“Kein Foto!” Promis verkloppen Papparazzi, wenn diesem Appell nicht Folge geleistet wird. Und auch immer mehr Normalbürger reagieren aversiv auf eifrige Street-Fotografen – ob nun Hobby-Knipser, Künstler oder BILD-Zulieferer. Der Leica-Liebhaber, TV-Produzent und Berliner Gazette-Autor Mario Sixtus setzt sich für Persönlichkeitsrechte und Datenschutz ein. Dennoch findet er die Entwicklung besorgniserregend – und hat prompt ein Projekt über “Gesichterflucht” gestartet.
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In Deutschland hat die Angst der Menschen vor dem Fotoagrafiertwerden mittlerweile pathologische Züge angenommen. Mit Persönlichkeitsschutz hat diese Hysterie nichts mehr zu tun, sondern eher mit einer diffusen, irrationalen Angst, irgend etwas Schlimmes, etwas Unkontrollierbares könne dadurch geschehen, dass man fotografiert werde.
Hierzulande verhalten sich inzwischen viele eigentlich zivilisierte Zeitgenossen beim Anblick eines Fotoapparates so, als wolle man ihnen die Seele stehlen. Ursächlich ist dafür vermutlich das Privatfernsehen verantwortlich, mit irgendwelchen Horrorgeschichten darüber, was mit irgendwelchen Fotos in diesem bösen Internet angeblich geschehen kann.
NOFAC.ES
Datenschützer in ihrem oft talibanesquen Eifer haben diese dumpfe Angst weiter angerührt. In den USA ist die Situation rechtlich eine andere: Wer sich im öffentlichen Raum aufhält, der darf auch fotografiert werden. Dadurch ist die ganze Foto-Situation wesentlich entspannter.
Die Fotos in diesem Text habe ich in Düsseldorf und Berlin aufgenommen. Sie sind der Auftakt zur Serie NOFAC.ES, mit der ich die abstruse Gesichterflucht in unserer Gesellschaft kommentiere.
Anm.d.Red.: Das Motiv oben dient der Berliner Gazette als Leitbild bei dem Projekt “Whatever happened to journalism?” Hier das Programm: berlinergazette.de/whtj. Es geht um Medien und Journalismus in der Post-Snowden-Welt und ist eng verknüpft mit der Veranstaltung “Whatever happened to privacy?” Alles dazu hier.
18 Kommentare zu
Ich bin es so leid den Menschen erklären zu müssen, dass sie dann doch nicht das Recht haben, mir gegenüber ein Berufsverbot auszusprechen und ihnen den Unterschied zwischen „ich darf jedes Foto machen, darf aber nicht jedes Foto veröffentlichen” zu erklären.
Angesichts Facebook und Co. aber, wie gesagt, eine logische Verhaltensanpassung, die praktisch wie von selbst geschah. Zauberei!
Selbst mit einer Rechtslage wie in den USA hätte ein Fotograf seinerseits noch lange keinen Anspruch darauf, dass sein Wunschmotiv für ihn gefälligst sein Gesicht frei macht. So weit kommt's noch...^^
Diesen Kommentar dürft ihr gerne löschen. :)
Die Fotos tauchen dann völlig aus dem Zusammenhang gerissen und in möglichst skandalisierbarer Form wieder auf.
Im harmlosen Fall als Symbolfoto.
Darüber sollten sich die Bildersteller einmal Gedanken machen.
Pathologisch ist doch eher daß jeder meint mit jedem Abknipsen der Umgebung ein Kunstwerk erstellt zu haben, das jeder Andere sehen will und es somit veröffentlicht werden muss.
Man sehe sich dich einmal diese sogn. Streetfotos z.B. auf Filckr an. Da wird der komplette Inhalt der Speicherkarte veröffentlicht. Und "Boh, toll" bekommt dann meist eine Abbildung, die jmd. in einer lächerlichen Situation zeigt.
Das nenne ich pathologisch.
Stimme Ulrich Raschke voll zu.
Schade, Berliner Gazette. Ich lese die Beiträge sonst gerne, denn sie sind normalerweise argumentativ und ausgewogen. Für Rants auf diesem Niveau solltet ihr euch zu schade sein.
Roland Barthes, Die helle Kammer, 1980
So neu sind diese Bedenken nicht und darüber, ob sie irrational sind, liesse sich streiten. Barthes schreibt hier über seine Erfahrung, mit seinem Einverständnis fotografiert zu werden.
Und die zweite: Wenn immer noch stimmt, was seit den 80er Jahren deutlich sich abzeichnete, dass nämlich eine Zunahme von narzisstischen Erkrankungen zu verzeichnen ist und alle (?) ihr Bild nach ihrem Bild gestalten wollen, nimmt zugleich das "objektive" Bild an Fläche ab. Der Wille, alles (?) im eigenen Zugriff haben zu wollen, kann Fremdbeobachtung nicht hinnehmen. "Du sollst dir kein Bild von mir machen …"
Konterkariert wird dies dadurch, dass viele (?) gleichzeitig in die Öffentlichkeit treten wie nie zuvor. In offenere oder beschränktere, okay. Privatsphäre hier, aber PGP: no! Datensammlung, wenn es der Bequemlichkeit dient: ja.
Außen vor: Menschen, die einfach ihr leben führen wollen, die von diesem ganzen Quatsch nix wollen und kein Statement sind. Flüchtige Photonen auf Silberpapier.