Warum gibt es so wenig guten Fußball-Journalismus? Warum wird Fußball als komplexes System, in dem sich Wirtschaft und Unterhaltung auf höchstem Niveau die Hand reichen, nicht annähernd so hochwertig und hintergründig besprochen wie Wirtschaft und Unterhaltung? Diese Fragen gehen mir durch den Kopf als ich heute Mittag in der Schaubühne sitze und einer Podiumsdiskussion lausche, die fragt: Wer hat Angst vorm schwulen Fußball-Helden?
Ich weiß, dass es viele kluge Menschen gibt, die sich mit Fußball kritisch auseinandersetzen. Ich habe Gumbrecht, Theweleit, Bredekamp und den einen oder anderen Intellektuellen aus Italien und Spanien dazu gelesen. Kürzlich erst traf ich einen Sportphilosophen bei einer Tagung in Leipzig. Doch selbst unter vielen der respektierten Experten stoße ich immer wieder auf ganz archaische Vorstellungen von Gesellschaft – so überholt wie vieles im Fußball selbst. Darunter die vorherrschende Homophobie.
Avantgarde und Barbarentum
Fußball setzt in Sachen wie Wirtschaft und Unterhaltung die Maßstäbe, weil Fußball anderen Systemen auf diesen Ebenen immer wieder weit enteilt: die größten Stars, das größte Publikum, die größte Macht. Die Kehrseite davon ist das Gegenteil von Zukunft: Höhlengesellschaft, kultisches Ritual, Barbarentum. Sprich: Weite Teile des Systems Fußballs haben die Aufklärung noch vor sich. Und mein Gefühl sagt mir: Die Aufschiebung dieses Ereignisses konstituiert das System.
Vielleicht funktioniert Wirtschaft und Unterhaltung deshalb so gut im Fußball, weil niemand nach Zusammenhängen fragt, weil es keine kritische Berichterstattung gibt, die für Transparenz sorgen würde. Vielleicht ist die Angst vorm schwulen Fußball-Helden, die Angst vor dem Röntgen-Blick, mit dem wir sonst alle gesellschaftlichen Bereiche durchleuchten. Gewiss erhält diese Angst das ahnungs- lose Kind im Menschen – auf dass der Ball weiterhin euphorisierend durch die Seelenlandschaft der Weltgesellschaft rollen kann.
22 Kommentare zu
Das wäre zumindest ein Ansatz.
Was die Zusammenhänge zwischen Fussball und Wirtschaft anbelangt, hat sich einiges getan in den letzten Jahren. Es gibt nicht mehr viele, die nicht wissen, unter welchen Bedingungen Bälle und Fussballschuhe entstehen. Viele Fangruppierungen (Beispiel Schalke, Beispiel St Pauli, Beispiel Union) stehen kritisch zu den Sponsoren ihres Vereins und begleiten diese Kritik auch mit Veröffentlichungen. Andererseits fehlt bisher noch der große Entwurf einer Bestansaufnahme der Fussballglobalisierung: das wäre ein Buch, das noch geschrieben werden müsste.
@Jörg Offer: das Ende der Vormachtstellung des Fußballs ist vielleicht genau das, was uns derzeit bevorsteht. Eventuell aber geht das Imperium aus dem aktuellen Gefecht gestärkt hervor: mit einem besseren Immunsystem ausgestattet.
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