Rezensionen 2006
Klaus Händl, Stücke.
Mit einem Nachwort von Helmut Schödel.
Graz: Literaturverlag Droschl 2006.
Wo alles schon besser gesagt ist, möchte man schweigen und kann es nicht.
Selten hat mich ein Buch in so gute Stimmung versetzt wie dieses. Trotzdem erübrigt sich eine konventionelle BeSprechung desselben dadurch, dass Helmut Schödel in seinem Nachwort über Händls Stücke alles schon besser gesagt hat als ich es zu sagen vermöchte. Geradezu ein Glücksgriff des Droschl-Verlags, allerdings könnte ein derart stichfestes Wort zur Literatur engagierten Rezensenten die Motivation nehmen, dem noch etwas hinzuzufügen. Womit die publicity ausbliebe, die dem Werk jedoch zustünde. Was einer begeisterten Rezensentin also bleibt, ist eine Empfehlung, mehr noch ein Appell: Man muss das Buch unbedingt haben und lesen! So könnte ich meine Besprechung auch schon enden lassen. Oder noch klarer zum Ausdruck bringen: Der Händl Klaus ist wirklich saugut! Und Punkt.
Soll ich wirklich nicht mehr dazu sagen? Doch, doch, es juckt mich da noch mein Naseweis und sucht nach der einen und anderen klugen Bemerkung. Aber ich kann meine persönliche Leseerfahrung nur durch Fragen vermitteln: Wie macht der Händl das? Es ist großartig und kommt doch nicht großartig daher! Wie kann ein bisschen durchgehaltene Lakonie dermaßen unter die Haut gehen? Es ist doch nicht wuchtig und verschraubt wie eine Jelinek oder so herrlich verschroben wie ein Jonke! Wie geht das? Wenn die Sätze doch eigentlich so nüchtern bleiben, wo kommt da dieser spezielle Dreh her? Und wie kann Theater spannend sein, wenn es zwischen zwei Buchdeckel gezwängt wird? Das möchte man ja nicht glauben…
Doch dieses Theater IST spannend, sogar in Buchform. Und überzeugend! Sprachkunst und doch richtiges Theater! Nicht Rollentheater, aber doch nicht ganz nicht! Nicht leichte Kost, aber dennoch unbändig leicht! Atmosphärisch dicht! Eindeutig uneindeutig und ohne Belehrung! Skurril und im richtigen Moment wieder nicht! Tief anrührend spielt es mit Rührung! Es spielt und sticht treffsicher in ein Nest, das man nur ahnt. Es will gar nichts Besonderes, so scheint’s. Es bringt die Dinge nicht einmal auf den Punkt, man erfährt kaum Sicheres, weiß nichts Genaues nicht! Gewölk, wo man hinschaut! Aber warum wirkt es dann nicht vage? Welches Wort suggeriert mir Leserin Brutalität? Welches kleine Dings bringt mich auf Manipulation? Worin zeigt sich der Abgrund? Warum hab ich beim Lesen diesen Schmerz, mit einem Mal? Weshalb lässt mich der Eindruck nicht los: Die da sprechen, lieben doch eigentlich? Wieso stellt sich bei dem vielen Eis auch noch eine fröhliche Gestimmtheit bei mir ein? Alles halb so wild, da es doch wild zugeht und das Dunkel lockt?
Es ist Menschengestrüpp, das mir da als Gunter-Emil-Hedy-Bruno-Olivia-Corinna und Co. in diesen drei Stücken entgegentritt. Aber: Könnte ich so sein wie diese Menschen? Ja sicher, und doch wieder nicht. Etwas scheint mir verloren gegangen zu sein, und das verursacht so etwas wie Schmerz. Händls Stücke deuten auf meine riesigen Lebenslastengeschichten hin, die ich immer allesamt mit mir herumschleppe, statt einfach am Abgrund entlang zu existieren wie diese Personen, die bei allem Gestrüpp doch unvergleichlich sie selbst zu bleiben scheinen. Dabei haben sie nicht einmal einen je eigenen Satz, geschweige denn einen charaktergerechten Jargon. Sie sprechen quasi im Chor, oder im Staccato nacheinander, sie teilen sich die Sätze, als gäbe es davon nicht allzu viele. Sie bleiben sich treu durch die Unmittelbarkeit ihres Sprechens, durch die Lastlosigkeit, Ideologielosigkeit ihres Handelns. Punkt und Beistrich setzen sie nach keiner Grammatik. Vielleicht sind sie letztlich Marionetten ihrer abgeworfenen Geschichte, aber trotzdem freier als ich, die ich allerhand durchschauen möchte und nicht kann, ich Naseweis.
Zum Beispiel: Flick. Ja, warum heißen die Wilden alle ausgerechnet Flick? Sollte das gar ein Zufall sein, oder ist das die Verführung des Inszenators? Nirgendwo, in keiner der diversen Homepages, treffe ich auf einen entsprechenden Hinweis. Ach so, der Schlingel, er möchte mich aufs Glatteis führen! Ich soll mich in die Flick-Geschichte verheddern, wo doch eigentlich nur ein trauriger gescheiterter Arzt auf eine Verwahrlosung trifft und in ihr verschwindet. Ich habe sie mir noch einmal angelesen, die Flicks allesamt mit ihrem Bluterbe und ihrem Bemühen, die Gewalt ihrer Vorfahren aus dem Gedächtnis zu tilgen mit etwas schicker Kunst, damit sie nicht selbst in den Geruch kommen. Und die Schwester des Flick-Erben, diese kluge andere Frau, habe ich auch noch auf Deckung mit Hedy gebracht, weil sie als zweifache Schwester in Händls Stück die ist, die das Blut nicht wegwischen will, es trockenen lassen will, der Flick-Fleck darf, ja soll da bleiben! Und so weiter, da wären noch Parallelen zu finden, bis hin zu: Bleiburg ist gleich Rüstungsindustrie. Ja, ich gebe es zu, ich hätte gern etwas Sicheres gehabt, eine Anspielung auf die „reale“ Geschichte entdeckt, und gewiss hätte der Händl Klaus auch gar nichts dagegen einzuwenden, weil er eh nicht vorschreibt, was ich mit seinem Stück anzufangen habe und was nicht. Ich selbst war es, die mitten im Tun und Machen plötzlich ein Gefühl der Lächerlichkeit überkam.
Nun, ich kann die oben gestellten Fragen zu den drei Stücken nicht beantworten, ich habe keine Ahnung, wie er es macht. Aber interessant wäre es schon zu wissen, meldet sich wieder mein Naseweis: Warum etwa zwei lange Monologe im alpinen Eis mit einigen Toten so gar nicht langweilig werden, obwohl sich kaum etwas herausfinden lässt, zudem keine Metaphern festzumachen sind, höchstens Assoziationen in meine Lektüre schwirren, Assoziationen, die sich im nächsten Moment zu ihrem Gegenteil verkehren, und immer so weiter, sodass ich am Ende nur sagen kann: Sie hat Charme, diese Rede. Die Lektüre hat mir etwas gebracht, aber fragt mich jetzt bloß nicht, was. Sollte da noch etwas erklärt werden müssen?
Ich weiß, es ist vermutlich sehr blöd, angesichts von „Eisgeliebten“ an den gesellschaftlichen Umgang mit schwuler Erotik zu denken, oder an unser derart vereistes Menschendasein, dass sogar die Gletscher noch weicher erscheinen als wir, die wir dann und wann zwar auf Schmelzen zu reden kommen und weit davon entfernt sind, auch nur etwas Freundschaft im wahren Sinn des Wortes Hand zu haben. Wir gehen doch allesamt aneinander vorbei! Wann schon betet einer von uns einen Freund an? Noch dazu einen im Eis gefundenen Toten, und dann auch noch seitenlang. Das kann nur ein Gott sein, der da spricht, kommt mir vor, aber o schnöde Suche, o sinnlose Spekulation! Lassen wir’s besser bei der Feststellung, dass Händl mit seinem „Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen“ etwas anrührt - und Punkt.
Helmut Schödel schreibt in seinem Nachwort einen guten Satz: „Er [Händl] pflegt eine liebevolle Beziehung zum Ungeheuerlichen, zu Katastrophen, Schmerz und Tod.“ Frappierend ist in der Tat die Freundlichkeit, mit der Händl in das Gestrüpp vordringt und, immer kurz vor dem Kippen ins Monströse, den Humor, die Liebenswürdigkeit durchscheinen lässt. Damit behübscht er keineswegs, doch überzieht er seine Beobachtungen nicht mit Denunziation. Genau diese Leichtigkeit seiner Texte betont das ins Wanken geratene Gleichgewicht als eine Realität, die nicht dort, bei anderen, zu suchen ist. Eben dieses Wanken wird durch nichts fühlbarer gemacht als durch einen konsequent schwebend gehaltenen Text. Am meisten Bodenhaftung hat noch der dritte Text in dem Band, das neueste Händl-Stück. Doch kein Thema wird als Schild voraus getragen, es ist eine vordergründig banale und doch geheimnisvolle Welt, die einen da wohin zieht. Besser als Schödel es tut, ist „Dunkel lockende Welt“ nicht zu summieren, ein Stück, das der Rowohlt-Verlag als „Tryptichon der Liebe, die ihren Empfänger nicht erreicht, Fragmente einer Sprache der Entfernung“ promoviert hat. „Aber die großen Begriffe verwischen selber auch nur die Spuren zu Händls Texten. Wie leicht man sich täuschen kann“, sagt Schödel. So ist es.
Ich muss gestehen, ich hatte mich getäuscht. Als ich das Buch aufschlug, hatte ich nicht so viel Interessantes erwartet. Den sympathischen Zeitgenossen Händl, den ungespielt freundlichen, leicht schrulligen jungen Mann sollte man als Diagnostiker einer dunkel lockenden Welt nicht unterschätzen. Der mittlerweile erfahrene Stückeschreiber, mehrfach ausgezeichnet und aufgeführt, rangiert in der jungen Theaterwelt zu Recht weit vorne. Seine persönliche Fasson, außerdem die Leichtigkeit und das nicht Greifbare, das Unbestimmte seiner Stücke (tja, wie macht er das nur?) könnte dazu führen, dass man ihn für harmloser hält als er tatsächlich ist.
Erika Wimmer