ROMAN: „LIEBLINGE DER GÖTTER“ (Picus-Verlag 2018)
Wien, in den 70er Jahren, mitten in der Ära Kreisky: Ein Performer, ein Filmemacher, eine Kamerafrau – und eine junge Frau, die nicht weiß, wo sie hingehört.
Das sind nur einige einer Gruppe junger KünstlerInnen, die die Verwirklichung ihrer radikalen Ideen und Projekte verfolgen. Was sie auszeichnet sind Risikofreude, jugendlicher Größenwahn, lustvoller Übermut und ihr unbedingter Glaube an die Sache. Was sie gefährdet sind anhaltende Kompromisslosigkeit und das Festhalten an ideologischen Weltbildern. Nicht alle werden Schönheit und Schrecken dieser Jahre überleben.
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Sebastian Fasthuber, FALTER: „Hier ist echtes Leben spürbar“
„Eine wilde Reise durchs Wien der 1970er unternimmt Amaryllis Sommerer in ihrem Roman. Hier ist echtes Leben spürbar: Eindringlich das Eröffnungskapitel, in dem die 16-jährige Nina an der Côte d’Azur endlich etwas Wildes erleben will und auf LSD unversehens Zeugin eines verheerenden Autounfalls wird. Dass es Schönheit selten ohne Schmerz gibt, bekommt sie auch zu Hause in Wien zu spüren. In prägnanten Szenen begleitet sie das Buch von den späten 60ern bis in die frühen 80er, vom Leben in einer Künstler-WG über Theater-Experimente bis zu Meditation.
Nina ist nur eine der Hauptfiguren. Da sind auch noch der Jungregisseur, der sich nach vielversprechenden Anfängen versäuft und seine Freundin, die immer lieb fragen muss, wenn sie sich von ihm Filmequipment ausborgen will. Der Realisierung des Traums vom freien, unkonventionellen Leben stehen nicht zuletzt alte Beziehungs- und Rollenmuster im Weg.“
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Peter Pisa, KURIER: „Als man ‚irgendwas mit Kunst und irgendwas mit Liebe‘ machte“
„Jetzt“ ist nicht korrekt, das merkt man. Aber in „Lieblinge der Götter“ haben wir jetzt Kreisky, und der Mief verflüchtigt sich (zum Teil ist er zurückgekommen), und es wird bunter. Kurzfristig so bunt, dass zum fliederfarbenen Minirock blaue Ringelstrümpfe getragen werden. Aber das geht vorüber. Das waren die 1970er.
Amaryllis Sommerer hat nicht „gefremdelt“, als sie sich zurückversetzte in die Jahre bis 1982, als der Regisseur Rainer Werner Fassbinderstarb, 37-jährig, vergiftet von Schlaftabletten, Alkohol, Kokain. Auch so ein Liebling der Götter.
Die Wiener Schriftstellerin distanziert sich nicht. So hat ihr Roman echte Gefühle.
Gruppen werden beobachtet. Mädchen und Burschen kommen und gehen, die Gruppe zählt. Jede(r) ist ein Künstler. Und wenn man sich nackt in den Vogelkäfig stellt …
Jugendlichkeit ist „in“. Sommerer dazu zum KURIER: „Das ist wie heute – aber heute nicht als Protestbewegung, sondern kommerzialisiert, als Wirtschaftszweig.“
Ist es erstrebenswert, zu den Lieblingen der Götter zu gehören, zu den Künstlern, die sich früh zugrunde richteten?
Es fällt nicht ganz einfach, sich in diese vergangene Welt rutschen zu lassen (noch dazu, wenn am Morgen die Straßen voll sind mit jungen geschniegelten, gegelten Leistungsträgern mit Anzug, weißem Hemd, Krawatte und Aktentasche).
Der Ausflug lohnt.
Ein kurzer Befreiungsschlag fast.“
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Elisabeth Freundlinger, WIENER ZEITUNG: „Schillernde Zeitreise“
„Vier Personen stehen im Mittelpunkt von Sommerers Roman. Zwei Frauen: Karin und Nina; zwei Männer: Martin und Valentin. Letzterer ist ein oszillierendes Geschöpf, nie zu fassen – nicht einmal von der Liebe. Valentins Ausdrucksform ist die des Augenblicks, er reüssiert schließlich in der Performancekunst. Valentins Sucht nach Freiheit ist unermesslich, sein Selbstdarstellungstrieb geht bis zur Selbstzerstörung. Aber er fliegt höher als alle anderen.
Valentins Kindheitsfreund Martin, ein Filmemacher, bringt es nicht ganz so weit. Sein verzweifelter Kampf gilt dem „Kleinfamiliendepp, der immer noch heimlich in ihm rumort“. Martin ringt bis zur Besinnungslosigkeit um künstlerische Anerkennung, doch seine Vorbilder, Fassbinder und Eustache, bleiben unerreichbar. Drogen helfen. Vorübergehend.
Aber eigentlich geht es in diesem Roman um die Frauen. In dem Jahrzehnt, das erstmals eine Ahnung von Gleichberechtigung gewährt, in der blühenden Kreisky-Ära, wittern Karin und Nina ihre Chance auf künstlerische Verwirklichung. Sexualität ist frei, Nacktheit erwünscht, Drogen erlaubt. Aber dann erkennen die beiden – und mit ihnen alle anderen Frauen -, dass sie doch nicht über die zweite Reihe hinauskommen.
Im Gegenteil, nun, wo auch Männer schön sein dürfen, ist es ein Mann, der alle aussticht: Valentin. Nina kniet vor ihm und steckt den Saum seiner Kleider zurecht. Sie selbst hat keine spezielle Begabung, „irgendwas mit Kunst“ will sie machen – und dazugehören. Nina tapst als Irrlicht durch die Szenerie. Die Kamerafrau Karin wird auf der Filmakademie bestenfalls als Handlangerin geduldet. Daheim in der WG ist sie es, die sich um die Wäsche kümmert und für ein warmes Essen sorgt, während ihr Kerl Bedeutenderes schafft.
„Lieblinge der Götter“ ist eine schillernde Zeitreise. Doch nicht der Stil ist pathetisch, sondern das Thema des Romans. Sommerer seziert die Charaktere psychologisch exakt, jedoch so behutsam, dass man sich nicht fremdschämen muss.“
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Harald Klauhs, DIE PRESSE: „Von Jerry Cotton zu Bruno Kreisky“
„Im Roman „Lieblinge der Götter“ beschwört Amaryllis Sommerer den Geist der Swinging Seventies – auch mit seinen Schattenseiten.
Sie bringt das Gefühl von Grenzenlosigkeit, das die Jugend damals beherrschte, auf den Punkt: „Die Zukunft gehört uns, immer ist irgendwie irgendwo irgendwann irgendwas los.“ Vielleicht war dann aber doch zu viel los. Die Atmosphäre von Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll hatte ihre Schattenseiten. „Das hat es ja immer wieder gegeben, dieses eindeutige Scheitern. Es gab auch Tote.“ Nicht nur aufgrund von Drogen, sondern auch aus Verausgabung, aus Verzweiflung. „Gescheiterte Lieben, gescheiterte Beziehungen, keine Freunde, ein leeres Herz“, denkt Nina gegen Ende des Jahrzehnts.
2008 erschien ihr erster Roman „Selmas Zeichen“, ein Krimi, in dem es um Stalking geht. Persönliche Erfahrung hat sie zum Glück damit keine. Es folgten zwei weitere Psychothriller, in denen es vor allem um die innere Verbindung der Täter und ihrer Opfer geht. Erst danach wagte sie sich an einen autobiografischen Roman. „Wie das Leben geht“ von 2016 ist keine Abrechnung, sondern der Versuch, ihren vom Krieg traumatisierten Vater zu verstehen. „Lieblinge der Götter“ ist die Fortsetzung. Differenziert schildert sie die „wilden Jahre“ der Ära Kreisky. Nicht aus Nostalgie, sondern um jungen Leuten klarzumachen, dass auch die heutige Zeit nach großer Fri- sche riechen könnte, wäre sie nicht so angstbesetzt. Denn jede Jugend hat ihren eigenen Geruch.“
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Verena Burkeljca, EKZ. BIBLIOTHEKSSERVICE:
“ ‚Die 70er Jahre sind nicht ein ganzes Leben durchzuhalten‘ – mit dieser herrlichen Erkenntnis sei dieser Roman all jenen empfohlen, die ein Faible für das legendäre Jahrzehnt haben.“
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FREIBURGER NACHRICHTEN: „Brillantes Lesevergnügen“
„Die ausufernde glamouröse Künstlerszene in Wien lockt, zwei abenteuerlustige Sech zehnjährige tauchen darin ein. Alles, was «nach Kunst riecht» wird ausprobiert, wird zu ihrem Lebensziel. Dabei werden im jugendlichen Größenwahn alle Hemmungen über Bord geworfen, um sich aus der kleinbürgerlichen Enge zu befreien. Die Freiheit der Hippiewelt mit einer neuen Weltordnung verführt zu immer frecheren Eskapaden. Ziel und zügellos irren die jungen Protagonisten durch das rasante Romangeschehen, um am Ende zurückzuschauen und zu versuchen, noch rechtzeitig die Weichen für eine lebenswerte Zukunft zu stellen. Der Entwicklungsroman, der in den wilden 70erJahren spielt, bietet brillantes Lesevergnügen voller überraschender Wendungen.“
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Andrea Lieblang, WDR 5 – BÜCHER:
„Für alle, die die siebziger Jahre miterlebt, sich darin verloren oder gefunden haben, ist der Roman ein lohnenswertes Stück Erinnerungskultur. Und für jene, die diese Zeit nicht kennen, ist er ein bunter Einblick in Träume und Lebensentwürfe.“
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Sommerer, Interview, Lieblinge
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Wolfgang Huber-Lang, APA:
„Neuer Roman der Wiener Autorin lässt in den künstlerischen und gesellschaftlichen Aufbruch der 1970er eintauchen. Alles ist Aufbruch: Arena-Bewegung, Kommunenexperimente, freie Liebe. Mit der Jugend der 1970er zieht die neue Zeit ein. Man fühlt sich als „Lieblinge der Götter“. Genauso heißt Amaryllis Sommerers neuer Roman.
Der spiegelt das Zeitgefühl der 70er in Österreich atmosphärisch sehr genau wider. Die Kreisky-Jahre bringen soziale Reformen und politische Offenheit. Noch sind die neuen Verkrustungen nicht sichtbar, Anti-AKW- und Grün-Bewegung noch nicht etabliert. Noch regiert nicht Zukunftsangst, sondern Aufbruchstimmung.
Es geht darum, was alles möglich schien, damals. Dazu zählt auch die Gleichberechtigung. Nicht nur Kamerafrau Karin muss erfahren, dass die Praxis mit der Theorie bei weitem nicht Schritt hält. Und so ist „Lieblinge der Götter“ ein Buch, das nicht nur über einst, sondern auch über heute einiges zu erzählen hat.“
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Julie August, BÜCHERSCHAU:
„Das Quartett scheint in dieser bewegten Zeit untrennbar. Doch die beruflichen Entwicklungen und die Vorstellungen vom Leben treiben die Freunde auseinander. Von Valentin trennt man sich nicht, man verliert ihn aus den Augen. In Hans, der sein Leben in der Kommune hinterfragt, findet Nina eine neue Liebe. Karin verliebt sich in Susanne, und Martin verpasst den Anschluss. Am Ende stehen der Tod von Rainer Werner Fassbinder und Romy Schneider, die das Ende einer Ära „überbuchten Leben“ markieren. Amaryllis Sommerer weiß genau, wovon sie schreibt.“
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Vanessa Gertz-Meiners, BUCHPROFILE:
„Dem Idealismus, die Gesellschaft verändern und hin zu mehr Kreativität und Freiheit transformieren zu können, steht die Realität des Scheiterns, der Selbstzweifel entgegen. Erst als Nina lernt, ihr Leben von den Vorstellungen anderer unabhängig zu machen, findet sie zu einer gewissen Stabilität und Eigenständigkeit.
Ein existenzielles Buch in atemloser, schnörkelloser Prosa.“
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ROMAN: „WIE DAS LEBEN GEHT“ (Picus Verlag 2016)
Wien, in den 50er und 60er Jahren: Zeit des Wiederaufbaus, Zeit des Neubeginns, Zeit eines Glücksdiktats, dem nicht alle gewachsen sind.
Die Geschichte eines Mannes, der das Trauma des Krieges nicht los wird, der nicht gut genug für sich selbst ist, der nie glaubt, gut genug für die Gesellschaft zu sein und schließlich zum Außenseiter wird.
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Andrea Schurian, DerSTANDARD: „Über die Verwerfungen des Lebens und die Unwegsamkeiten der Liebe“
Nein, Franz ist kein Vater, auf den eine Tochter stolz sein kann. Kein brillanter Redner, kein mutiger Widerstandskämpfer, kein kunstsinniger Intellektueller, keiner, der die Karriereleiter bis ganz nach oben schaffte. Franz ist einer, der stets unten blieb. Und immer tiefer fiel. Und verfiel. Sicher, als Spieler hatte er schon glückhafte Momente. Und als er die schöne Helli kennenlernte, die Liebe, das Wunder seines Lebens. Aber sonst?
Ein kriegstraumatisierter Frühpensionist, der seine beschissene Zeit als Hitlers Kanonenfutter verklärt. Ein Säufer, gepeinigt von Ängsten und dunklen Träumen, denen er in tage- und nächtelangen Dauerräuschen zu entkommen sucht. Verloren im Ottakringer Gemeindebau und in einer Nachkriegswelt, die für Loser wie ihn nur wenig Mitleid und keine Aufmerksamkeit hat.
Katja, seine Tochter, war nach der Matura blitzartig aus und vor der leidvollen, sprachlosen Tristesse der Eltern geflüchtet. Erst als der Vater die Diagnose Lungenkrebs im Endstadium bekommt, kommt sie wieder öfter „nach Hause … Ein neues Doppelleben hat sich aufgetan. Es spaltet ihn nicht mehr auf in einen versoffenen Herumtreiber bei Nacht und einen versagenden Familienvater bei Tag, nein, jetzt teilt es seine letzten Stunden, die er noch hat, in sich verselbstständigende Wach- und Traumzustände. Ohne Zukunft holt ihn jetzt die Vergangenheit zu sich.“
Frei von Kitsch, mit lakonischem Wortwitz erzählt die österreichische Schriftstellerin Amaryllis Sommerer darüber, Wie das Leben geht. Und auch darüber, dass einem das Sterben die letzten Illusionen abräumt: „Helli wird man die Witwenpension überweisen. Das wird ihr von ihm bleiben … Der Gedanke, Helli zurückzulassen, die kein anderes Leben kennt als eine unglückliche Ehe in diesen vier Wänden, treibt Franz schon wieder die Tränen in die Augen. Dieser Schmerz ist nicht auszuhalten. Diese Schuld. Das kann doch nicht alles sein, was bleibt! Doch. Kann es.“
Wie das Leben geht ist kein jammeriges Klagebuch, auch keine romantisierende Verklärungsprosa, wohl aber eine posthume liebevolle Umarmung. Sommerer gibt ihrem Vater und mit ihm einer ganzen Generation von Vätern und Großvätern, die so gern heldenhaft gewesen wären, aber doch nur starr vor Scham in Lebenslügen und heimliche Panikattacken flüchteten, eine Stimme. Für ihre Schuldgefühle, zerrütteten Seelen- und Gemütszustände fehlte den Kriegsheimkehrern in den 1950er- und 1960er-Jahren das Vokabular, die richtigen Worte. Sommerer fand sie, ohne zu verurteilen oder zu richten. Wie das Leben geht ist ein hinreißendes, mitfühlendes, wunderbares Stück Literatur über die Verwerfungen des Lebens und die Unwegsamkeiten der Liebe.
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Clementine Skorpil, DiePRESSE: „Franz und die Dämonen“
Seit Marie von Ebner-Eschenbach hat es herausragende Frauen in der österreichischen Literatur gegeben, und selten mehr als zurzeit: Valerie Fritsch, Gertraud Klemm, Karin Peschka oder Julya Rabinowich. Eine leise, aber um nichts weniger eindringliche Stimme ist jene von Amaryllis Sommerer. Keine Autorin, die pünktlich im Herbst vor dem Ansturm auf die Buchhandlungen einen Roman herausbringt, sie lässt ich Zeit. Was dann kommt, ist jedoch gewaltig – so gewaltig wie das Leben, das geht und vergeht.
Franz – Sohn eines alleinerziehenden Alkoholikers – wächst in Ottakring auf, wird kurz vor Kriegsende noch zum Volkssturm eingezogen, kehrt ins kaputte Wien zu seinem kaputten Vater zurück. Statt einer bürgerlichen Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Laufbahn macht er Karriere in der Unterwelt. Bis er Helli kennenlernt, die Liebe seines Lebens, die alles tut, um Franz zu retten.
Eine Figur wie Gerhart Hauptmanns Bahnwärter Thiel in Fallhöhe und -geschwindigkeit. Denn Franz lässt seine Dämonen nicht los: das Spiel und den Alkohol.
Sprachlich geht Sommerers Roman weit über eine realistische Milieustudie hinaus. Eine zarte sensible Erzählung über einen zutiefst traurigen Menschen.
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Sebastian Fasthuber, FALTER: „Ohne Sentimentalität und falsches Pathos“
Nach einigen Krimis legt Amaryllis Sommerer nun einen fein beobachteten und geschriebenen Roman vor. Franz hatte keine schöne Kindheit, wuchs bei seinem Vater auf, der sich nach traumatisierenden Kriegserlebnissen dem Suff ergab. Den tristen Verhältnissen entfloh Franz als junger Mann ins Nachtleben. Ein Amüsierlokal namens „Vegas“ hatte es ihm angetan, besonders die Geschehnisse im Hinterzimmer, wo er bald sein Geschick als Pokerspieler beweisen durfte. Ganz wird Franz die Halbwelt später nie hinter sich lassen.
Ohne Sentimentalität und falsches Pathos lässt Sommerer ihren traurigen Helden selbst, seine Frau Helli und ihre Tochter Katja die Lebensgeschichte eines Menschen aufrollen, der sich auf sein Glück verlassen und damit auch andere ins Unglück geritten hat.
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Peter Pisa, KURIER: „Ein Vater, unbemerkt wie ein Schirmständer“
Amaryllis Sommerer hat heuer den Sprung weg von den Krimis bravourös geschafft.
Man darf froh sein über Sommerers mutigen Sprung in die 1950er-, 1960er-Jahre zurück: In Wien-Ottakring begegnet man einem kleinen Mann, der sich manchmal wie ein Schirmständer gefühlt hat. Nicht vorhanden irgendwie.
„Wie das Leben geht“ ist die späte Wertschätzung einer Tochter, die einen zeitweise zum Heulen bringt: Diese Generation hat so viele Väter hervorgebracht, die – von außen betrachtet – niemand und nichts waren. Kein Kriegsverbrecher und kein Held, zur falschen Zeit am falschen Ort geboren, verloren, vergessen, nicht abgeholt, immer daneben und vorbei, zu früh, zu spät.
Der Franz ist seit 30 Jahren tot. So lange hat es gedauert, bis Amaryllis Sommerer diesen Roman schreiben konnte. Bis sie sich dem Vater stellen und ihn umarmen konnte.
Sie hat es – in ihrer unaufdringlichen, leisen Art – auch für andere Familien festgehalten: Vaters Leben mag zwar nicht gelungen gewesen sein. Aber farblos, ereignislos, ohne glückliche Momente war es nicht.
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Katharina Wappel, WIENER ZEITUNG: „Eine Stück österreichischer Sozialgeschichte“
Franz ist Zeit seines Lebens ein Getriebener gewesen. Panikattacken, die man zu seiner Zeit noch als Nervenleiden abtat, trieben ihn zum Alkohol, der wiederum trieb ihn in die Spielstätten der Stadt. Das Buch erzählt jedoch vor allem von den Leiden des jungen Franz. Von den Leiden seiner Kindheit, seiner Jugend, die aus ihm ein seelisches Wrack gemacht haben. Von dem Leid, das der Schuld vorausgeht.
Er erinnert sich an die Liebe zu Helli am Beginn ihrer Beziehung, aber auch an ein Leben, das mit dem Krieg und der Hitlerjugend angefangen hat, das über eine kurze Strecke des Glücks verlaufen – und schließlich zerbrochen ist an immer wiederkehrenden durchzockten Nächten, am Alkohol, an der Gewalt. In einer Spirale aus Angst und Scham ist Franz immer weiter nach unten gedriftet.
Franz’ Leidensgeschichte ist eine, die vielen Österreichern nur zu bekannt erscheinen wird. Man kann daher sagen, dass der Roman von Amaryllis Sommerer auf erzählerisch so solide wie anschauliche Weise ein Stück österreichischer Sozialgeschichte zeichnet.
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Andrea Lieblang, WDR 5 – BÜCHER: „Ein großartiger Roman“
Ein verlorenes, ein verspieltes Leben in einem Arme-Leute Vorort im Nachkriegs-Wien: Franz, der kleine, fesche Spieler versucht, seine Ängste vor sich und dem Leben wegzusaufen. Bis er die 16-jährige Helli trifft, die Liebe seines Lebens.
Seine Angst vor dem Versagen, seine Angst vor der zuschlagenden Hand des Vaters, vor den Kriegserinnerungen, seine Angst, nicht gut genug zu sein: nicht für seine geliebte Helli, nicht für Katja, die Tochter. Und erst recht nicht für sich selbst. Helli, die immer lachte und fröhlich war und auf ihren Franz wartete, auch wenn er tagelang verschwunden blieb, selbst Hellis Liebe reicht nicht aus, um Franzens Seele zu erreichen. Ein großartiger Roman, der in vielen Rückblenden das Bild eines erbarmungswürdigen, komplett verlogenen Mannes zeichnet – der aber so geschrieben ist, dass man Mitleid mit Franz hat und ihn trotzdem mag – so, wie Helli.
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Caroline Peters, FOCUS: „Verständnis der Donau-Metropole erlesen“
„Die Autorin verwandelt sich furchtlos in den Vater, der blutjung und zugleich uralt aus dem Krieg zurückkommt und lässt den Leser in ihm und in dessen Unterwelt-Wien leben. Ein großes Geschenk ist dieses Buch an die zerschundene Zeit der Nachkriegsjahre und an jeden, der sich ein Verständnis der Donau-Metropole erlesen will.“
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TIROLER TAGESZEITUNG: „Ein erstaunliches berührendes Buch“
Mit ihren knappen Sätzen, die alles immer ein wenig anders ausdrücken als es zu erwarten war, gelingt es Sommerer, einer aus den 1980er-Jahren zurückschauenden Geschichte Töne und Perspektiven abzugewinnen, die über das Klischee hinausgehen.
Neben der Hauptfigur, die in ihren gescheiterten Hoffnungen und Selbstvorwürfen überaus plastisch wird, sind es auch die Frauenleben, die Amaryllis Sommerer zu Herzen gehend schildert: Helli, die als 16-Jährige als anbetungswürdige Lichtgestalt in Franzens Leben trat und seither trotz aller Lebens-Herausforderungen treulich mit ihm durch dick und dünn ging, und Katja, die Tochter, die als Kind gerne einen Vater gehabt hätte, der sich nicht als abstoßender Säufer, sondern als liebendes Vorbild in ihre Erinnerung einschrieb.
Und nebenbei ist „Wie das Leben geht“ auch ein Zeitporträt, ein Wien-Roman aus den 50er- und 60er-Jahren, aus einer Zeit, in der man sich begründete Hoffnung nach einem besseren Morgen machen durfte. Das Doppelleben im Gemeindebau, die Vorstadt-Existenz aus Ottakring steht für jene Teile einer Generation, die sich bloß ein kleines, spießiges Eck vom großen Glück herausbrechen wollte und selbst das nicht dauerhaft festhalten konnte.
Am Ende stirbt der Vater, der einst als jugendlicher Flakhelfer in den letzten Kriegstagen dem Tod entronnen war, in den Armen seiner Tochter.
„Weiß er, dass er gerade stirbt? – ‚Es ist alles in Ordnung‘, sagt Katja. Es ist das Einzige, was ihr einfällt, um ihm etwas Gutes zu tun.“
„Wie das Leben geht“ ist mehr als in Ordnung. Es ist ein erstaunliches, ein berührendes Buch, dem man viele Leser wünschen möchte.
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Bernd Schuchter, LITERATURHAUS WIEN:“Vertreter einer Kriegsgeneration“
Franz ist Ende der Zwanzigerjahre geboren und hat von Anfang an miserable Karten in Gestalt eines prügelnden Säufers als Vater, die Mutter hat Mann und Kind verlassen. In der HJ macht Franz endlich mal etwas richtig, aber als er am Ende des Krieges für die Verteidigung Wiens eingezogen wird, ist es mit allem Heldentum vorbei, das findet Franz einfach nur grauslich. Der Vater ist nach dem Krieg das vollkommene Wrack, tut Franz aber den Gefallen, bald zu sterben. So hat Franz eine eigene Wohnung und macht sogar eine Ausbildung als technischer Zeichner. Seine Sehnsucht nach ein bisschen Glamour und nach Frauen führt ihn in die Bar Vegas, zuerst an die Bar, bald aber ins Hinterzimmer, wo er sich als talentierter Pokerspieler entpuppt, der schnell zum Prinzregenten des Unterweltkönigs von Ottakring aufsteigt.
So verlaufen seine Tage – schlafen, Geld ausgeben, im Vegas trinken, spielen und sich mit Prostituierten amüsieren –, bis er im Prater Helli begegnet: sehr jung, sehr schön, völlig unverdorben. Es ist für beide Liebe auf den ersten Blick, Franz und Helli werden ein Paar, heiraten 1955 und bekommen eine Tochter. Franz möchte für seine Familie ein guter Mann und Vater sein, und eine Zeitlang scheinen sie das perfekte pastellfarbene Fünfzigerjahre-Idyll leben zu können.
Kommunikation ist nach Niklas Luhmann der entscheidende Faktor im Zusammenleben. Kommunikation muss aber, um gelingen zu können, verständlich und ehrlich sein, und das ist das Drama dieser Ehe. Franz und Helli sind als Vertreter einer Kriegsgeneration, die schweigen muss, um mit Erlebtem fertigwerden zu können, absolut nicht imstande, miteinander zu kommunizieren; im Grunde sind sie nicht einmal imstande, reflektierend mit sich selbst zu kommunizieren. Daraus muss sich eine Erzählhaltung ergeben, in der die Figuren beschreiben, was ihnen zugestoßen ist, das aber nicht oder kaum deuten können, was Amaryllis Sommerer im Großen und Ganzen konsequent durchhält. Schlüsse ziehen muss der Leser allein – und die Tragödien hinter manchen Sätzen haben es in sich: „Helli war die erste Frau in seinem Leben, die aus dem Mund nicht nach Alkohol, sondern nach Schokolade roch“, stellt Franz fest.
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Christina Repolust, WELT DER FRAU: „Ottakring in Körper und Geist“
„Doch Franz ist sein ganzes Leben lang schlecht informiert gewesen. Er hatte die falsche Zeitung gelesen, klein im Format, begrenzt im Inhalt. Seinen Bezirk hat er nur verlassen, wenn er musste. Ottakring. Hier wurde er geboren, hier geht er mit seinem Hund Gassi, hier wird er sterben.“
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ROMAN: „ULRICH UND SEINE TÄTER“ (Milena Verlag 2012)
Katharina Schmidt, WIENER ZEITUNG:
„Die österreichische Ausnahmeautorin Amaryllis Sommerer hat mit „Ulrich und seine Täter“ ihren dritten Roman veröffentlicht. Wieder legt Sommerer die für sie typische Mischung zwischen Psychogramm und Kriminalroman vor – diesmal allerdings mit deutlich stärkerem Fokus auf Ersteres.
Ulrich, Chef der Fernseh-Unterhaltung, wird tot aufgefunden. Dem Leser ist von Anfang an klar, dass der Drogensüchtige, dem der Raubmord angelastet wrid, unschuldig ist. Denn so oberflächlich beliebt Ulrich auch war – jeder seiner Untergebenen hatte eine Rechnung mit ihm offen. Da wäre einmal Richard, der ihm die ewige Jugend in Tablettenform verkaufte und parallel an Ulrichs Sessel sägte. Oder Amadeus, der alternde Serienschreiber, dem Ulrich einen Ghostwriter vor die Nase setzen wollte, woraufhin er nach London flüchtete. Oder Barbara, die Nymphomanin mit der Traumfigur, an der sich Ulrich brutal vergangen hat. Auch Barbaras genaues Gegenteil: Didi, eine 40-jährige Jungfrau, ein kleines Kind, in einem bulimischen Frauenkörper gefangen, die es Ulrich nie verzieh, dass er sie „spätes Mädchen“ genannt hat. Oder Christoph, der Ex-Junkie, der sich neben seinem neuen Leben als Biobauer eine Zukunft als Drehbuchautor wünscht und sich dabei von allen gehemmt fühlt.
Nicht zuletzt Franziska, die – das ist das Erschreckende – noch am vernünftigsten wirkt. Dabei ist Ulrichs verstoßene Ex-Frau, die aus der Ehe nur die erwachsenen Kinder und die Schulden mitnehmen durfte, oft so neben der Spur, dass sie einen eigenen Taxifahrer für die Zeit nach ihren Alkoholexzessen beschäftigen kann. Ein Haufen gescheiterter Existenzen also, die mehr oder weniger angestrengt versuchen, den schönen Schein zu wahren und Ulrichs Baby, eine mittelmäßige Vorabend-Serie kurz vor der Absetzung, über seinen Tod hinaus am Leben zu erhalten. Jeder von ihnen hätte einen Grund gehabt, Ulrichs Tod herbeizuführen.
„Ulrich und seine Täter“ ist leiser als Sommerers frühere Werke. Auch diesmal stellt sie ihre unaufgeregt-nüchterne und trotzdem (oder gerade deswegen) gewaltige Sprachvirtuosität unter Beweis.“
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Lakonisch, atemlos, wortspielerisch spürt sie den „in der Jauchengrube des Lebens“ versickernden Sehnsüchten, Wünschen, Eitelkeiten, Ängsten ihrer Figuren nach, im jüngsten Fall jenen von Fernsehserienschreibern. Vergleiche zu angloamerikanischen Psycho-Crime-Ladies können durchaus gezogen werden. Wenn man möchte. Muss man aber nicht. Amaryllis Sommerer ist eine Klasse für sich. Eine sprachkünstlerische Wortklauberin im besten Sinn.
Ihre Erfahrungen als Serienschreiberin hat sie mit Sprachverve und -witz in ihrem dritten Krimi verwertet: ein Programmchef, der gleich auf den ersten Seiten seinem Tod entgegenröchelt; drei Frauen und zwei Männer, die als mehr oder weniger neurotische Drehbuchautoren Fernsehfutter in Serie anliefern; der Fernseh- Redakteur, der seinen ersehnten Aufstieg in die Chefetage mit verbotenen Substanzen pflastert.
Doch „Ulrich und seine Täter“ ist kein klamaukes TV-Bashing, sondern gesellschaftskritische Beschreibung aller hierarchischen Arbeitssysteme: „In der Chefetage schaut man, dass man oben bleibt; wer unten ist, will nach oben. Die in der Mitte müssen sich nach allen Richtungen orientieren, um zu überleben. Diese Sandwichpositionen haben es besonders hart.“
Barbara Mader, KURIER:
„Mit „Ulrich und seine Täter“ legt Amaryllis Sommerer ihren dritten Roman vor. Ein, ja was nun, Krimi? Ein bisschen. Was Drogen und Medien-Biz aus den Menschen manchen können, führt bis zum gerade noch verhinderten Massaker am Flughafen. Im Mittelpunkt Fernseh-Redakteur Richard, der glaubt, er werde nach Ulrichs Tod Chef. Wird er nicht, der Loser. Warum? Letztlich, weil ihm seine Mutter immer eine Ersatzstrumpfhose mit in die Schule gab. Im Falle eines Wetterumschwunges. Und dann hat sie immer gesagt: „Alles mit Maß und Ziel.“
Rund um den Karrieristen Richard, den vermeintlichen Profiteur des Todes seines Vorgesetzen Ulrich, hadert eine Truppe von Soap-Schreibern mit ihrem Schicksal. Jeder auf seine Art. Die Schöne, die Alkoholikerin, die Spinnerin, der Aussteiger, der Familienvater mit Ambitionen. Sommerer beschreibt sie mit Begeisterung für deren Schwächen, verfällt nie in Klischees. Jeder wächst einem ans Herz. Jeder ist ein Täter.“
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Senta Wagner, CULTurMAG:
„Es herrscht Showtime, und es geht rund – wir sind beim Unterhaltungsfernsehen, beim quotenträchtigen Format Familienserie. Das bedeutet Fließbandarbeit, Scharmützel und stete Hochform für die Drehbuchautoren, die Staffel für Staffel ihre Bücher raushauen müssen. Klar gehen Drogen hin und her, aufputschende wie abregende, der „Sprit“. Und Teamgeist ist gefragt, besonders jetzt, da der Chefsessel plötzlich leer ist. Auf ihm thronte Ulrich, ein erfolgsverwöhnter und charismatischer Mittfünfziger, der unter seinen Kollegen Neider wie Bewunderer hatte. Mit seinem Tod wird die Serie buchstäblich überschrieben von der hysterischen Story, die die Realität des Romans schreibt. Da können Fernsehhelden einpacken. Die werden einfach in Sendungen rein- oder rausgeschrieben, wie man es eben braucht.
In „Ulrich und seine Täter“ ist die ganze Zukunft der Soap mit einem Mal ungewiss, und es macht sich Panik unter den Autoren breit, die sich um Kopf und Kragen schreiben. Die Gemeinschaft an Profis zerbricht in Gestalten, die ebenso von der nackten Existenzangst, ihren quälenden Erinnerungen an Ulrich wie von der eigenen Hybris angetrieben werden. Cut für Cut für Cut werden so die letzten Stunden von Ulrichs Leben rekonstruiert. Schließlich ist die Autorin, selbst als Drehbuchautorin tätig, auch ein Profi und beherrscht das vorwärtsdrängende (personale) Erzählen in raschen Sequenzen, in deren Fokus jeweils eine der Romanfiguren steht und zerpflückt wird. Sie versteht es mühelos, diese mit ihren eigenen Abgründen zu konfrontieren und die Katastrophe heraufzubeschwören.“
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Monika Maria Slunsky, LITERATURHAUS Wien:
„Ulrich und seine Täter“ ist der dritte Roman von Amaryllis Sommerer nach „Selmas Zeichen“ und „Keine Wunde, nichts“. Auch diesmal gelingt der Autorin die Verknüpfung von kriminalistischen, psychologischen und sozialen Motiven. Im Gegensatz zu einem klassischen Kriminalroman ermittelt jedoch kein Kommissar. Die RomanheldInnen jagen sich selbst, bis sich jede(r) Einzelne durch masochistische Gedanken zu Fall bringt. Mit eindringlicher Empathie erzählt Amaryllis Sommerer von seelischen Abgründen.
Amaryllis Sommerer beherrscht das Spiel mit Worten in vielen Variationen, denn die Autorin würde es sich nie erlauben, auch nur einen Erzählmoment dem Zufall zu überlassen. Jeder Stimmung gebührt der passende Sprachstil.
Die HeldInnen stehen unter Stress, es gilt daher schnell voranzukommen. Der auktoriale Erzähler scheint ihnen immer einen Schritt voraus zu sein. Der rasche Perspektivenwechsel ist gut gelungen. Die Erzählzeit im Präsens und die kurzen Sätze, die punktuell nur aus einem Wort bestehen, bewirken Lebendigkeit und gestalten die Lektüre kurzweilig. Gekonnt baut Amaryllis Sommerer von Anfang an Spannung auf und löst diese erst mit einer Rückblende am Romanende, die Überraschendes zu bieten hat. Amaryllis Sommerer möge das Schreiben von Romanen beibehalten, denn eine Fortsetzung ist wünschenswert.“
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Mieze Medusa, Autorin, Slammerin, Rapperin:
„Spannend: die Figuren, die eigentlich nie miteinander reden, nie wirklich in Kontakt treten, sondern an ihrer Einsamkeit zerbrechen, werden durch eine sehr kluge Erzählhaltung gegengeschnitten und in Relation gesetzt. Selbstbild und Fremdwahrnehmung wechseln sich ab und überlassen es dem Leser, sich eine eigene Meinung zu bilden….
Ein Häufchen verlorene, am Ego schon deutlich angenagte Figuren stolpern da durch Meetings und durch eine Stadt. Macht beim Lesen Spaß, auch wenn die Figuren keinen haben!“
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Eine Gruppe von TV-Serien-Schreibern wird durch den Tod ihres Chefs,
mit dem sie alle mehr als beruflich verbunden waren, aus der Bahn geworfen.
Den darauf folgenden Kampf ums Überleben
meistern die verstörten Protagonisten sehr unterschiedlich:
Mit klugen pragmatischen Überlegungen oder mit überbordendem Selbstmitleid,
mit Rachefantasien und/oder mit verschobener Wahrnehmung der Wirklichkeit,
mit realitätsverweigernden Fluchtszenarien, mit unter Hyperventilation stehenden,
um Aufmerksamkeit ringenden Verzweiflungs-Attacken
(Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs).
Plötzlich sind hier Grenzgänger am Werk, die ihre durcheinander gebrachten Lebensläufe korrigieren, sicherstellen, neu gestalten wollen und müssen.“
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THRILLER: „KEINE WUNDE, NICHTS“ (Milena-Verlag 2010)
auf der Longlist für den Glauserpreis 2011 (Roman)
Eine zu Tode umarmte Vierzehnjährige im Hausflur. Eine trinkende Teilzeitkellnerin als Leichenwäscherin. Ein perfekt geschminkter toter Buchhalter, der entsorgt werden muss. Eine ausgebrannte Fernsehredakteurin, die das Hauptabendprogramm zensiert. Ein Wiener Durchhaus, dessen Tore nach und nach geschlossen werden.
„Kein Atem. Der Blick leblos. Kalte Wangen. Totes Haar. Tot. Was war da passiert im Augenblick des Todes? Ob sich im Gesicht der Toten vielleicht etwas nachlesen ließe? Die Erlösung von einem unglücklichen Dasein? Das Lustgefühl der Auflösung? Der Anblick eines Mörders sogar?Geführt von einer unangemessenen Neugier griff Maras Hand unter den Nacken des Mädchensund hob seinen Kopf ein wenig zu sich heran. Ganz genau wollte sie es plötzlich wissen. Schwachsinn. Da war nichts Gewalttätiges zu sehen. Keine Wunde, kein Blut, nichts.“
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Gabriele Migdalek, an.schläge:
„Eine Tote liegt im Hausflur, eine Leiche im Stiegenhaus nebenan, und schon bald befindet sich auch noch eine Mörderin in ihrer Wohnung. „Brot, Milch, Käse, Wurst, Eier, Polizei, Aufklärung, Gerechtigkeit“ – schreibt Mara auf ihre To-Do-Liste. Und erweist sich als nervenstarke Hüterin – nein, nicht des Gesetzes, sondern – der Gerechtigkeit. Ein sowohl amüsanter, als auch gesellschaftskritischer, flüssig geschriebener Krimi.“
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Katharina Schmidt – WIENER ZEITUNG:
„Keine Wunde nichts“ ist nach dem vielbeachteten Roman „Selmas Zeichen“ (2008) Amaryllis Sommerers zweiter Psychothriller. Und wieder ist es einer, den man nicht aus der Hand legen kann. Mit feinsinniger, tiefgründiger Sprache zeichnet die österreichische Autorin ein ebensolches Psychogramm ihrer Charaktere.
Die Krimihandlung rückt in den Hintergrund, auch dem Leser erscheinen die seelischen Abgründe der Menschen, die durch den Leichenfund aus ihrem Alltag gerissen werden, mit einem Mal viel wichtiger als die Leiche selbst. Sommerer schaut genau hin, nimmt sich Zeit für ihre Figuren und lässt sie an der äußeren Handlung wachsen. Dabei bleibt auch Raum für Gesellschaftskritik: Drogen und Gewalt werden ebenso thematisiert wie Ignoranz und Populismus.
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Ingeborg Sperl – DER STANDARD:
„Mara schneidet Tag für Tag die grauslichsten Szenen aus den immer extremer werdenden Fernsehfilmen heraus, um sie familientauglich zu machen. Ihr Wahrnehmungsvermögen ist gestört, machmal verliert sie den Bezug zur Realität.
So ist es nicht verwunderlich, dass sie beim späten Heimkommen zunächst das neben der Mülltonne liegende Mädchen ignoriert. Als sie dann nach der vermeintlich Zugedröhnten sieht, muss sie feststellen, dass sie eine Leiche gefunden hat.
Amaryllis Sommerer entwickelt aus diesem Plot einen Krimi mit ganz eigenem Ton.
Hin- und hergerissen zwischen dem Impuls, sich auf fremdes Elend einzulassen und dem schlechten Gewissen, kämpft Mara um Selbstbestimmung. Entkommen ist alles.“
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Anna-Maria Wallner, PRESSE am Sonntag:
„Amaryllis Sommerer hat es wieder getan. Einen Krimi geschrieben. Ihr zweiter spielt fast ausschließlich im Hinterhof eines Wiener Mietshauses und dreht sich um fehlende Zivil-Courage im Alltag. Schon ihr Debut „Selmas Zeichen“ war viel beachtet und für den Glauser-Krimipreis 2009 nominiert.
Die Geschichte der ausgebrannten Fernsehredakteurin Mara, die das Hauptabendprogramm auf Gewalt zensiert und plötzlich auch in ihrem Wohnhaus mit Gewalt konfrontiert wird, ist vor allem sprachlich eine Wucht. Alles in allem: Noch besser als das Debut!“
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Spunk Seipel, LITERATURHAUS WIEN:
„Wunderbar ist, wie Amaryllis Sommerer für die Selbstbeschau der Hauptfigur einen lokal eng begrenzten Rahmen als Spiegelbild gefunden hat. Fast das ganze Buch spielt in den engen Hinterhöfen eines Wiener Mietshauses. Von Außen kommt fast nur das Böse, oder es wird als kitschige, aber unerreichbare Idylle erträumt.
Das Buch lässt einen nachdenklich zurück. Auch wenn eine Ausnahmesituation geschildert wird, fragt man sich, wie oft man selbst im Alltag wegsieht. Wie oft entscheidet man sich gegen das Mitgefühl und zugunsten eigener Bedürfnisse? Die Autorin schneidet brutale Themen wie Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern an und beschönigt dabei nicht das Verhalten derer, die aus Bequemlichkeit wegschauen. Das Buch, die Theorie, ist also gar nicht so weit entfernt von der alltäglichen Realität, der wir alle begegnen.“
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PSYCHOTHRILLER: „SELMAS ZEICHEN“ (Milena-Verlag 2008)
nominiert für den Glauser-Preis 2009 (Debüt)
Jurybegründung: „Selmas Zeichen ist ein spannender, ungewöhnlicher Psychothriller, ein atmosphärisch dichtes Stalker-Szenario, erzählt im Bewusstseinsstrom von Täter und Opfer. Diese Konstruktion erfordert Mut und literarisches Talent. Die Autorin besitzt beides.“
„Eine nervenaufreibende Stalker-Odysse“ (K. Cerny – PROFIL)
„Nicht zum Abschütteln“ (P. Pisa – KURIER)
„Spannend wie ein Film“ (A. Wallner – DIE PRESSE)
„Sorgt für schlaflose Nächte und dafür, dass man dieses Buch keine Minute aus der Hand legen kann.“ (K. Schmidt – WIENER ZEITUNG)
„Dieser Krimi ist etwas für hartgesottene Thriller-LiebhaberInnen.“ (K. Kuna – DUM)
„Stilistisch brillant spannt die Autorin den Text zwischen Verfolgter und Verfolger auf. Die wechselnde Perspektive verweigert ein schwarz -weiß gezeichnetes Täter-Opfer-Verhältnis.“