Während Julian Assange auf allen Kanälen zu hören ist, hüllt sich Bradley Manning in Schweigen. Erzwungenermaßen. Die vermeintliche Cablegate-Informationsquelle ist zwar nicht mehr anonym, aber sie hat noch längst keine eigene Stimme. Gerade deshalb, so der Kulturtheoretiker und Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki, müssen Assange und Manning als zwei Seiten ein und derselben Medaille gesehen werden.
In einem aktuellen Werbeclip für Deutschlands größte Talentshow: Bei einem Verhör soll ein Gefangener endlich “zum Singen” gebracht werden. Als er sich weigert und die normalen Methoden versagen, öffnet sich die Tür für die Geheimwaffe. Im Mafiafilm kommt an dieser Stelle üblicherweise der Knochenbrecher, im Kriegs- und Spionagefilm der Zahnarzt, hier tritt Dieter ‘DSDS‘ Bohlen in Erscheinung. In einem Silberkostüm springt er ins Verhörzimmer und ruft: So Freundchen, jetzt singst Du!
Es ist keinesfalls zynisch, einen politischen Beitrag über Bradley Mannings Stimme mit einer Szene aus dem Unterhaltungskosmos zu eröffnen. Zynisch, beziehungsweise unzumutbar – das sind die Umstände, unter denen Manning gegenwärtig in seiner Eigenschaft als Hauptverdächtigter für das Weiterleiten der US-Geheimdokumente an Wikileaks im Gefängnis sitzt. In den Medien wird zwar zwischen Pentagon-Sprechern (siehe Bericht im CSM ) und Bürgerrechtlern (siehe Bericht bei Alternet) darüber gestritten, ob er tatsächlich 23 Stunden pro Tag keine soziale Interaktion hat, keine Kissen sowie keine Decken bekommt und kein Sport machen darf. Doch eines lässt sich kaum von der Hand weisen: Die Bedingungen seiner Haft haben dazu geführt, dass Manning körperlich und geistig verwahrlost. Es ist von Folter qua Isolation die Rede – als Vorbereitung auf den Prozess zu Beginn des kommenden Jahres.
Während Julian Assange in einem Weihnachtsinterview mit der in New York produzierten Dylan Ratigan Show zu der Aussicht auf einen Platz im US-Gefängnis sowie den Haftbedingungen (des Bradley Manning) befragt wurde und sich überaus besorgt äußern durfte (natürlich fürchtet auch Assange, dass Manning solange bearbeitet wird, bis jener gegen ihn aussagen wird), ist von Manning nichts zu hören. Seit seiner Inhaftierung im Mai diesen Jahres ist ihm jeglicher Kontakt mit den Medien untersagt. Während Assanges mal flehende, mal anklägerische, in letzter Zeit meistens ziemlich defensiv klingende Stimme in der Öffentlichkeit quasi omni-präsent ist, kann Mannings zunehmend gebrochene Stimme seit geraumer Zeit nur noch von seinem Anwalt und dem US-Journalisten David House vernommen werden, der ihn zweimal pro Monat besucht.
Es wird sich zeigen, wie lange dieses asynchrone Verhältnis bestehen bleibt. Ebenso ist noch offen, ob es sich dadurch auflöst, dass Manning zu “singen” beginnt und Assange im Zuge dessen zum Schweigen bringt. Oder ob Assange auf ganz anderen Rechtswegen ins Gefängnis wandert oder viel früher mundtot gemacht wird – wie ernst die kursierenden Morddrohungen inzwischen zu nehmen sind, zeigt sich nicht zuletzt an einem offenen Brief, der kürzlich mit der Betreffzeile To those inciting murder upon Julian Assange and/or his family unter Hinweis auf die rechtlichen Grundlagen in diesem Kontext veröffentlicht wurde. Doch eines ist klar: Manning wird sprechen. Seine Stimme wird spätestens im Gerichtssaal (bzw. durch die damit verbundene Medienberichterstattung) zu hören sein.
Lady GaGas “Telephone” und Mannings Anrufbeantworter im Military-Entertainment Complex
Warum nur, spätestens jetzt werden Sie fragen, habe ich diesen Text mit einer Szene aus dem aktuellen DSDS-Werbeclip angefangen? Die militärgerichtliche Problematik rund um Mannings Stimme hat im medien- und popkulturellen Kontext ihre primäre Aufladung erfahren. Und die Verflechtung von Militärischem und Pop zum so genannten Military-Entertainment Complex, auf die ich im Folgenden anhand von Mannings Fall zu sprechen komme, vollzieht sich vor unserer eigenen Haustür wohl am Sichtbarsten im Star-Körper des Dieter Bohlen (von Guttenberg mal abgesehen): der Musikproduzent und DSDS-Juror kokettiert überaus gerne mit dem Image des Folterers und Bootcamp-Drill-Instructors. Doch der Reihe nach.
Anders als Assange, war Manning vor den großen Enthüllungen im Jahr 2010 in der Weltöffentlichkeit ein Niemand. Er war vom Typ her einer, der als Kandidat bei DSDS hätte auftreten können. Anders gesagt: Er hatte keine Stimme. Denn es lagen und liegen so gut wie keine Dokumente (sprich: Aufnahmen) vor, die das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätten. Die wenigen Äußerungen (auf Facebook, etc.), die von ihm überliefert sind – sie stehen im drastischen Kontrast zu der schier unermesslichen Quantität der unter seiner angeblichen Mithilfe enthüllten Dokumente, so dass man ernsthaft fragen muss, ob Mannings Stimme nicht auch durch diese Dokumente spricht.
Was ist “Mannings Stimme” in diesem Zusammenang? Einerseits geht es hier um Mannings Stimme aus der Perspektive des Senders, also um das, was Manning uns möglicherweise sagen will. Andererseits geht es um Mannings Stimme aus der Perspektive des Empfängers, also um das, was wir, die Öffentlichkeit als solche wahrnehmen. In beiden Fällen ist die Stimme offenbar identisch, Manning sagt, wir hören: “diese Informationen gehören der Öffentlichkeit”. The Guardian unterstrich dies, als er kürzlich einen Beitrag unter dem Titel This belongs in the public domain brachte. Der Beitrag dokumentiert den verhängnisvollen Chat-Dialog, in dem Manning sich einem vermeintlich geistesverwandten Hacker anvertraut, welcher ihn letztenendes bei den Behörden angezeigt hat.
In diesem inzwischen vielzitierten Chat-Dialog, der neben Mannings Facebook-Pinnwand wohl als zentrale Textquelle gelten kann, beschreibt Manning die Umstände seiner Tat. Die selbstgebrannten Musik-CDs, die er zwecks Rundumbeschallung bei der Arbeit dabei hatte, überschrieb er mit jenen Daten, die er später an Wikileaks weiterleiten würde. Die Sicherheitsvorkehrungen seien vollkommen ungeeignet gewesen, um einen Datendiebstahl dieser Größe zu verhindern. Alles in allem eine spaßige Aktion, bei der er Lady Gagas Song “Telephone” hörte und dazu die passenden Mundbewegungen machte (“listened and lip-synced to Lady Gaga’s Telephone while exfiltratrating (sic) possibly the largest data spillage in american history”, May 22, 2:14:21 pm). Wird diese Szene in die Folklore des Ungehorsams und Widerstands eingehen?
Wir sehen und hören Mannings Mundbewegungen zu Refrainzeilen wie “Stop callin’, stop callin’, I don’t wanna think anymore!” oder “Sorry, I cannot hear you, I’m kinda busy.” – das Lebensgefühl zelebrierend unerreichbar zu sein für die Zumutungen des Alltags: hier eine unbequeme Liebes-, dort eine ebenso unbequeme Arbeitsbeziehung. Oder wird diese Szene als Mannings letzter Moment der Emanzipation in Erinnerung bleiben? Weil alle späteren Äußerungen nach der Gehirnwäsche stattfinden, die ihm derzeit im Gefängnis zu Teil wird? Und weil sich die imaginierten Mundbewegungen Mannings mit dem einzigen Tondokument verschmelzen, das von ihm vorliegt, bevor er inhaftiert wurde? Wir kommen zum vorläufig letzten “Beweisstück”.
Die Stimme: Werkzeug eines politisch mündigen Subjekts
Es gibt in diesem Fall, und hier schließen sich die Kreise des Military-Entertainment Complex in Sachen Manning, seine Stimme nicht nur im übertragenen Sinn zu hören. Sondern ganz konkret als einen durch die Stimmlippen eines Menschen erzeugten und in den Mund-, Rachen- und Nasenhöhlen modulierten Schall. Bezeichnenderweise durch Telefontechnologie verfremdet – Lady Gaga lässt grüßen. Für all jene hörbar, die Manning versucht hatten telefonisch zu erreichen und dann eine für den Fall seiner Abwesenheit eingesprochene Mitteilung zu hören bekamen. Kurz: Mannings Stimme auf dem Anrufbeantworter seines Mobiltelefons. Der Journalist Denver Nicks, der sie aufgezeichnet und wie einen prähistorischen Fund ins Netz gestellt hat (Private Manning Speaking), findet den Ton der Stimme überraschend und vielsagend (“the tone of his voice is surprising and telling”). In einem kurzen Podcast-Beitrag erklärt er warum und wie er dieser Stimme zum ersten Mal begegnete.
Die Mystifizierung von Mannings Stimme – sie dürfte bei seinem bevorstehenden Auftritt im Gerichtsaal soweit fortgeschritten sein, dass wir gar nicht mehr danach fragen werden, wie sie sich vor Mannings Versetzung in den Irak und vor seiner Inhaftierung tatsächlich angehört hat. Beziehungsweise wie sie sich unter strukturell besseren Bedingungen innerhalb der Armee und des Gefängnisses angehört hätte. Manning, so werden seine Anhänger und vielleicht auch seine Gegner sagen, hat Taten sprechen lassen. Doch gerade die Taten werden trotz oder gerade wegen des Prozesses kaum nachvollziehbarer und lassen sich heute auf ihre Auswirkungen hin nur ganz schwerlich abschätzen – haben daher keine Aussage gepachtet. Auch deshalb sollte Mannings Stimme jenseits symbolischer Vermittlungen vernommen und als paradigmatisches Werkzeug eines politisch mündigen und kreativen Subjekts hinterfragt werden.
Wenn sich derzeit die Assange-Unterstützter organisieren und quervernetzten, sicherlich beflügelt durch die globale Hörbarkeit seiner Stimme im Zuge des anhaltenden Interview-Marathons, dann sollten dabei auch die Manning-Initiativen berücksichtigt werden. Denn die Stimmen von Assange und Manning sind zwei Seiten ein und derselben Medaille und in dieser Eigenschaft der Schlüssel zum Gelingen einer zivilgesellschaftlichen Auflehnung gegenüber einer autoritären Wende des Staates, wie sie sich derzeit transnational abzeichnet.
29 Kommentare zu
Daniel Domscheidt Berg hat sich kurz darauf mit Assange zerstritten. Offenbar hatte Assange diese Empfehlung als Angriff gegen seine Person gewertet. Das Resultat: Daniel Domscheidt Berg hat Wikileaks verlassen. Und spricht in einem Buch, das Anfang 2011 erscheinen soll, über seine Zeit bei dieser Organisation. Assange denkt nicht ans Schweigen.
Das Erheben der Stimme in diesem Fall - zumindest was Assange anbetrifft - scheint mir einerseits eine strategische Angelegenheit zu sein, andererseits eine Sache der Eitelkeit und einer ADS-Störung.
Eine Kritik an dieser Organisationsform, die sich auch aufdrängt nachdem Daniel Domscheidt Berg ausgestiegen ist, liegt -- zumindest indirekt -- auch meinen Anmerkungen zum asynchronen Verhältnis zwischen den Stimmen von Manning und Assange zu Grunde.
Dass ausgerechnet Daniel Domscheidt Bergs Rat vorläufig zu schweigen, das Fass zum Überlaufen gebracht hat, ist in diesem Zusammenhang bezeichnend. Gibt zu denken.
( http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2010-50.html )
@RK: Ich bin auch kein Fan von personenfixitier Politikanalyse. Die Macht liegt im Zwischenraum.
@bswpl.: Es wäre zumindest mein Wunsch, wenn die Rede über Assange sowie die Rede des Assange künftig auf ihre Kehrseite (sicher, es gibt viele, nur mir ist in diesem Zusammenhang die eine wichtig: Manning) amplifiziert würde
@decker: Danke für diesen Hinweis! Ich muss da an Carloin Emcke Abu Ghraib-Recherchen („Anatomie der Folter – der Befehlskörper von Abu Ghureib") denken und ihre Beschäftigung mit Ivan Frederick, "ein weißer, introvertierter Typ aus West Virginia", der dort zum Folterer wurde. Sit notiert über die Arbeitsbedingungen, die für Manning strukturell diesselben gewesen sein dürften: "Auffällig an Abu Ghraib ist die Gleichzeitigkeit von Befehlsordnung und Unordnung: die Soldaten sind eingebunden in Strukturen, doch diese werden beständig verändert und aufgelöst, sie müssen gehorchen, aber die Anweisungen sind vage, fordern zu eigenmächtigem Handeln auf, sie geben Richtungen der Gewalt vor, aber lassen Raum für Exzesse. So wird der Einzelne einerseits zur Folter aufgefordert und in sie eingebunden, aber gleichzeitig als Einzelner be- und entlastet."
( http://www.carolin-emcke.de/de/article/15.anatomie-der-folter-der-befehlskoerper-von-abu-ghureib.html )
In einem Interview sagt Ivan Frederick zu Emcke:
"I didn't know anything about the Geneva Conventions. No one told me about them when I was in training. I just recently tried to find out about the Conventions on the internet. In addition, the intelligence people were constantly praising us. They would just say: "Keep up the good work.""
( http://www.nytimes.com/2004/08/30/international/europe/30SPIEGEL.html )
Prominente Erotomanen haben ne schwere Zeit im Moment und wir allesamt dazu. Neokonservativismus aller Orten! In jedem Lager... Spannend, aber auch langweilig, weil so vorhersehbar! Ist diese Welt wirklich nur ein Klischee?
Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der sich solche Fragen letztenendes am Umgang mit solchen Personen beantworten lassen.
Dein Telefon vs. Internet - Hinweis trifft die Sache absolut. Dieser Geschichte liegt ein merkwürdiger Anachronismus zu Grunde. Was sicherlich damit zu tun hat, dass die Geschichte so groß ist und nicht nur bestimmte Teile der Gesellschaft betrifft, sondern alle und alle haben nicht das selbe Schritt-Tempo. Manche leben noch im 20. Jahrhundert oder vielleicht sogar noch im 19. Jahrhundert.
One Soldier Who Really Did "Defend Our Freedom"
http://www.informationliberation.com/?id=33915
Quelle:
http://differentia.wordpress.com/2010/12/17/assange-und-zuckerberg-trivialmonumente-der-postfaustischen-arroganz-fb-wikileaks/
https://berlinergazette.de/facebook-vs-wikileaks-transparenz-ist-nicht-gleich-transparenz/
wissen tut man es irgendwie, aber bewusst war es mir in dem fall assange/ manning nicht.
besonders erhellend für mich war die beschriebene glorifizierung des stimmaterials, die scheinbar einer ikonisierung gleich kommt. die frage die sich stellt ist, ob eben die berichterstattern ihre geschichte nur dann verkaufen können, wenn sie in einer übersichtlichkeit (konkrete personen, konkrete positionen,...) kreieren, die ja in "wirklichkeit" gar nicht gegeben ist.
Der Spiegel schreibt:
"Das Büro des Uno-Sonderberichterstatters über Folter, Manfred Nowak, sagte der Nachrichtenagentur AP, es habe eine Beschwerde von Unterstützern des Obergefreiten Bradley Manning erhalten, derzufolge die Haftbedingungen in einer Kaserne der Marineinfanterie im US-Staat Virginia Folter bedeuteten. [...] Die Vereinten Nationen könnten die USA auffordern, von ihr vorgefundene Verstöße abzustellen."
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,736268,00.html
http://action.firedoglake.com/page/s/bradleymanning
http://www.youtube.com/watch?v=xwFN5inlRwE
( http://www.salon.com/news/opinion/glenn_greenwald/2010/12/29/wired_1/index.html )
( http://www.armycourtmartialdefense.info/2011/01/motion-to-dismiss-for-lack-of-speedy.html )
http://my.firedoglake.com/bmull/2011/01/14/so-much-for-the-nyt-investigation-of-bradley-mannings-confinement-conditions/