Rezensionen 2005
stadtstiche – dorfskizzen. Herausgegeben von Brigitte Messner.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabæus 2005. (Brennertexte, Bd. 5)
Als Erweiterung einer Anthologie, die 2003 anlässlich des 25. Todesjahres N. C. Kasers (1947-1978) erschienen ist, verfassten nun noch mehr Autorinnen und Autoren aus Nord-, Süd- und Osttirol, Jahrgang 1939 bis 1979, bekannt und weniger bekannt, Texte zu Städten, Orten und Plätzen zwischen dem Ötztal und Breitenbach, Hinterriß und Bozen.
Auch wenn der erste Teil des Titels sofort an Kasers bissige Stadtporträts denken lässt, versteht sich die vorliegende Anthologie nicht als Fortsetzung oder gar als Ergänzung seiner Texte. Satirisches und bisweilen Zynisches kommen zwar vor, der größte Teil liest sich jedoch als versprachlichtes Fotoalbum, das hauptsächlich Schnappschüsse, zwischendurch einige gestellte, komponierte Aufnahmen für die Leser bereithält. In jedem Fall ist das Buch als Hommage an den Autor gedacht, dessen Name in einigen der Beiträge auch direkt aufgegriffen wird.
Die deutlichsten (und sehr breit gestreuten) Kaser-Bezüge finden sich in Erika Wimmers „Das Auge des Neptun“. Wie aus dem Untertitel hervorgeht, widmet sie ihre Hommage der Wut Kasers und greift die Neptunstatue am Bozner Obstmarkt heraus, um sie über „verhaßte Tauben“, das „ewig gleiche Bild“, „die zur Schau getragene Mulitkulturalität“ und nicht zuletzt über die Tatsache, dass eine Neptunstatue nicht wirklich gut nach Bozen passt, polemisieren zu lassen.
Ganz anders verfährt Helene Flöss. Ohne Bitterkeit spaziert sie die Straßen und Gassen Brixens auf und ab, ,wandelt’ gleichsam auf Kasers Spuren und verbindet sie mit den Wegen ihrer Kindheit, greift Worte Kasers auf, bettet sie in eigene Erfahrungen ein und beschließt ihren Text mit dem beinah seufzenden Zitat: „Brixen, eigentlich gehörst du geküsst“.
Zwischen „Der Kuhstall hat ausgedient, es lebe der Saustall“ (Hans Augustin) und einem idyllischen „lichtwechsel ins pappelgrün“ (Julia Rhomberg) pendeln die Texte hin und her. Es ist die bekannte Spannung zwischen Tourismus/ Verkehr und Natur, in der sich Tirol zu positionieren hat (?) und die auch beim Lesen der Anthologie zu spüren ist. Wie eng beide Seiten beieinander liegen können, zeigt ein Gedicht C. H. Hubers, in dem das Schöne ins Kitschige kippt, zum Blaugrün des Obernberger Sees gerade noch der „röhrende hirsch“ fehlt und das Naturerlebnis mit einem „ersten schnupfen“ endet.
Schließlich bleibt noch die Frage nach dem Heimatbegriff in Südtirol, nach der Brennergrenze, nach Identität. Maria E. Brunner schreibt über ihre beiden Großväter, den einen, dem die Grenze „mitten durchs Herz“ geht, den anderen, der bei der „confederazione fascista agricoltori“ war. Einen Wanderer lässt sie durch dieses Land gehen und fragt sich: „Was macht die Heimat zur Fremde?“, während Sepp Mall in „60 Zeilen für eine Stadt“ die Identitätsproblematik Südtirols anhand eines kleinen, aber allgegenwärtigen Satzzeichens aufgreift: „Ein Bindestrich trägt das verschämte Wagnis der Stadt“, er ist ein Steg, eine Brücke „zwischen den Namen“, oder aber „Messers Schneide, wie eine Rasierklinge scharf“. Apropos Sprache: Lobenswerterweise findet sich in dieser Tiroler Anthologie auch Grödnerisches. Rut Bernardi hat nicht nur die Grödner Hymne ins Deutsche übertragen, sondern auch nachgedichtet.
Joseph Oberhollenzers Text schließlich, „Prettau – oder am ende, am anfang der welt“, rundet den Band ab. Grenzen und Blickwinkel sind, alles in allem, relativ – so viel wird klar: „Ach, prettau war einmal südlich, als man noch für kaiser & gott; und dann lag es plötzlich nördlichst, wie es seinem klima entsprach“.
Einige der hier versammelten Schnappschüsse gehören, so muss man ehrlicherweise sagen, nicht in ein öffentliches Fotoalbum. Zuweilen halten die (sicherlich gut gemeinten) Verschriftlichungen von (Alltags)Beobachtungen der Literarisierung nicht stand, wirkt versuchte Ironie verbissen, sind große Gesten ein wenig peinlich.
Als „Verneigung vor dem früh verstorbenen Dichter aus Südtirol“ versteht sich dieses Buch, daneben bietet es seinen Lesern die Möglichkeit, über Orte und Plätze zu lesen, die vielen Tirolern am Herzen liegen und gibt Details preis, die sonst kaum jemals bekannt würden: Wer weiß denn zum Beispiel schon, dass es in Hinterriß zwar 45 Telefonanschlüsse gibt, der Ort je nach Wahl des Routenplaners aber gar nicht zu existieren scheint? Bei der Reise kreuz und quer durch Tirol wird eines ganz klar. Es sind nicht die schmucken Häuser, aber auch nicht die schäbigen Plätze, die die Orte ausmachen, sondern deren Bewohner: „Plaus, der Sumpf, hat keine Seele“, schreibt Selma Mahlknecht. „Aber viele Herzen“.
Carolina Schutti