Rezension von Evelyne Polt-Heinzl
Norbert Gstrein, Die Winter im Süden Glaubt man Norbert Gstreins Selbstaussage, ging es ihm in seinem neuen Roman „Die Winter im Süden“ vor allem darum, drei historische Daten des 20. Jahrhunderts zusammenzubringen: 1945 – 1968 – 1989/91, also Kriegsende, Studentenrevolte, Zusammenbruch des Kommunismus. Die Verbindungsfigur zwischen den Zeitebenen ist Marija, gebürtige Kroatin. Ihr Vater verschwand 1945 als „vermisst“ aus ihrem Leben, als sie gerade vierjährig mit ihrer Mutter nach Österreich kam - die Zusammenhänge ahnt man sofort. Keineswegs mehr ein Teenie, lernt Marija Albert kennen, einen fanatischen 68er, der ihr erfolgreich einen Schuldkomplex einredet. Albert ist die dürftigste Gestalt des Romans, über eine Karikatur gerät er nicht hinaus. Mit Comandante-Käppchen und Havanna Zigarre bewaffnet sehen wir ihn mit Marija in der Badewanne sitzen und die Weltrevolution erklären. Fühlt er sich in die Enge getrieben, schleudert er seine ideologische Keule: Als Tochter eines Faschisten könne sie politisch keine zuverlässige Bundesgenossin sein. Da Marija primär erotische Interessen an Albert hat, so sieht sie es zumindest im Rückblick, nimmt sie das alles hin – für die nächsten 25 Jahre, in denen sich Albert zum erfolgreichen bürgerlichen Journalisten herunterdimmt oder hinaufarbeitet, je nach Perspektive. Marija nutzt den Ausbruch des Jugoslawienkriegs um selbst auszubrechen und reist nach Zagreb; hier ist auch der Alte schon eingetroffen, doch die beiden werden einander nicht begegnen. Marija lässt sich in eine Affäre mit dem jungen Soldaten Angelo ein. Dass der sie bald wie das Soldatenflittchen behandelt, das sie spielt, ist ihr zu wenig, sie möchte geschlagen sein. Die beiden ideologischen Machismen, so Gstrein in einem Interview, werden am Körper dieser Frau gewissermaßen verrechnet. Doch so simpel funktioniert körperliche Einschreibung von Gewalt nicht, das hätte Gstrein bei Autorinnen-Kolleginnen nachlesen können. Abgesehen davon, dass die erotischen Szenen irgendwie papieren bleiben – Gstrein hat Naipaul als Referenzfigur genannt –, man glaubt dieser 50-jährigen Dame, erfolgreichen Universitätslehrerin und Mutter einer erwachsenen Tochter ihre Eskapaden ebenso wenig wie die späte traumatische Suche nach dem verlorenen Vater. In der Causa Albert hingegen ist dem Autor, der seinem Selbstverständnis nach anschreibt gegen die zu simplen Weltbilder der „Linken“, seine ideologische Intention im Weg gestanden. Als Marija von ihren privaten Abenteuern in Zagreb zurückkehrt, schreibt Albert gerade an einem Artikel über den Jugoslawienkrieg und erwähnt darin, dass sich in Kroatien die „Revanchisten ... zum Entscheidungskampf“ versammeln. Vereinfachend vielleicht, aber gerade nach der Lektüre des Romans doch nicht nur aus der Luft gegriffen. Er müsse doch noch etwas anderes zu dem Thema zu sagen haben, meint Marija empört; sie selbst allerdings könnte das trotz ihres Lokalaugenscheins vor Ort nicht. Denn ihre Wahrnehmung war von der Beschäftigung mit den beiden Männern, dem Soldatengeliebten und dem einstigen Soldatenvater, restlos okkupiert – wochenlang vergisst sie gänzlich, dass sie sich in einem Krieg führenden Land aufhält. Der Alte wird übrigens, wenn auch als Farce inszeniert, wie Marat in der Badewanne von einer kroatischen Corday ermordet. Als Marija von seinem Tod erfährt, weiß sie, dass der Aufwand für sie noch groß sein wird, damit fertig zu werden, „größer jedenfalls als die kleine Mühe, ein Buch zuzuklappen, das zu Ende war, und nicht mehr daran zu denken.“
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