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Januar 2008
Christina Mohr
für satt.org

Short Cuts-Logo
Januar 2008, zweite Hälfte:


Viele schöne neue Platten von: Cat Power, k.d. lang, Le Loup, Sons and Daughters, Lightspeed Champion, Olafur Arnalds und Hot Chip ...

Cat Power: Jukebox
(Matador/Beggars Group)

Cat Power, Jukebox

Chan Marshall alias Cat Power gilt als schwierig und kapriziös, seltsame Auftritten der Künstlerin sind überliefert, bei denen sie auf dem Bühnenboden sitzend mit dem Publikum kommunizieren, aber nicht singen oder Gitarre spielen wollte. Die mittlerweile trockene Alkoholikerin veröffentlichte vor vier Jahren die DVD „Speaking for Trees“, die im Grossen und Ganzen daraus besteht, dass Cat Power zwischen Bäumen stehend einige Lieder singt. Ihre fragile Konstitution sorgte 2006 für einen Nervenzusammenbruch, ausgerechnet während ihrer erfolgreichsten Phase als Musikerin: das Album „The Greatest“ verkaufte sich in Millionenhöhe, für Cat Power war das offenbar zu viel. Aber man sollte sich nicht zu lange mit gossip über Cat Power aufhalten, die in erster Linie eins ist: eine fantastische Sängerin mit soulful-samtiger, gleichzeitig rauher Stimme, in der sich all die Verdrehtheiten des Lebens äussern. Chan/Cat liebt es, Songs ihrer musikalischen Helden zu interpretieren: im Jahr 2000 nahm Cat Power ein Album mit Coverversionen auf, auf dem sich ihre legendäre Bearbeitung des Stones-Klassikers „Satisfaction“ befindet. Sie verzichtete auf den Refrain – und zog Song und Text bis aufs Gerippe aus. Ihr neues Coveralbum „Jukebox“ beginnt mit einem Song, den ebenfalls jeder kennt – und in Cat Powers Interpretation kaum jemand erkennt: bluesig-schleppend geht es los, dann die Zeile „start spreading the news....“ Hat man schon mal gehört, aber wo? Es dauert eine Weile, bis man merkt, dass Cat Power den totesten aller toten „Evergreens“ neu belebt, neu denkt: Sinatras „New York, New York“ als Opener zu wählen, wäre bei fast jedem/r anderen MusikerIn zur Peinlichkeit geraten, Cat Power zeigt den Song von einer völlig neuen Seite. „Jukebox“ wird von dunklem Bluesgitarrensound dominiert, der an manchen Stellen an Neil Youngs Musik für „Dead Man“ erinnert; „Breathless“ von Nick Cave, „Silver Stallion“ von den Highwaymen und Hank Williams „Ramblin' Man“ (das bei Cat zur „Ramblin Woman“ wird) werden in gospelgleichen, deepen Blues getaucht. Dylans „I Believe in You“ bekommt von Cat Power die nötige Intensität verliehen; „Song to Bobby“, einer der zwei neuen Cat Power-Songs auf „Jukebox“ macht spürbar, wie sehr sich Cat Power his bobness einverleibt, sich aneignet, sich an ihm abarbeitet. Cat Powers „Jukebox“ kann gewiss nicht in jeder Kneipe stehen, aber dort, wo sie gespielt wird, werden die Herzen leuchten.


» www.catpowerthegreatest.com
» myspace.com/catpower



k.d. lang: Watershed
(Nonesuch/Warner)

k.d. lang, Watershed

„In cold dark places / I dream of spring“ singt k.d. lang auf dem ersten Track ihres neuen Albums und man ist glücklich, diese Stimme endlich wieder zu hören. Selbstbewusst, abgeklärt, aber vor allem warm und voller Liebe klingt k.d. lang noch immer. 2004 erschien das letzte Album der Kanadierin, „Hymns of the 49th Parallel“ beinhaltete keine eigenen Songs, sondern bestand – Parallele zu Cat Power – aus Coverversionen, mit denen lang ihren Vorbildern Leonard Cohen, Neil Young und Joni Mitchell huldigte. Während ihrer 25 Jahre andauernden Karriere hat k.d. lang mit vielen Genres experimentiert: Country stand im Zentrum ihres 89'er Albums „Absolute Torch and Twang“, Pubrocker Dave Edmunds produzierte im Jahr 2000 „Invincible Summer“ und all den unfrohen Kneipenrauch-Gegnern sollte man dringend „Drag“ von 1987 vorspielen, auf dem k.d. die Vorzüge des Rauchens preist. Der Titel „Drag“ verwies ausserdem auf ihre sexuelle Orientierung: seit ihrem ersten öffentlichen Auftreten verkörpert sie den lesbischen Tomboy, über den Madonna einst sagte, „Elvis is back – and she's beautiful.“ Das neue Album der/des schönen Elvis trägt aus verschiedenen Gründen den Titel „Watershed“ (Wasserscheide, Wendepunkt): k.d. wird sich nach langer Zeit von ihrer bewährten Band trennen. Bassist David Piltch, die Gitarristen Greg Leisz und Ben Mink werden sich künftig verstärkt ihren Verpflichtungen als Studiomusiker widmen; k.d. sieht in der Trennung die Chance, sich mit der Unterstützung jüngerer Musiker vor allem live neu zu erfinden. „Watershed“ ist aber noch mit ihren „good old boys“ gemeinsam entstanden, k.d. legte sich dieses Mal auf keinen bestimmten Stil fest. Es gibt jazzige Anklänge wie im ersten Song, „Coming Home“ ist in ein liebevoll-nostalgisches Bacharach-Arrangement verpackt und in „Once in a While“ findet man die dezentesten Country-und Carpenters-Reminiszenzen, die man sich nur vorstellen kann. Songs wie „Thread“ zeigen langs grosse Liebe zur brasilianischen Musik (der sie mit „Ingénue“ ein eigenes Album widmete), skizzieren die Bossa-Rhythmen aber nur ganz zart und sanft – k.d. lang verwendet keinen Ton zu viel, selbst wenn sie in „Sunday“ ganze Himmel voller Geigen erklingen lässt. Klar, „Watershed“ ist ein Album fürs adult radio – aber wenn sich Erwachsensein so anhört, geht das in Ordnung.


» www.kdlang.com



Sons and Daughters:
This Gift (Domino)

Sons and Daughters, This Gift

Die Frage, ob die Summer-of-Love-Truppe The Mamas and Papas bei der Namensfindung der aus Glasgow stammenden Sons and Daughters eine Rolle spielte, ist vielleicht eine etwas gewagte Verlinkung innerhalb des Popuniversums. Musikalische Inspiration zieht die Band um Ex-Arab-Strap-Sängerin Adele Bethel durchaus aus dem Fundus der Sixties, orientiert sich aber nicht an hippieeskem Vocal-Folk, sondern an Garagenrock, Girlgroups und Bubblegumpop. Sons and Daughters hören sich dabei nicht so nostalgisch an wie zum Beispiel The Raveonettes: die vier Schotten sind Kinder des Britpop und stehen Franz Ferdinand viel näher als den Shangri-La's. Das dritte Album der Sons and Daughters beginnt furios („Gilt Complex“), alle Instrumente preschen in eine Richtung, nämlich nach vorn; die schneidig-schneidende Gitarre korrespondiert wunderbar mit Adeles cooler Stimme, der Track peitscht auf und macht Lust auf mehr. Es mag an Bernard Butlers (ehemaliger Suede-Gitarrist) beherzter Produktion liegen, dass „The Nest“ klingt, als hätte Phil Spector sein Studio in eine Fabrikhalle verlegt und statt Geigen Kreissägen eingesetzt. Ueberhaupt setzen Sons and Daughters durchweg schlaue Verweise und Reminiszenzen: der Titeltrack klingt wie eine muskulöse Variante der B-52' s, „Rebel With the Ghost“ kombiniert Hardrockgitarren mit fröhlichem „Na-Na-Na“-Chorgesang. „Chains“ ist eine mit vielen Aufputschmitteln gefütterte Neudefinition des John Travolta/Olivia Newton-John-Duetts „You're the One that I Want“ und der galoppierende Punk-Rock' n' Billy-Hybrid „House in My Head“ zieht seinen Charme aus dem abwechselnden Boy-Girl-Gesang. Sons and Daughters (und Bernie Butler) sparen nicht an Feedback, Hall und Knall und machen sehr viel Spass – so sehr, dass sogar der olle Nörgler Morrissey sie 2006 als Support auf die Bühne bat.

Sons and Daughters live in Deutschland:
25.1. Berlin, White Trash, 21.2. Hamburg, Molotow, 23.2. München, Muffathalle (free concert!!), 24.2. Köln, Gebäude 9


» www.sonsanddaughtersloveyou.com



Lightspeed Champion:
Falling Off the Lavender Bridge
(Domino)

Lightspeed Champion, Falling Off the Lavender Bridge

Dev Hynes alias Lightspeed Champion wirft alle Kategorisierungsvorhaben der Poppresse gehörig über den Haufen: der erst 21-jährige Hynes war Gitarrist der Proto-Prä-Nu-Raver Test Icicles, die einen, na sagen wir, schwer verdaulichen Mix aus Metal, Elektro und Disco spielten. Als Lightspeed Champion schlägt der in den USA geborene und in Schottland aufgewachsene Hynes eine völlig andere Richtung ein: fluffige, countryeske Folkpop-Songs mit bittersüßen, absurden Texten werden geboten, die an Conor Oberst/Bright Eyes und Adam Green erinnern. Tatsächlich wurde „Falling Off the Lavender Bridge“ in Omaha/Nebraska von Studiowizard Mike Mogis aufgenommen, der auf Umwegen Hynes Demos erhielt, die noch während Test-Icicles-Zeiten entstanden waren. Hynes/Lightspeed sagt, dass er durchaus verstehen kann, wenn Fans durch seine doch sehr widersprüchlichen musikalischen Äusserungen verwirrt seien, das seien sie für ihn schliesslich auch. „Falling Off the Lavender Bridge“ klingt aber nicht nach einem durchgedrehten, unentschlossenen Versuch eines hyperaktiven Postadoleszenten, der nicht weiss, welche Socken er zu welcher Hose anziehen soll. Die zwölf Songs sind traumwandlerisch komponiert, zitieren mal grosse Popvorbilder wie The Divine Comedy oder Burt Bacharach, schwelgen in Geigenarrangements wie „Devil Tricks for a Bitch“, begeben sich auf antifolk-minimalistisches Terrain oder gehen glatt als Liebeslied durch wie „Number One“, in dem es heisst: „I Feel so much better / now that I've seen you“. GastsängerInnen wie Emmy the Great und Cursives Tim Kasher sorgen für folkiges Family-Feeling, besonders hübsch klingt das am Schluss von „Midnight Surprise“, wo zu säuselnden Violinen die Zeile „The more I hear / the more I hate“ wieder und wieder gesungen wird; oder auch bei „Everyone I Know Is Listening to Crunk“, das musikalisch das ziemlich genaue Gegenteil von Crunk ist. In „Midnight Surprise“ reimt sich „silence“ auf „violence“ und man ahnt, dass Langeweile und Stille die schlimmsten Dinge sind, die Mr. Hynes passieren können. Doch damit ist nicht zu rechnen – in seinem Kopf stecken noch genügend Namen und Ideen für hunderte neue Projekte.


» www.lightspeedchampion.com
» myspace.com/lightspeedchampion



Le Loup: The Throne of the
Third Heaven of the Nations'
Millennium General Assembly

(memphis industries/V2/Cooperative)

Lightspeed Champion, Falling Off the Lavender Bridge

Oh, ein Konzeptalbum! Nur noch wenige Künstler wagen sich an dieses an die siebziger Jahre gemahnende Genre. Die siebenköpfige Band Le Loup aus Washington, DC hat sich getraut und mit „The Throne of the Third Heaven of the Nations' Millennium General Assembly“ ein von Dantes Inferno inspiriertes Album in zwölf Canti – nicht etwa Tracks oder Songs – aufgenommen. Das hört sich speziell, gewagt und prätentiös an und ist all das auch; in erster Linie ist „The Throne“ aber ein faszinierendes Indie-Folk-Album, das die Kenntnis des „Intro“ zu Dantes Grosswerk, der Göttlichen Komödie nicht unbedingt voraussetzt. Das Septett um Sam Simkoff (Banjo, Keyboards, Gesang) pendelt musikalisch zwischen den Polen Bombast und Minimalismus hin und her: manche Stücke (oder Canti) erinnern vom Material- und Ideenaufgebot an sich ebenfalls gern verströmende Bands/Kollektive wie Polyphonic Spree und Broken Social Scene, wieder andere Stücke wie „I Had A Dream I Died“ bestehen aus kaum mehr als Glöckchen und Vogelgezwitscher. Simkoff gibt zu Protokoll, dass „The Throne...“ während einer Zeit persönlicher Krisen entstand und als musikalische Flucht und Reise, aber auch als Ausdruck erlittener/überstandener Katastrophen verstanden werden kann. Wahrscheinlich tragen die Le Loup-Männer Fusselbärte und die Frauen lange Walleröcke, aber das sei ihnen hiermit verziehen.


» leloupmusic.net
» myspace.com/leloupmusic



Olafur Arnalds:
Eulogy for Evolution
(Progression/Soulfood)

Olafur Arnalds, Eulogy for Evolution

Zumindest den Metalcore-Heads könnte Olafur Arnalds ein Begriff sein. Auf alle Fälle haben ihn einige schon gehört, ohne ihn als Person direkt wahrzunehmen. Olafur Arnalds aus Island ist bei Heaven Shall Burns bisher für die Klavierstücke zuständig war. Dieser Olafur Arnalds hat nun mit „Eulogy For Evolution“ sein erstes Solo-Album veröffentlicht und bildet damit die Schnittmenge zwischen Kronos Quartet und Sigur Ros. Man könnte sagen, es ist das richtige Album zum richtigen Zeitpunkt. Edle Klavierstücke, begleitet von Streichern verzaubern die kalte Winternacht in ein wärmendes Märchen. Dies ist Musik zum Innehalten und gehen lassen. Mehr als zärtlich umarmt jedes Stück den Hörer. Nein, hierbei darf man nicht gestört werden. Hier zählt der Augenblick Musik. Sonst nichts. Augen schliessen und träumen. Die Strapazen eines Tages sind hier doch schnell vergessen. Und wenn man ganz, also wirklich still ist, das Atmen auf ein Minimum begrenzt, dann kann man hören, wie der Wind leise über die verschneite Landschaft bläst, während ein Nordlicht seine letztes Glühen in den Himmel malt. Ganz gross. [Thomas Stein]


Hot Chip:
Made in the Dark
(EMI)

Hot Chip, Made in the Dark

Nein, ich will nicht omahaft jammern und klagen, dass früher alles besser war. Das stimmt nämlich meistens nicht, ich bin schon sehr froh über Toiletten mit Wasserspülung, ICE und Handys (trotz der bösen Strahlung). Dennoch ist es schade und bedauerlich, dass die EMI als eine Massnahme für den dringend nötigen „Turnaround“, wie man businesslike so unschön sagt, die physische Bemusterung der Musikjournaille einstellt und von Top-Top-Top-Alben wie dem neuen, heiss-lechzend erwarteten Hot-Chip-Album nur Streams zur Verfügung stellt. Das ist superblöd, bedeutet es doch nur, dass man NOCH länger am Computer hockt und über schrabbelige PC-Lautsprecher herauszuhören versucht, wie „Made in the Dark“ denn wohl klingen könnte. Mal abgesehen davon, dass man das überall hochgelobte, künstlerisch wertvolle Cover weiterhin nur bei Amazon anstarren kann und nicht in bester Nerdmanier befühlen und betatschen kann. Gerne hätte ich die 13 Tracks einem Feldtest unterzogen, sie mittels einem Musikabspielgerät mit nach draussen auf die Strasse, in die U-Bahn oder sonstwohin genommen und ihnen die Möglichkeit zur urbanen Entfaltung gegeben. Aber nein, die 13 neuen Hot Chip-Songs und ich sitzen im stillen Kämmerlein, das nur von einem strahlenden Bildschirm erleuchtet wird. Also: wahrscheinlich haben Hot Chip ihr anspruchsvolles Konzept verfeinert, das Indiepop und Disco auf „The Warning“ so toll zusammendachte. Wahrscheinlich klingt Alexis Taylors Stimme noch sensibler und antimachomässiger und wahrscheinlich gibt es auf „Made in the Dark“ mit „Into the Privacy of Our Love“ und dem Opener „Out at the Pictures“ zwei blue-eyed-soulige Balladen. Möglicherweise wird ein bisschen kräftiger mit ROCK experimentiert und mit „Hold On“ könnte eine Heaven-17-Hommage auf der Platte sein. „Don't Dance“ hat ziemlich sicher ganz kompliziert verfrickelte Beats und man kann bestimmt nicht dazu tanzen, aber genau weiss ich das alles leider nicht.


» www.hotchip.co.uk