Rezension 2009
Georg Paulmichl, Der Georg. Texte und Bilder
Innsbruck und Wien: Haymon Verlag 2008
»Für die einheimische Sprachkultur bin ich eine Erlösungsphase.«
Das ist der letzte Satz, den Dietmar Raffeiner auf Track 7 der CD spricht, die in diesem Buch eingeklebt ist. Er liest (leider nur) einen Text des Prader Künstlers Georg Paulmichl vor, dessen sprachliches und malerisches Talent er als Kunsterzieher in der Behindertenwerkstatt Prad Mitte der 1980er Jahre entdeckte. Seitdem schreibt Georg Paulmichl unter seiner Anleitung Konstellationen, die aufgrund ihrer eingängigen poetischen Raffinesse rasch Anerkennung und Absatz fanden – gelesen wie gedruckt, zuerst im Eigen-, dann im Haymon Verlag. Strammgefegt (1987), Ins Leben gestemmt (1994), Vom Augenmaß überwältigt (2001), Mensch (2003) heißen die Werktitel; Verkürzte Landschaft, Paulmichls/Raffeiners Haymon-Debüt aus 1990, ein Longseller, war zuletzt vergriffen und dieser Umstand führte dazu, ein Best of unter dem Titel Der Georg. Texte und Bilder von Georg Paulmichl herauszubringen. Auf der Buch-CD finden sich sechs Texte vertont.
Dass diese Vertonungen (Komposition, Gitarre: Wolfgang Paulmichl, Walter Tolloy, Gesang: Erwin Windegger) den Texten gerecht werden, kann man nicht sagen; hier klingt alles nicht viel anders als gängiger deutscher Musicalverschnitt. (»Ich bin der wichtigste Paulmichl«, soll der Dichter Paulmichl einmal gesagt haben, und für diesmal hat er eindeutig recht.) Beim Lesen zeigen sich Paulmichls/Raffeiners Satzkonstellationen jedoch in alter Frische. Ihr anarchischer Mutterwitz verrückt die gewohnte Semantik, legt so den Staub hinter Worthülsen frei und bringt diese in ungewohnter Umgebung neu zur Geltung. Solches nannte der spanische Avantgardist Ramon Gomez de la Serna »greguerías«. Bei ihm klingen sie etwa so: »Ein Schwan ist das große S im Gedicht des Teichs«, oder: »Der Ventilator rasiert die Hitze« (Greguerías, 1917). H. C. Artmann hat die Sache eingedeutscht: »Das schulhaus besitzt fassaden und eine gründungsinschrift, ein garten mit chloroformrosen umgibt es im quadrat. In seinen fenstern spiegeln sich die blauen himmel, in den augen der schüler spiegeln sich die lehrkörper. Das erlebnis des lehrers ist der rohrstock, er ist seine beste suppe.«, oder: »Der frühe strahl der morgensonne trifft zuerst den gipfel des hohen berges – er vergoldet ihn mit seinem zeigefinger.« (Fleiß und Industrie, 1967).
Es ist schon frappierend, in welche Nähe zueinander diese Dichter aufgrund ihrer Technik geraten, »greguerías« und »georgías« sozusagen. Während Artmann, der poeta doctus, von Gomez de la Serna wusste, wissen Paulmichl/Raffeiner sicher nichts von ihm. Und dennoch ist die »Zunge […] vom Denkkopf gezügelt«, wenn die beiden ans Werk gehen und ihre Reihenstakkatos dann von der verkürzten Süd- oder Nordtiroler Landschaft und ihren Leuten erzählen, wenn sie von Gott und der Welt, viel vom Leben und viel vom Tod verdichten, vom himmelspfortigen Universum und vom menschlichen Erdreich. Prominente Kollegen wie Thomas Hürlimann und Felix Mitterer faszinierte diese poésie brutte, dichterische Rohkost, wie sie etwa auch Ernst Herbeck alias Alexander unter der Anleitung seines Arztes Leo Navratil in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Gugging produzierte und damit nicht minder prominente Kollegen wie Gerhard Roth und W. G. Sebald in Bann schlug. Es ist die andere Seite des Lebens, auf die unser Blick fällt, Worte und Bilder von der anderen Seite, die uns fasziniert und über die wir so wenig wissen.
Bernhard Sandbichler