Rezensionen 2006

Hans Haid, töet vöer dr töet keemen ischt.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabæus 2006, 61 Seiten. 


Mitte Dezember des vergangenen Jahres stand im Internet auf Tirol.com zu lesen: „Hans Haid hat die Nase vom Ötztal voll – präziser gesagt: von den Protagonisten des Tales. Der Literat und Rebell zieht sich zurück – und rechnet ab.“ Zurückziehen wolle er sich zwar aus seinen „öffentlichen Funktionen“, nicht aber vom Schreiben. Mit töet vöer dr töet keemen ischt tritt der Volkskundler, Dichter und Bergbauer wieder mit einem Lyrikband in Erscheinung, schöpft dabei die Bandbreite ,seiner’ Themen aus, rechnet ab –   beleuchtet die Befindlichkeit des Menschen aber auch von unpolitischer, dafür umso poetischerer Seite.

Tot, bevor der Tod gekommen ist. Will man den Ötztaler, genauer gesagt, den Längenfelder Dialekt ins Schriftdeutsche übersetzen, wird man sich sofort der Unzulänglichkeit der Übersetzung bewusst – um so mehr, wenn es sich beim zu Übertragenden um Lyrik handelt. Denn speziell der Ötztaler Dialekt hat eine musikalische Qualität, die noch die einfachsten Wörter zum Klingen bringt. Hans Haids Lyrik lebt von diesen einfachen Wörtern, oder besser, vom Zusammenklang des Einfachen. Was schriftsprachlich fast unmöglich wäre, nämlich ein Gedicht mit den Worten/ Versen „wieder/ wieder/ eisplatte/ eis/ sachen/ sternlein“ beginnen zu lassen, hört sich im Dialekt ganz wunderbar an: „wiidr/ wiidr/ schlenz/ golla/ eis/ sachelen/ schtearnlen“.

Über das Gehör Zugang zu Hans Haids Lyrik zu bekommen ermöglicht die vom Verlag beigelegte CD. Gut dreizehn Minuten lag kann man eintauchen in den besonderen Dialekt, etwa gleich lang ist ein anschließendes Gespräch mit Martin Sailer (beides Ausschnitte aus einer Rundfunksendung des ORF-Radio Tirol vom 14.4.2005). Im Interview bezeichnet Haid seine Lyrik unter anderem als „Litanei“, „Predigt“, „Psalm“, aber auch als „Apokalypse“. In diese Formen gießt er die Themen, für die man ihn kennt: Lawinen, Tourismus, erstarrten Katholizismus, Gletscher, das harte Leben in den Bergen. Doch Lyrik, sagt er, soll auch „Poesie im reinsten Sinn“ sein. Und die findet sich im vorliegenden Band.
Dem Tod, zum Beispiel, verleiht er viele Gesichter, er findet ungewöhliche, verstörende, auch verstörend idyllische Bilder: „mittlat in falde/ vöern zaune/ geleegn/ a raschtle/ a schlaafle/ vrschloofn/ drfröern/ & gschtarbm/ wöltan scheane/ & fein/ mittlat in falde“.

Der promovierte Volkskundler, der naturgemäß auch im Schriftdeutschen zuhause ist, dichtet fast ausschließlich im Dialekt, seiner „Herzenssprache“. Einer Herzenssprache, die freilich von Außenstehenden nur schwer zu verstehen ist. Aus diesem Grund findet sich eine optisch zurückhaltende, Fußnoten gleiche Übertragung ins Schriftdeutsche unter jedem Gedicht, einiges wurde auch kommentiert. Nur „lagebericht alpen I“, „sklavenjäger“ (mit Ausnahme der letzten beiden Verse) und „grausamer sonnenuntergang“ sind bereits im Schriftdeutschen entstanden – gemeinsam ist diesen Gedichten die Intention: Hier tritt Haid ganz deutlich für die „gemolkenen Dreitausender“ ein, verteidigt die Berge, die Gletscher, das Tal. Auch Mischformen gibt es, beispielsweise „gletscherwelt & eis in porno alpin“ oder „sieben mal sieben...“, wo sich sich die ,Sprachen’ strophenweise abwechseln, wenn Hans Haid die Ausbrüche des Venagtfernersees und deren Deutung als Strafe für die Sünden ver-dichtet.

Als „klangvolle Poesie vom Leben und Sterben in den Bergen“ bezeichnet der Verlag diesen Lyrikband – dem ist nichts hinzuzufügen.

Carolina Schutti