sputum

14 sonette

(1996)

nr. 1
gelber juno

das ding geordnet saßen wir in leeren
zimmern, steif bis an die roten ohren.
wir weinen nicht. wir wollen lust beschweren
mit bleigewicht. wir haben‘s so geschworen.

»du zögling, keim, du müder schlafverächter«,
sagst du mit augen, die am rand bemalt,
und fragst, ob ich im ohr hab‘ jenen schlächter
wohnen, der das laub mit kehricht zahlt.

»ich kann doch nichts dafür«, sag‘ ich, mit glatze
schon beschirmt. wenn ich zum boden seh‘
und wein klaub‘ aus den schläuchen der matratze,

dann ist der juno gelb und blau der see.
in laubengänge eingeordnet steh‘
ich stramm, von scheitels scheitern bis zum zeh.

(30-6-96, 0:52)
ögyr liest (mp3)


nr. 2
hasenbein, die schöne

argerich lag schlafend tief im horst.
im fliegenhorst lag arg‘rich tief im schlaf.
wie‘n pinselohr am äffchen pinselborst‘
an hosennaht, als tief ins –h– mich traf

ein eisenbein. das kam von dir, gib‘s zu!
den zettel tief im schuh – ich sag‘s: im schuh! –
ging meilenweit mein pferdchen mit mir durch
und landet weich, wo knospen deiner furch‘

die schönsten frühgeblüteten geboren,
das blut so feist und rosig stinkend blühend,
der schweiß so tropfend wasser, das vergoren.

ach, argerich, du bist ein wüterich,
mit löffelhand in balsamseife rührend.
sag es nur, du schöne – würgt er dich?

(30-6-96, 1:12)
ögyr liest (mp3)


nr. 3
hengst vor der schlachtbank

mit der nadel ausgeziert am rücken
standest du mit selbem an der wand,
stets gewinnerin beim stühlerücken
und königin mit stäben in der hand.

doch jetzt so bleich und nackt vom mond beschienen,
daß ungeschlacht und eng den leib das band
verschnürte, jenes band, das hindert fliehen
aus deinem kreis, auf dessen brüch‘gem rand

ich wankte schritt um schritt zu dir heran,
so rührend folgend deinen nachtspiralen,
daß man denken könnt‘, ich fing erst an

zu lieben, sei ein narr, der noch spinalen
zitternissen folgt, so ausgezehrt
an mark und bein wie‘n abgedecktes pferd.

(6-7-96, 0:34)
ögyr liest (mp3)


nr. 4
sagenumwoben

sag‘ umwoben nicht, du seist gewogen,
jetzt mit sarg besagtem gleich ins reich
der toten einzuzieh‘n. es wär gelogen
und nach sieben dann der achte streich.

es ist dir freilich gänzlich unbenommen,
dennoch jetzt und nicht erst dann und gleich
vom leder abzuziehen haut, geronnen
blut im blauen fleck des wundbereichs,

den tod der haut nicht erst noch abzuwarten,
sondern lebend jene abzuschälen.
denn im blatt im laub im schrebergarten

kann niemand elendes sich so verhehlen,
daß niemand jetzt und nicht erst dann und gleich
wüßte, wer der sarg sei, wer die leich‘.

(6-7-96, 0:53)
ögyr liest (mp3)


nr. 5
licht im bauch

mit licht im bauch lebt‘s wahrlich sich nicht schlecht,
viel besser als im lichterfüllten loch.
warum? weil dunkel dann umhüllt, was zecht
in mir und prellt die kerze um den docht.

ich bin der enkel eurer toten drohnen,
der lebend noch in sich so manchen suff
gegossen, ohne sich zu sehr zu schonen.
verdrossen rocht ihr dran, an jenem duft.

der freilich nun ist nicht so sehr erquickend,
ein stunk vielmehr in eurem blick, erblickend,
was ich nicht seh‘ und ihr nicht sehen wollt.

denn licht im bauch ist gänzlich unsichtbar,
was hell nicht dunkel und nicht umlichtbar.
denn licht im bauch ist, was ihr mir gezollt.

(6-7-96, 1:28)
ögyr liest (mp3)


nr. 6
morgenstein

burg schreckenstein (im elsaß) ist am morgen
jener ort, an dem ich aufgewacht,
als stiller held mit zigarett‘. geborgen
ist der traum vom märchen aus der nacht.

noch träge süße ich zunächst den tee
und zünde dann den schwarzen tabak an.
die zeitung hält mir meine hand, das weh
mit druckerschwärze tröstend und den bann

der bulle in die headline einbeschrieben.
so lesend wisse ich, sag‘ ich, das lieben
sei mir abhanden dennoch nicht gekommen.

wenn leiber sich auf and‘re leiber schieben,
schieb‘ ich zwischen zeilen, die beklommen,
meinen leib und hab‘s auch so gewonnen.

(7-7-96, 1:36)
ögyr liest (mp3)


nr. 7
sumsemann, der schäfer

am himmel sind die wolken abends müde,
falten ihre flügel in den köcher,
in den pelz des panzers, dem der rüde
einen biß hat beigebracht, zwei löcher

rot am halsband, wie vom kuß ein mal,
ein edelstein der ausgespähten lockung.
dem himmel ist die stirn so heiß und kahl,
sein säulenbein, ein haus, umweht ein rock, und

düster grasen drunt‘ im keller schäfer
am leichnam der verendeten gazelle.
sie hat den stachel noch im bauch, vom käfer,

der sich auf ihr wälzte. eine schelle
band sie ihm ans graue fühlerhaar,
dem sumsemann, dem schäfer seiner schar.

(7-7-96, 22:58)
ögyr liest (mp3)


nr. 8
garaus kehraus

das laub gefegt im schwülen sommergarten:
es ist zu früh gefallen, weil ein sturm
fiel ein, verheerte hinter unsren scharten
ein‘ jeden schützen, legte jeden turm,

der wissend wache hielt im schutz der asche,
den blick hinaus aufs bad der frau‘n im see.
die kugeln unverschossen in der tasche
zerstreute er im hof und sagte: geh‘,

wo pfeffer wächst, geh‘ hin, dahin, und kehre
ihn dann auf. vergiß kein einz‘ges korn.
und dann zum ufer hin, dort bitte schere

den leeren frauenzimmern jeden zorn
vom blonden, viel zu früh verglatzten kopf.
und was du erntest, flichst du in den zopf.

(7-7-96, 23:21)


nr. 9
lange bohnenstange

im fenster, da die pflanzen der verheißung:
über‘n rücken auf den grat gestützt,
den wandelgang vor augen und die heizung
angedreht im fuß, die lipp‘ geritzt,

musen anzurufen, schneidersitz
im gras und lang dann ruhend hingelegt,
steht mir die zung‘ im gaumensegel, witz
auf stirn und nase. weise löchernd regt

es sich im grünen garten deiner lüste,
da im süden, wo der sommer früchte
faulen läßt, mit stiefeln durch die grütze

stakt, wie‘n storch im spargel auf den hund
gekommen ist und nunmehr streut gerüchte,
am fenstersims, da sei die welt noch rund.

(11-7-96, 2:23)


nr. 10
grinsegras

ja, es war im sommer der gelage
am küstensaum der frisch gestrandeten,
im violetten wellental der tage,
als die schmetterlinge landeten.

zu kurz war der, zu stramm und dünn der ast
der soeben umgetopften pflanze.
im fingerring rotiert die weiche hast
im glas‘gen spiegelsaal der pomeranze.

die polsequenz im polschuh unter tage,
das kaulenquappgesicht am künstlerdamm,
das mitten reitet durch die ampelphase.

dergleichen träumte grinsend mir im schwamm
entgegen, als ich dir die kolossale
wasserbraut bugsierte auf die waage.

(13-7-96, 2:21)


nr. 11
brechnußbub

brechnußbub lag früh an jenem morgen
auf den bauch gestreckt im himmelbett.
„was wir nicht lieben dürfen, hassen wir“,
sagt‘ sie, die brechnuß, als das schütt‘re laub

fiel auf ihre knie und wollt‘ sich borgen
etwas shit. das erntet im ballett
sie von der stange und der wade schier,
mir zu lippen und zu mundes raub.

mir zu ohren kam der engelsang
an jenem morgen, als die brechnuß starb
und ich um ihres laubes blätter warb.

so hin und weg war jener brechnuß klang,
daß er sich hingestreckt bis an den nabel,
wo der ring sich stach an maß und gabel.

(13-7-96, 2:36)


nr. 12
pop up all balloons!

peppt sie ihn wie stuck die stukateure?
der sturzkampf gegen die betrunkenheit –
um schamesspalt verloren für voyeure,
zum bombenflug ins engelland bereit.

rosinen habe ich in kopf und stirn,
spelunkenblut hab‘ ich im watteherzen.
stock und hut, die passen mir zum schirm,
den ich falte, weil aus gips die erbsen,

unter der prinzessinnen gemach,
wo die daunen waren auf dem sprung,
die ich als schinder aus den federn brach.

sie poppt dem pinken popen den ballon,
dreht ihm das uhrglas gleich im magen um,
und mit den fingern stempelt‘s den coupon.

(14-7-96, 12:15)


nr. 13
myzelium

in der winterecke ist süß munkeln.
tobaksballen sind so drumherum
verstreut. und augenlid im reizedunkel
macht dir am rücken auf und ab schrummschrumm.

das pferdehaar des bogens ist zerzaust.
die augen gradeaus: mein bart steht krumm,
wenn wehrauch, mühe, myrrhe du drin schaust,
weil von der myst‘schen myrte du bist stumm.

ich schreib am grünen tisch für teures moos,
das pfeif‘ ich mir heran, drück‘ ihren schoß
mit trümmern dicht, daß keinerlei geschrei

ins wintereck gedrungen und sich frei
gemacht am bommel, da, und noch dadrunter
hätt‘ am augenliederjan ’nen kluncker.

(13-7-96, 23:52)


nr. 14
flügeldämpfer

aber, meine herren, gehen sie!
bleiben sie nicht hier im silbendickicht,
das ein blonder fettsack gegen sie
gerichtet – mit verlaub: in seinen kranz flicht.

nunmehr, meine damen, sie hingegen
sollen sich nicht fürchten! nein, ich nicht
bin hier mit ringelstrumpf zu widerlegen,
es tagt mir blumig dennoch kein gericht.

denn, ihr lieben leute, wie fanfaren
klingeln vor der schlacht, und vor dem dampf,
der aus den kesseln eines ungebaren

grad‘ entfloh, wie dämpfend da der kampf
sich ausgewirkt, das wißt ihr leider nicht.
ich auch nicht – doch ich mache euch das licht.

(14-7-96, 0:14)