Rezensionen 2007
Thomas Schafferer, Gabi Wild (Hg.), Cognac & Biskotten – Female lyrics. Eine literarische Dorferkundung.
Innsbruck, Verlag: pyjamaguerilleros, 2006
„Um von Villgraten zu erzählen, müsste man von den Menschen hier erzählen, ihre Namen nennen.“ So lesen wir im Text „Schwere Schuhe, keinen Namen“, den Anita Pichler 1994 als Dorfschreiberin im Rahmen der Villgrater Kulturwiese über eben jenes Dorf geschrieben hat. Sie wählt dafür einen sachlichen Ton, stellt sich damit in die Tradition des historischen Dorfschreibers, bringt aber auch ihre persönlichen Eindrücke und die versteckten Dorf-Realitäten von Frauen ein.
Man könnte nun sagen, dass Cognac & Biskotten mit ihrem Projekt „female lyrics“ diese – literarische – Tradition wieder aufgenommen haben, indem sie 3 junge Autorinnen über eine Ausschreibung auswählten, die dann jeweils eine Woche in den Gemeinden Galtür, Hopfgarten und Lienz verbrachten. Die Ergebnisse dieser „Landwoche“ liegen nun in Buchform vor: 12 Texte von Barbara Aschenwald, Petra Maria Kraxner und Esther Strauß, mit einem Vorwort von Barbara Hundegger, die das Projekt begleitet hat, sowie mit Fotoarbeiten des Mit-Initiatiors Thomas Schafferer. Und es sind beachtliche Ergebnisse.
Barbara Aschenwald verbrachte eine Woche in Galtür; Ergebnis sind „Die Geschichten von den Lebenden und den Toten“, Geschichten abseits von der „großen Geschichte“ der Lawine. Die Ich-Erzählerin orientiert sich an den Erzählungen der jungen und alten Frauen im Dorf - „ich rutsche entlang dieses schmalen Weges“. Skepsis wird ihr am Anfang entgegengebracht: „Was willst du in einer Woche schon wissen, wir kennen uns doch erst so kurz.“ Und doch spricht aus diesem Text viel Wissen, erfahrenes und intuitives, und dies in einer Sprache, die Mythisches von Dorf und Tal zusammenzubringen vermag mit den gelebten Realitäten der Gegenwart: uralte Wesen wie die Fangga mit ihrer Schürze aus Baumrinde, Mira, die Frau, die an Engel glaubt, die Toten auf dem Friedhof, die Lebenden und ihre Realität und ihre Träume: „Das weiße Mädchen sagt, Fotografin wäre ich halt so gerne geworden, aber ich habe nichts gefunden.“
Das uralte Gestein der Berge erinnert die Ich-Erzählerin an ihre eigenen Wurzeln, die in einem anderen Gebirge liegen, und immer wieder finden sich, nahtlos eingebettet in die Gegenwart des Erzählten kleine Rückblenden und Reflexionen, einfach in ihrer Form und Aussage, aber doch treffend. Sehr schön der Einstieg – in den Text und wahrscheinlich auch in das einwöchige Dasein als „Dorfschreiberin“: „Näherkommen ist das nächste, jetzt wo ich schon da bin will ich mich hineinknien in die Landschaft und doch nicht schwer sein. Man kann das ganze Gewicht dieser Welt auf einen Punkt der Erde legen, und sie bricht doch nicht zusammen. Aber hier hört man den Boden ächzen, weil die Berge so schwer zu tragen sind.“ (S. 11)
Wer einmal im hintersten Talboden des Paznaun-Tals war, den trägt dieses Bild sofort wieder in jenes Empfinden hinein, das einen dort unausweichlich überkommt: ein Ausgeliefertsein, das bei Gästen und Touristen ehrfürchtiges Staunen hervorruft, diejenigen, die dort leben, jedoch stets daran erinnert, „wer die Oberhand im Tal hat, der Berg.“
Barbara Aschenwalds Annäherung erinnert an Anita Pichler in der sprachlichen und thematischen Verknüpfung von Sage, Mythos, mündlich tradierten Geschichten und dörflicher Realität in einer abgeschlossen erscheinenden Bergwelt. Archaisches wird sprachlich sanft in eindrücklichen Bildern nachempfunden und wiedergegeben.
Ihren Aufenthalt in Lienz hat Esther Strauß in den beiden Texten „Hanne“ und „Es rauscht unten (allerdings rauscht es immer noch)“ verarbeitet. Auch hier Frauenfiguren, die, wie bei Aschenwald, und man wird es sehen, auch bei Petra Maria Kraxner zu „tragenden“ Figuren der Texte werden (Wie heißt es bei Aschenwald: „Die Mädchen und Frauen tragen eine Säule, die das Leben heißt vom Anfang bis zum Ende.“ S. 17).
„Hanne“ ist ein innerer Dialog der Ich-Erzählerin mit der gleichnamigen Figur, einer mittlerweile alten Frau, ein Dialog, aus dem große Wärme und Respekt für dieses Frauenleben spricht. Als Leserin erfährt man einige „realistische“ Details, aus denen man sich Hannes Leben zusammendenken kann, vor allem aber findet die junge Autorin wunderschöne Bilder, die sich aus Metapher und Metonymie speisen, um sich Hanne zu nähern. Bilder, die dörfliche Zuschreibungen und das Sich-Dagegen-Verwahren zum Thema haben, auch das Eingewobensein in die Gemeinschaft, und das Nicht-Ganz-in-dieser-Sein. Ein poetischer Sprachduktus, den man – in einer um ein vielfaches verknappten und reduzierten Form im zweiten Text „Es rauscht unten“ wieder findet. Strauß wählt für diesen szenisch durchkomponierten Text eine einfache Ausgangssituation - drei Frauen sitzen an der Isel, eine strickt, alle drei sprechen miteinander. Die Autorin überspitzt einerseits die Beobachtung der kleinen Dinge und Vorgänge, gibt diesen dadurch jenes Gewicht, die diese wohl für die alten Frauen haben. Diese sitzen auf der Bank, als würden sie immer und ewig so dort sitzen und immer und ewig ihre kargen Gespräche führen, in denen elliptisch und, nur Eingeweihten verständlich, mit ein paar Worten ganze Lebensläufe angedeutet werden. Auch hier wird, wie in „Hanna“ die Atmosphäre dessen, was das soziale Gefüge „Dorf“ ausmacht, erahnbar gemacht, auf eine unaufdringliche, aber einprägsame Weise.
Petra Maria Kraxner hat es nach Hopfgarten im Brixental verschlagen. Sie gibt ihre Eindrücke in 7 Haikus wieder und in einem szenischen Text mit dem Titel „Vor dem Pub“.
Die Haikus, dreizeilig und mit einem stringent durchgezogenen syntaktischen Aufbau lesen sich als splitterartige Impressionen eines heißen Dorfsommers, wohingegen „Vor dem Pub“ mit einigen klassischen Dorf-Szenarien aufwartet und diese locker und lässig über den Haufen wirft. Drei Frauen – eine alte, eine mittleren Alters und eine junge mit den sprechenden Namen Anna, Maria und Magdalena – wird von einem Sprüche klopfenden, in Schlagertexten sprechenden und Bier trinkenden Türsteher der Einlass in das Pub verwehrt. Indem sich die drei Frauen miteinander verbünden, ersinnen sie eine List und überrumpeln ihn. Den Hauptteil dieses „kleinen Dorf-Theaters“ bilden die Gespräche zwischen den 3 Frauen. Die unterschiedlichen Auffassungen, ob und wie man denn nun ins Pub Einlass finden könnte, lassen ein Bild der drei Frauen entstehen, die drei unterschiedliche Generationen, deren Erwartungen, Erinnerungen und Zukunftshoffnungen versinnbildlichen. Der Autorin gelingt es, jeder der drei Figuren einen eigenen, unverwechselbaren Sprachduktus zu geben.
Drei junge Autorinnen also, die stilsicher und die verschiedensten Klaviaturen literarischen Schreibens ausprobierend, eine neue Selbstverständlichkeit im Schreiben ausstrahlen. Ist es nun Zufall, dass sie in ihren Texten über drei Tiroler Gemeinden vor allem Geschichten von und über die unterschiedlichsten Frauen in Worte und Bilder fassen? Sicher ist jedenfalls, dass der Name des Projekts – „female lyrics“ – um einen wesentlichen inhaltlichen Aspekt erweitert und vertieft wurde.
Anna Rottensteiner