Rezensionen 2007
Hans Salcher, Vater. Erzählung
Innsbruck: Skarabaeus, 2007
Der Nachmittag ließ die Sonne hinter die Berge fallen und meine dünnen kleinen Füße sprangen in zu weiten Schuhen zum Vater. (S. 5)
Allein wegen dieses ersten Satzes muss man die Erzählung Vater lieben. Nach Und Worte haben ein Bild gemalt (2006) legt Hans Salcher dieses Jahr seinen ersten längeren Prosatext vor. Salcher reiht sich damit nicht in die Abrechnungen mit dem eigenen Vater bzw. der Vatergeneration ein, wie es noch bei Franz Kafka und bis herauf in die 1970er Jahre häufig der Fall war. Einen liebevolleren Blick werfen Jürg Amann oder Martin Pichler und nun eben Hans Salcher in ihren Texten auf den Vater. Aus der Perspektive eines noch kindlichen Ich-Erzählers gewährt der Osttiroler Einblicke in eine Heimat, die erst zu einer werden muss. Das Oberhaupt der Bauernfamilie in Salchers Erzählung mag Pferde, kämpft immer noch mit den Kriegserlebnissen im Zweiten Weltkrieg in Norwegen und flüchtet vor einer grausamen Welt in eine friedfertige. In seinem dicken Wintermantel gehüllt kämpft der Vater gegen eine Kälte, die einerseits aus den Erinnerungen herauf kriecht. Vor dieser Kälte muss er nicht nur sich, sondern auch seine Familie schützen. In der Erzählung spricht die Mutter die Qual des Vaters aus, sie leiht ihm ihre Stimme, was nicht einfach ist für sie:
„[...] Er hat auch dich marschieren gesehen im knietiefen Schnee, er hat die Schüsse gehört, die Toten fallen gesehen und dich, wie du frierend und zitternd an die Heimat gedacht hast. Spürst du die Wärme von dem verbrannten Mantel? Wärm dich am Ofen, du brauchst die Wärme jetzt noch viel mehr, damit wir mit dir leben können!“(S. 15)
Andererseits manifestiert sich die Kälte aber auch in der Herzlosigkeit des Dorfes. Alles was anders, fremd ist, wird schlecht gemacht oder zerstört. Dabei wählt Salcher alltägliche Bilder, wie ein Begräbnis im Dorf.
Das Schlüsselelement, ein Spiegel, erinnert an Märchen und wie ein Märchen kommt das Buch Vater auch daher. In der Schneekönigin ist es ein Splitter des zerbrochenen Spiegels, der das Herz von Kay verhärtet und nur Gerda kann ihn durch einen Kuss retten. In Salchers Erzählung bringt der Vater die Spiegel überall offen an, deckt auf und spiegelt darin die Welt. Die Spiegel werden zu einer Auszeichnung, die Licht ins Dorf bringt. Neben den Spiegeln kommt ein weißes Pferd, die Fee, vor. Der Ich-Erzähler darf es sich bei einem Gang mit dem Vater in die Stadt selbst aussuchen. In dieser Ausnahmesituation einer fremden Welt, die voll neuer Eindrücke nur den Vater als Sicherheit hat, trifft der Ich-Erzähler auf einen ganz anderen, offeneren Vater. Die Freude und der Stolz halten nicht lange an, die Dorfbewohner töten das weiße Pferd.
Der Vater war wieder traurig, wir verstanden, was uns die Nachbarn, die Leute im Dorf sagen wollten, sie mochten uns nicht. Es war nicht das Pferd, das sie uns weggenommen hatten, wir waren es, die sie töten wollten.(S. 62)
Der Vater hat keine Sprache, er hat aber seine Spiegel und er hat Bilder. Letztere trägt er statt der Arbeit aufs Feld hinaus. Am Ende der Erzählung löst sich die Kälte des Dorfes wie im Märchen – vor allem durch die gegenseitige Hilfe und das gegenseitige Interesse der Menschen aneinander, die mit den sichtbar angebrachten Spiegel ans Licht kommen – in Gemeinschaft auf. Die Bilder, die der Vater malt, bewundern die Dorfbewohner. In diesen Bildern in Schnee gemalt verschwindet er zuletzt.
„Auf Wiedersehen.“ Dann fiel der Vater in das weiße Feld. (S. 69)
Barbara Maria Hoiß