Adelheid
von Julia Wolf
1
Adelheid steht in der Wohnungstür, eine Hand an der Klinke, die andere liegt auf ihrem Bauch. Sie lächelt. Florian erblickt sie und steigt erleichtert die letzten Stufen hinauf. Seine Frau nimmt ihm die Tasche ab, er drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.
In der Küche ist der Tisch schon gedeckt. Es gibt Brote. Käse- und Wurstschnitten, mit Radieschen garniert. Dazu Bier. Auf Florians Teller liegt eine zum Herz geschnitzte Gurkenscheibe.
Nachdem Florian gegessen hat, klettert Adelheid auf seinen Schoss. Im Radio läuft eine Oper. Florian legt seinen Kopf auf Adelheids Bauch, er kann das Pochen schon hören. Adelheid spielt mit Florians Haar, ihre kleinen Hände wuseln über seinen Kopf, tanzen, Florian sieht Elfen und Feen. Komm, flüstert Adelheid, komm.
Die Schlafanzüge liegen unter den Kopfkissen. Adelheid und Florian steigen in die Hosen, knöpfen lächelnd die Hemden bis oben hin zu. Du, sagt Adelheid auf ihrer Seite des Betts, und Florian auf seiner sagt: Ja? Sie schlüpfen unter die Decke. Florian löscht das Licht. Er spürt Adelheids Atem in seinem Nacken, ihren warmen Körper an seinem Rücken. Was, wenn es ein Mädchen wird?, fragt Adelheid in die Stille hinein.
Am nächsten Morgen wird Florian vor Adelheid wach. Dem Einfall des Sonnenlichts nach zu urteilen ist es schon spät. Doch anstatt aufzustehen, betrachtet Florian seine schlafende Frau. Adelheids Lider wirken unendlich zart, ihre Wimpern sehen aus wie hauchfeine Pinselstriche. Und da, auf Adelheids Nasenspitze sitzt ein winziger Pickel. Eine Stippe Eiter ist aus Adelheids Innerem an ihre Oberfläche gedrungen. Entzücken macht sich in Florian breit. Er wünscht sich, Adelheid würde nie wieder aufwachen.
2
Der Name der Bar steht auf einem Zettel, den Florian sofort zerknüllt. Er stellt seine Tasche ab, lockert den Schlips. Sein Blick fällt auf das Gurkenherz, das nach wie vor auf dem Teller liegt. Es ist an den Rändern geschrumpelt. Florian steckt es sich in den Mund, geht kauend ins Wohnzimmer. Er liest Adelheids Kleider vom Boden auf, trägt sie ins Schlafzimmer. Während er die Kleider ausschüttelt, auf Bügel hängt, beschließt er, nicht hin zu gehen. Er wird zu Hause auf Adelheid warten.
Florian wartet. Er spült Geschirr. Er steht am Küchenfenster und lauscht der Nachtigall, die seit kurzem den Baum im Hof bewohnt. Er schneidet sich die Fingernägel über dem Klo. Er ruft seine Mutter an, doch die ist nicht zu erreichen. Er macht ein Bier auf. Tritt vor den Spiegel im Flur. Sieht sich dabei zu, wie er das Bier trinkt. Er sieht blass aus. Schmalbrüstig, denkt Florian, irgendwie dünnlippig. Auch im Flur ist die Nachtigall aus dem Hof noch zu hören, mit einem Mal klingt ihr Gesang alarmierend. Sein Gesang, denkt Florian, es sind die Männchen, die singen, und greift nach dem Schlüssel.
Adelheid kauert über der Jukebox. Der Kamm ihrer Wirbel, Florian sieht sie von draußen, er hat das Gesicht gegen die Scheibe gepresst. Er wird sich erinnern an diesen Moment, später, zwischendurch, er wird sich dort stehen sehen, und daran denken, wie kühl sich das Glas angefühlt hat. Da hätte ich noch gehen können, wird Florian denken. Doch er geht nicht und im Innern der Kneipe dreht sich Adelheid um. Sie steht wankend, ihr Blick haltlos, die Augen unendlich tief. Verzögert Erkenntnis, den kenn ich: Adelheid kreischt seinen Namen. Reisst die Arme in die Höhe, zeigt ihre Achseln wie eine Katze den Bauch. Sie winkt ihn herein, er hat keine Wahl. Kaum ist er drinnen, hängt sie auch schon an seinem Hals, säuselt in seinem Ohr: Mein Süßer! mein Liebster! Ich komm dich nur abholen, sagt Florian, wie Du es wolltest. Doch Adelheid hört gar nicht zu, sie zieht an seinem Ärmel: Ich hab so ’n paar Jungs kennen gelernt, die stell ich dir vor! Die Jungs, drei an der Bar, sehen ihn, wenden sich ab, als würden sie pfeifen. Was denn, was denn, pfeift es von Wänden, aus Boxen, ohrenbetäubender Lärm. Adelheid über dem Tresen, dasismeinmann. Der Barkeeper, wenig beeindruckt, lupft nur leicht eine Braue. Und Adelheid, noch mal, für alle: Das! Is! Mein! Mann! Florian spürt drei Blicke, über drei Schultern, und nimmt am Tresen Platz.
Florian also am Tresen, bei den drei Jungs. Vier Männer, ein Blick: Adelheid auf der Tanzfläche wo keine Tanzfläche ist, Adelheid auf Tischen und Stühlen, Adelheid tanzt. Das ist doch, Florian erkennt das Shirt, das Adelheid trägt. Was davon übrig ist. Adelheid hat es aus- und abgeschnitten, Florians Lieblingsshirt ist nur noch ein Stofffetzen, legt mehr frei als dass es bedeckt. Rollendes Poltern, Assoziation Bowlingbahn, der Barkeeper hat eine Flasche über den Tresen geschoben. Das Glas folgt. Florian sieht den Mann an, der kein Gesicht hat, nur eine Braue, und denkt: Er ist der Hüter. Dann schenkt er ein. Adelheid steigt auf Schultern, ihr Höschen blitzt zwischen den Schenkeln auf. Florian trinkt. Eine unsichtbare Hand steckt Florian eine Zigarette in den Mund, zündet sie an. Der Hüter schenkt nach. Florian trinkt. Adelheid schüttelt wild winkend ihr Haar. Einer der Jungs feixt. Florian versucht, ihn mit einem Blick zum Schweigen zu bringen, doch das misslingt.
Stunden später, ihr Mann. Florian findet sich wieder, zwischen zwei Wänden. Die Kloschüssel drückt ihm gegen die Knie. Ein fremdes Rülpsen in seinem Mund. Ein Nesteln und Zerren an ihm, allüberall kleine Hände. Wispernde Worte, Reißverschluss. Speichel. Die Toiletteninschrift. SMILE steht dort, SMILE. Florian versucht’s. Schließt die Augen. Denkt, es könnte gelingen. Einen Moment lang erscheint es ihm so. Doch dann weicht Alles aus ihm, Jegliches schwindet. Ich kann nicht, hört er sich sagen, ich kann einfach nicht. Verhindertes Schnaufen vor seinem Gesicht, müder Krieger und so. Kehrt marsch, kleine Soldaten, Hände, treten den Rückzug an. Adelheid mosert. Florian: SMILE. Er hält die Augen geschlossen, spürt den Luftzug an seinem Geschlecht, als die Tür auffliegt und ihre Schritte davon stieben.
3
Die Kollegin an der Kaffeemaschine verbiegt sich, als Florian sie fragt, ob noch Milch da ist. Ein Schatten in ihrem Blick, sie wendet sich ab, murmelt verdreht, ihren Kaffee schwarz und wer Milch will, muss eben Milch kaufen. Was is mit der, ein Schreck durchfährt Florian, als er erkennt, was mit der ist. Die Kollegin ekelt sich. Vor ihm. Die Kollegin muss dann auch mal, frohes Schaffen! Staksend Stiletto, ihr Po spitz und hellgrau im Bleistiftrock, Florian erwischt sich beim Hinsehen. Schüttelt sich. Hält sich die Hand vor den Mund. Atmet hinein. Riecht.
Kurz vor Mittag der Tiefpunkt. Das Gift in seinem Blut hat sich verflüchtigt, Florian schwitzt. Er starrt auf seine Hände auf der Tastatur, sie zittern. Er starrt auf die Buchstaben auf dem Bildschirm, sie tanzen. Er hebt den Blick. Die Chefin steht in der Tür zu ihrem Büro. Neben ihr die Kollegin, und noch eine. Sie sehen ihn an. Ihre Lippen bewegen sich, aber er kann sie nicht hören. Florian spürt, wie er von seinem Stuhl gleitet. Gleich liegt er unter dem Tisch. Florian hält sich an der Tischkante fest und lächelt zu den Frauen hinüber.
James Dean ist ein uneindeutiges Wesen, formlos beinahe. James Dean hat eine Tolle, eine Kippe im Mundwinkel. James Dean zieht die Schultern hoch, er lehnt mit hoch gezogenen Schultern am Schrank in der Küche, als Florian nach Hause kommt. Florian lässt sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Guten Abend, sagt er und stellt seine Tasche ab. Was bleibt ihm anderes übrig, da muss er jetzt durch. Es gibt Regeln im Umgang mit James Dean, besinnt Florian sich, ganz klare Regeln. Er mustert James Dean und fragt sich, wie lang es dauern wird, bis er ins Bett darf, Florian will einfach nur schlafen. James Dean nie James oder Dean nennen, fällt ihm da ein, sondern immer beim vollen Namen. Wie geht’s dir, James Dean?, fragt Florian höflich, wie war dein Tag? Wie soll’s mir schon gehen, schnarrt es sogleich. Florian legt den Kopf schief, er könnte in Ohnmacht fallen. Er könnte diesem Gefühl nachgeben und sich einfach fallen lassen. Was glotzt du so blöd?, fährt James Dean ihn an. Florian beflissen, Ich glotze ja gar nicht, ganz und gar nicht, die Luft hier drinnen ist nur ziemlich schlecht. Vielleicht öffnen wir kurz das Fenster? James Dean nimmt einen Zug, einen tiefen, James Dean stößt Rauch aus und sagt: Nein. Florian lässt die Hände sinken, Gut, Florian setzt sich. Gut?, faucht James Dean, was heißt hier gut? Florian weiß, er sollte es besser wissen, er sollte, stattdessen bemüht er sich: Nicht seine eigene Befindlichkeit, nein, um die ist es keinesfalls gut bestellt, er wollte nur signalisieren, alles gut, zwischen ihnen beiden, zwischen James Dean und Florian, also, gibt’s kein Problem. Doch es reicht nicht, es wird nie reichen. So einfach lässt sich James Dean nicht beschwichtigen. Wenn ich das schon höre, sagt er und ascht auf den Küchenboden, kein Problem!
Florian: Ich –
James Dean: Alles bestens, wie? Was wollen die denn, ist doch alles gut? Jahrhunderte der Unterdrückung weg gewischt in ein paar Jahren. Die haben doch alles, die dürfen doch alles, dürfen wählen, dürfen arbeiten, ha! Die Welt steht ihnen offen!
Florian: Ich –
James Dean: Sie dürfen nicht, sie müssen sogar! Müssen viel Geld verdienen, Kinder gebären, sie groß ziehen und dabei immer schön lächeln, immer schön Arsch zeigen, immer ein FICK MICH auf den Lippen –
Florian, mit Händen und Füßen: Das habe ich nicht, das wollte ich nicht, ich bitte dich und dann, Komma: Schatz. Das hätte er nicht, das ist ihm so rausgerutscht. Sekunden lang Stille, bevor alles zu spät ist. James Dean poltert los. WIE BITTE, poltert James Dean, WILLST DU MIR ETWA DEN MUND VERBIETEN? Florians Kehle ist trocken, er würde gerne einen Schluck Wasser, doch er wagt nicht, sich zu bewegen. James Dean in Rage, James Dean tobt durch die Küche, WIE KANNST DU ES WAGEN, DU ELENDES SCHWEIN! DU UNTERDRÜCKER! Florian ist müde, er ist fix und fertig, er bäumt sich ein letztes Mal auf: Aber Schatz, das bin doch nicht ich, sagt er, das ist das System! James Dean erstarrt, mit blähenden Nüstern bleibt er vor Florian stehen. Florian sieht James Deans Nase, er sieht sein Brustbein, das sich wie wild hebt und senkt. Dann sieht Florian nur noch die Hand von James Dean. Sie zeigt in Richtung Tür.
4
An Florians Arm, kitzlig und glitschig, ein Gefühl, eine Berührung. Im Halbschlaf reißt Florian den Arm in die Höhe. Etwas fällt auf ihn hinab. Florian tastet auf seiner Brust, hebt das kitzlige, glitschige Etwas hoch. Florian öffnet ein Auge. Eine Schnecke streckt ihm die Fühler entgegen. Eine Schnecke im freien Flug, im hohen Bogen, von Florian geschleudert. Florian öffnet das andere Auge, der Morgen graut, Florian schläft wieder ein.
Einige Stunden später knallt die Sonne vom Himmel. Florian blinzelt, Florian schmatzt, Florian richtet sich auf. Er sieht sich um, Bäume, eine Wiese. Florian erinnert sich dunkel, erinnert sich an die dunkle Stadt, seine Schritte. Neben ihm im Gras liegt eine Flasche. Da setzt auch der Kopfschmerz ein. Florian reibt sein Gesicht, erhebt sich. Verlässt schlurfend den Park.
Florian läuft durch die Stadt, die Autos hupen, Florian hört sie nicht, er überquert die Straßen bei Rot. Florian denkt nach. Eigentlich weiß er ja, eigentlich, Florian weiß, dass er kein Schwein ist und kein Unterdrücker. Ist er nicht. Ist er nicht. Worüber denkt Florian dann nach? Wie er das Adelheid klar machen soll. Wie kann Florian sich vor Adelheid nur beweisen? Als Florian an einem Supermarkt vorbei kommt, weiß er es plötzlich. Indem er Einkäufe nach Hause bringt, Nahrung. Das ist doch eindeutig. Das ist doch eindeutig fürsorglich. Liebend. Das ist die Lösung. Florian streckt sich und tritt auf die Schiebetüren zu.
Florian packt Butter und Aufschnitt, Milch, Brot und Schnittblumen in seinen Einkaufswagen. Ferner ein Tiefkühlgericht und Badezusatz, Pralinen. Florian schiebt den Wagen zur Kasse, die Schlange ist lang, aber das macht nichts. Florian hat ein gutes Gefühl. Trotz Müdigkeit und ganz ohne Grund. Das wird alles schon. Adelheid wird sich freuen. Guter Dinge steht Florian und wartet. Vor ihm in der Schlange ein Schwall seidiger Stoff. Ein Hinterkopf zeichnet sich ab, Schultern. Florian muss an ein Märchen denken. Florian denkt an Schleier, die fallen. Er ertappt sich dabei. Die arme Frau, denkt Florian, er denkt die Worte, muss sich bedecken, verstecken. Arme Frau. Florian schaut weg, starrt auf das schwarze, ruckelnde Band auf die Kasse zu. Doch unter den Worten in seinem Kopf hört Florian die Frau leise singen. In Florians Kopf schummriges Licht, er sieht ihren Bauchnabel. Riecht Kardamom. Was soll das, Florian reißt sich zusammen. Die arme Frau. Er ist einfach nur müde, das ist auch schon alles. Etwas neben der Spur, wer wäre das nicht, nach so einer Nacht. Ein Schwung geht durch die Seide, die arme Frau legt ihre Artikel aufs Band. Die Frau kauft ja Wurst. Bierschinken, Salami, Fleischwurst. Senf kauft die Frau auch. Moment mal, Florian stutzt, wie ist das bei denen, dürfen die denn, die dürfen doch eigentlich gar nicht –
Sechs Euro achtzig, sagt die Kassiererin, nimmt den Geldschein, der ihr entgegen gestreckt wird. Kurz darauf klimpert das Wechselgeld in die Hand der verschleierten Frau. Vielen Dank, sagt die Frau. Diese Hand, diese Stimme, Florian erschrickt. Hey, er greift nach ihrer Schulter, will ihr Gesicht sehen. Doch die Frau entwischt ihm, sie rafft ihre Wurstpakete zusammen und geht. Hey!, ruft Florian ihr nach. Die Kassiererin sieht ihn an, er ist an der Reihe, seine Einkäufe müssen aufs Band. Florian aber lässt Einkäufe Einkäufe sein, er lässt die Verkäuferin sitzen, den Wagen stehen, Florian läuft der Frau hinterher. Sie ist schon zur Tür hinaus. Adelheid, warte!, ruft Florian.
Draußen verschwindet ein Schweif Seide zwischen Autos und Menschen. Florian setzt ihm nach, will ihn fangen. Er prallt an einer Schulter ab, taumelt seitwärts, der Himmel, von irgendwo her trifft ihn ein hämischer Blick, der Asphalt. Florian rappelt sich auf. Die Frau ist verschwunden. Die Frau hat sich aufgelöst in all die anderen Menschen. Wie gerne würde Florian schreien. Stattdessen rückt er seine Brille zurecht und sagt, leise genug, dass niemand es hört: Das geht zu weit.
Julia Wolf lebt und schreibt in Berlin. Ihr Roman „Alles ist jetzt“ erscheint im Frühjahr 2015 in der Frankfurter Verlagsanstalt.
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Kommentare
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