Rezensionen 2007
Aurelia Seidl-Todt, Nachtöne
Innsbruck: TAK – Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative 2007
„Nachtöne“, „Übers Jahr“ und „Aussichten“ – drei thematische Schwerpunkte scheint der neue Lyrikband von Aurelia Seidl-Todt zu haben, und doch zieht sich ein großer Bogen durch das ganze Buch: Die Autorin schreibt mit melancholischen und humorvollen, mit zurückgenommenen und manchmal etwas bestimmteren sprachlichen ,Tönen’ Miniaturen über das Leben.
Die Titel der Gedichte nehmen sich wie Überschriften zu einzelnen kleinen Kapiteln aus oder wie Namen von Stationen auf einer Reise durch die Jahreszeiten, durch markante Lebensphasen mit Zwischenstopps an einmaligen (Wende?)Punkten. Obwohl die Autorin kaum sprachliche oder formale Wagnisse eingeht, halten die Gedichte überraschende Momente bereit, beispielsweise, wenn Assoziationsketten ganz willkürlich gegen den Strich gebürstet werden:
aufgetaut
in der Wärme des Blickes
der Sonne der Wörter im
heimelnden Rauch einer Pfeife
und schon ist er wieder da
der Vater des Gedankens
der verwegene Wunsch
kniet alte und neue Dummheit
vor zärtlichster Vermutung
und erst der Kuss auf die Wange
Mann – du riechst so gut
Auffällig ist, dass die meisten Gedichte ,draußen’ stattfinden, in der Natur, in der Stadt, auf der Straße. Aurelia Seidl-Todt versucht nicht, in die Menschen hineinzuschauen, sondern beobachtet und zieht daraus ihre Schlüsse. Kritik an gesellschaftlichen Zuständen wird ganz offen geäußert, wobei die Autorin Gemeinplätzen manchmal nicht ganz ausweichen kann bzw. der Gedanke in einer anderen Textsorte besser aufgehoben wäre. Ähnlich verhält es sich mit einigen Beobachtungen, die ohne erkennbaren poetischen Mehrwert niedergeschrieben wurden und dadurch eher persönlichen Notizen als Gedichten gleichkommen. Diese weniger gelungenen Gedichte stellen allerdings die Ausnahme dar. Oft verhält es sich so, dass man das Gedicht zunächst relativ ,glatt’ durchlesen kann, doch dann beschleicht einen das Gefühl, etwas übersehen zu haben, einen kleinen Kniff, ein Augenzwinkern, eine sprachliche Schwelle, über die man beim zweiten Lesen stolpert, wodurch man gleichsam in eine andere Ebene fällt:
Fensterblicke I
Flugzeuge kreuzen
den Himmel aus
legen ihm Raster an
flüchtige Rahmen
um blaue Flächen
flüchtig wie die Schwalbe
die den Südflug verpasst
Positiv hervorzuheben ist die zurückhaltende Art, mit der Aurelia Seidl-Todt ihre Gedichte schreibt. Es gibt keine übergroßen Gesten, keine zwanghaften Versuche, innovativ sein zu wollen. Aurelia Seidl-Todt schreibt, wie sie schreibt, gibt ihren Gedanken eine authentische und doch bedächtig gewählte Stimme. Der Gedanke zählt manchmal mehr als die sprachliche Form, zuweilen tritt das Poetische sogar so stark in den Hintergrund, dass dem Einfall allein aller Raum zugesprochen wird, ein besonders schöner sei hier an den Schluss gestellt:
[...]
das Blau eines Himmels
ins Wasserglas füllen
mit Schaumkronen obenauf
für den tröstlichen Schluck
an düsteren Tagen
das wäre nur so ein Gedanke
Mit wachen Augen nach draußen schauen, sie nicht verschließen vor unangenehmer Wirklichkeit und sie weit offenhalten für die schönen Dinge des Lebens – das scheint uns die Autorin mit ihren Gedichten zu wünschen. Dass wir an düsteren Tagen nicht auf die Farbe des Himmels und auf die Kraft der Erinnerung vergessen...
Carolina Schutti