „Emily the Strange“ erinnert fühlt, hat recht: das Coverartwork stammt von Emily-Schöpfer Rob Reger.


Kurz vor Weihnachten hatte Miss Kittin Zeit für ein kleines E-Mail-Interview mit satt.org:

CM: Was magst du so sehr an Katzen und Fledermäusen? (klingt auf englisch natürlich besser: cats and bats) Weil sie nachtaktiv sind?

Miss Kittin
Fotos: Marc Zaffuto
Miss Kittin

Miss Kittin: Eigentlich mag ich Katzen lieber als Fledermäuse, aber beide sind niedlich und haben ein außergewöhnliches Sensorium!

CM: Wie hat deine Zusammenarbeit mit Rob Reger begonnen? Besitzt du seine „Emily the Strange“-Accessoires?

MK: Ja, ich kannte seine Sachen und hatte alle seine Bücher. Ich wurde ihm vorgestellt, nachdem Werbefotos von mir für die Marke gemacht wurden; außerdem habe ich ein DJ-Set bei seiner Ausstellung in Paris gespielt.

CM: Was hat sich – musikalisch, persönlich – seit „I com“ für dich verändert?

MK: Ich genieße mein Leben mehr, versuche nicht mehr zu viel zu arbeiten...

CM: Du hast kürzlich in einem Interview gesagt, dass du große Menschenmassen nicht mögen würdest – bist du deswegen DJ geworden, weil du so den Leuten nicht zu nahe kommst und ihnen trotzdem beim Tanzen zuschauen kannst?

MK: Ich liebe das DJing, weil ich gerne die Musik anderer Leute spiele und dazu tanze – wenn es andere Leute auch mögen, umso besser.

CM: Bist du damit einverstanden, wenn man dich als eine der Erfinderinnen des Electroclash bezeichnet?

MK: Solche Zuschreibungen sind mir egal. Natürlich ist es sehr nett, einen solchen Ruf zu haben – aber ich denke, es gibt wichtigere Leute, über die man nur nie spricht, zum Beispiel I-F oder Dopplereffekt.

CM: Erinnerst du dich noch an den einen Track oder Song, der dich zum Musikmachen gebracht hat?

MK: Nicht wirklich. Ich habe früher niemals daran gedacht, Musik zu machen. Aber The Hacker und ich sind damals wirklich total ausgeflippt, als wir „Scientist“ von Dopplereffekt zum ersten Mal gehört hatten.

CM: „Batbox“ klingt mit seinen catchy Melodien in meinen Ohren (noch) poppiger und zugänglicher als „I com“ - hast du diese Poppigkeit beabsichtigt oder ist das zufällig entstanden?

MK: Ich habe schon immer versucht, Popmusik mit experimentellen Sounds zu vermischen. Sagen wir, ich bekomme immer mehr Erfahrung darin!

CM: Ist der Song „Sunset Strip“ („... another fading beauty on the sunset strip“) von David Lynchs letztem Film „Inland Empire“ beeinflußt?

MK: Könnte sein... „Sunset Strip“ ist nicht gerade mein Lieblingstrack vom neuen Album, weil er für meinen Geschmack zu nah an „Madame Hollywood“ ist. Aber viele meiner Freunde wollten gern, dass er auf „Batbox“ kommt.

CM: Hast du an Depeche Mode gedacht, als du „Lightmaker“ aufgenommen hast?

MK: Kein bißchen! Ich habe an meine besten Freunde gedacht, ich wollte ihnen dafür danken, dass sie für mich da sind – ich wollte ihnen Hoffnung und Licht für harte Zeiten mitgeben, so wie sie es für mich getan haben.

CM: Welcher Song auf „Batbox“ ging dir am leichtesten von der Hand und welcher war der schwierigste?

MK: „Grace“ entstand sehr unmittelbar, der Song kam wie ein Zauber über mich, auch der Text. Die Bassline habe ich selbst gespielt, ganz kurz nachdem ich mir eine Gitarre gekauft hatte – ich hatte vorher nie Gitarre oder Bass gespielt. Das war ein großer Moment für mich! Der schwierigste Song... ich weiß nicht, alle Tracks waren irgendwie einfach und leicht für mich.

CM: Wie arbeitest du? Probierst du neue Tracks erst live aus oder bastelst du zuerst im Studio?

MK: Das meiste ist Studioarbeit!

CM: Welchen Stellenwert hat Humor in deiner Arbeit? Und wie wichtig sind Mode und Style für dich?

MK: Humor ist das, was die Leute in meinen sehr unterschiedlichen Sichtweisen/Verständnisweisen sehen. Ich betrachte die Dinge niemals oberflächlich oder nur von einem Standpunkt aus. Es gibt immer verschiedene Sichtweisen, wie man ans Leben herangehen kann und nichts sollte zu ernst genommen werden – also, man sollte viel mehr das Kind in sich selbst lebendig halten! Mode? Ich mag sie als Konsumentin, als Kundin, aber ich möchte als Musikerin kein Teil der Modebranche sein!

CM: Du trittst überall auf der Welt auf – was ist dein Lieblingsclub?

MK: Im Moment ist das mein Wohnzimmer... es ist sehr kalt draußen und ich liebe es, eine Kerze anzuzünden, eine Tasse Tee zu trinken und CDs für meine Freunde zu Weihnachten zu machen!

CM: Wie gefällt dir Sven Väths Cocoon Club? Als Frankfurterin interessiert mich das sehr...

MK: Es ist ein großartiger, wunderschöner, technikaffiner Ort, der sehr gut repräsentiert, wer Sven ist und was er will!

CM: Was war deine Lieblingsplatte in 2007?

MK: Vielleicht Oliver Huntemann's Remix von Depeche Modes „Everything Counts“. Ich habe außerdem sehr oft einen Track von Johnny Future gespielt.

CM: Was würdest du machen, wenn du keine Musikerin/DJ wärst?

MK: Wahrscheinlich wäre ich Schriftstellerin oder Malerin.

CM: Hast du ein paar gute Ratschläge für junge Musikerinnen und DJs?

MK: Keine Ratschläge! Vertraut einfach Eurem Instinkt!


» www.kittinbatbox.com
» www.nobodysbizzness.com
» www.cosmicdebris.com