Das avisierte Handelsabkommen zur Abwehr von Fälschungen (ACTA) hat weitreichenden Widerstand geweckt: Weltweit befürchtet man negative Konsequenzen für die Internetkultur. Nun gingen am vergangenen Samstag europaweit große Menschenmassen auf die Straßen. Medientheoretiker und Berliner Gazette-Autor Felix Stalder war in Wien dabei und fragt an dieser Stelle: Was bedeutet das Aufbegehren für die digitale Generation? Ein kurzer Kommentar nach dem Fronteinsatz.
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Wie Zehntausende von Menschen in ganz Europa, verbrachte ich am Samstag ein paar eiskalte Stunden bei der lokalen Anti-ACTA-Rallye. Wien in meinem Fall. Sogar die Polizei schätzte die Beteiligung auf rund 3500 Personen, was etwa 10 Mal so viel war, wie ich im Vorfeld erwartet hätte.
“Junge männliche Geeks” dominierten das Bild der Veranstaltung. Hier und da ein paar Spritzer Vielfalt, vor allem politische Parteien, darunter auch einige rechte Randparteien, von denen ich zuvor noch nie gehört hatte. Dann aber auch eine große Anzahl von jungen Menschen, die sich aufgrund ihres Äußeren nur schwer einem bestimmten Lager zuordnen ließ. Sie sahen so normal aus, wie jene verwirrten Zuschauer, die ihren Einkaufsspaziergang von Menschen unterbrochen sahen, die obskure Abkürzungen skandierten. Wie wäre es mit ACTA ad acta als animierender Slogan?
Es ist erstaunlich zu sehen, dass nach Diskussionen, die wir in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren in relativer Abgeschiedenheit abgehalten haben, diese Themen nun im Mainstream angekommen sind. Mehr als je zuvor scheint mir, dass es eine große Kluft gibt zwischen den Generationen: Auf der einen Seite diejenigen, für die die Internet-Kultur integraler Bestandteil des Lebens ist; auf der anderen Seite diejenigen, für die die Internetkultur etwas Seltsames ist oder zumindest etwas Neues.
Für die erste Gruppe ist ACTA etwas sehr Persönliches, da es ihren Alltag massiv beeinträchtigt. Aber auch etwas, dass symptomatisch ist für die Verdorbenheit des gesamten Systems. Für die andere Gruppe ist es ein kleines, abstraktes Thema und, im Großen und Ganzen, business as usual. Es bestätigt ihren gut geschliffenen Zynismus.
Jede Generation braucht einen politischen Kampf, der es ihnen ermöglicht, ihr persönliches Leben und Erleben mit Politik in Verbindung zu bringen und ihnen spürbar werden zu lassen, wie Macht den eigenen Alltag stört – anstatt Macht als eine ferne Abstraktion zu begreifen. Ich denke, für eine ganze Generation werden diese Demonstrationen und all das Zeug, das vor und danach passiert, genau das ermöglichen.
Die Finanzkrise – das wohl relevantere Problem – ist im Verglech dazu zu groß und zu abstrakt. Vor diesem Hintergrund spielen Phänomene wie Anonymous – der schwarze Block dieser Bewegung – eine wichtige Rolle. Weniger als Organisation, sondern viel mehr als eine Erfahrung der Radikalisierung. Menschen kommen in Sachen Politik auf den Geschmack – in einer zeitgenössichen Weise und in ihrer eigenen Sprache, statt durch kritisch-theoretische Konzepte der vorherigen Generation.
Anm.d.Red.: Die Karte oben ist ein Screenshot von ACTA-Protesten erfasst auf Google Maps.
15 Kommentare zu
Schade.
Unter dem Label "Anonymous" kann im Prinzip Jeder auftreten und etwas ins Netz stellen; sobald es akzeptiert und repostet wird, kann man es als "von der Bewegung ratifiziert" ansehen. Das sind aber immer unterschiedliche Individuen, von denen das ausgeht und die eine neue Idee "ratifizieren". Daher muss man jede "Anonymous-Aktion" für sich betrachten -- eine Pauschalisierung von Anonymous auf "den schwarzen Block" ist jedenfalls zu kurz gegriffen.
Logischerweise gibt es einen Link zwischen Anti-ACTA und OWS, aber ist es ein Zufall, dass die Demos gerade dort an besten besucht waren, wo die occupy Bewegung relativ schwach war. Wien? München?
Kommt die sie einfach nicht mehr hinter her? Gestern OWS heute ACTA... ?
"Die Gegnerschaft zu Acta, sie ist nicht mehr nur das Thema einiger Nerds, sie ist zu einer europäischen Angelegenheit geworden."
http://www.zeit.de/digital/internet/2012-02/acta-eu-parlament
http://www.guardian.co.uk/technology/2012/feb/15/acta-loses-more-support-europe